# taz.de -- Diane Torr über Sex jenseits der 60: „Ich habe viele One-Night-Stands"
       
       > In den Siebzigern wurde Diane Torr Feministin, in den Achtzigern
       > arbeitete sie als Go-Go-Tänzerin. Mit dem Alter werde ich wählerischer,
       > sagt die Performance-Künstlerin.
       
 (IMG) Bild: „Ich habe mir meine Radikalität immer bewahrt. Das hat mir auch viel Ärger beschert, aber vor allem Freude“: Diane Torr beim Workshop „Man for a day“ anlässlich des Drag Festivals in Berlin 2008.
       
       taz: Diane Torr und die Eroberung der weiblichen Sexualität, wann hat diese
       Geschichte angefangen? 
       
       Diane Torr: Ende der Sechziger habe ich in einer Beratungsstelle
       gearbeitet, in der wir junge Frauen zum Thema Abtreibung beraten haben. Ich
       war verdammt jung damals, Anfang Zwanzig. Und diese Zeit, in der Frauen die
       Kontrolle über ihre eigene Sexualität und Fortpflanzung übernommen haben,
       das hat mich sehr geprägt. Das waren radikale Zeiten damals, die mich
       radikal gemacht haben.
       
       Inwiefern betraf das Ihre eigene Sexualität? 
       
       Die Zeit der Frauenbewegung fiel ja zusammen mit der Idee der freien Liebe.
       Es wurde einfach erwartet, dass man zu jeder möglichen Zeit Sex hatte.
       Natürlich nicht im Allgemeinen, aber in der alternativen Gemeinschaft aus
       Künstlern, in der ich mich in den Siebzigern bewegt habe, schon. Man hat
       Sex gehabt, wie man eine Tasse Kaffee getrunken hat. Mal eben so. Nur Sex.
       Keine große Sache. Das gab uns Frauen auch die Freiheit, Nein zu sagen und
       etwas anderes zu wählen.
       
       Zum Beispiel Frauen... 
       
       Ja. Das betraf auch die Orientierung – es war damals nicht seltsam, queer
       zu sein – auch wenn man das noch nicht so nannte. Es ging einfach um Spaß.
       Ich erinnere mich, wie ich mit der Besetzung der ersten Rocky Horror Show
       herumgereist bin. Die waren sexuell so offen, haben ihre Partner getauscht.
       Nicht wie bei einer Sexparty oder so. Das waren einfach Leute, die Spaß
       liebten. Und Sex gehörte da dazu. Das war eine Zeit echter Freiheit, der
       Revolution, des Idealismus, echter Abenteuer. Zu heiraten wäre mir damals
       so lächerlich vorgekommen.
       
       Stattdessen sind Sie nach New York gegangen. 
       
       Oh ja, Ende der Siebziger war das. Ich war Teil einer Punkszene und einer
       Frauenband namens Disband. Das bin ich immer noch und wir treten auch immer
       noch auf – seltsam genug. Wir lebten damals tatsächlich, als gäbe es kein
       Morgen. Alles hatte diese hedonistische Qualität. Ob Tanz auf der Bühne
       oder Sex – alles war „Fast and Furious“. Ganz anders als die Siebziger, die
       viel lyrischer und weicher waren. Das hatte vielleicht etwas mit den Drogen
       zu tun. New York in den Achtzigern – da war alles aufgefüllt mit Kokain.
       
       Sie auch? 
       
       Nein. Ich war in dieser Zeit sehr mit meinem Körper beschäftigt. Ich habe
       damals mit Aikido angefangen..
       
       Eine japanische Kampfkunst ... 
       
       Ja. Harte Drogen und Aikido – das geht nicht zusammen. Ich habe Aikido
       gelernt und getanzt – das war das, was ich Anfang der Achtziger gemacht
       habe. Ich hatte keine Green Card und habe schwarz als Go-Go-Tänzerin
       gearbeitet.
       
       Von der Frauenrechtlerin zur Go-Go-Tänzerin? 
       
       Das ist eine der intensivsten Beschäftigungen mit sich selbst, die man sich
       als Frau vorstellen können. Die Leute sehen ja, die zieht ihre Kleider aus.
       Und erwarten: Die hat Sex mit jedem. Um sich in dieser Branche die
       Selbstachtung zu bewahren, muss man sehr genau wissen, was man will. Viele
       Frauen gingen dort verloren. Weil ich zur gleichen Zeit Aikido trainiert
       habe, hatte ich einen sehr muskulären Körper. Ich denke, das hat viele
       Männer verunsichert. Mich hat es in die Lage versetzt, zu wählen, ob ich
       mit einem mitging oder nicht. Um genau zu sein, ist das vielleicht zwei Mal
       passiert in den zwei Jahren, in denen ich das gemacht habe. Aber mich in
       diese potenzielle Gefahrensituation zu begeben, ohne darin manipuliert oder
       degradiert zu werden, hat mir sehr viel Stärke gegeben. Viele Erfahrungen
       dieser Zeit nutze ich bis heute für meine Performances. In gewisser Weise
       war das Feldforschung.
       
       Wurde auch Ihr eigener Sex dadurch besser? 
       
       Oh ja. Auch der Sex mit mir selbst. Ich bin in Aberdeen in Schottland
       aufgewachsen – da wurde geheiratet, bevor man das erste Mal Sex hatte. Und
       so was wie Selbstbefriedigung machte man als Frau nicht. In Deutschland war
       man da sicher offener. Ich hatte jedenfalls zunächst Sex mit Männern und
       Frauen, ehe ich die Freuden der Selbstbefriedigung entdeckt habe. Ich kam
       da echt spät dazu. Durch Gespräche mit anderen Frauen, durch meine
       Erfahrungen mit Frauen.
       
       Erzählen Sie mir von Ihrem beglückendsten sexuellen Erlebnis. 
       
       Meine aufregendste Zeit hatte ich mit einer Frau in den Neunzigern. Sie
       lebte in England und ich in New York. Wir haben uns in verschiedenen
       Städten getroffen, in denen ich aufgetreten bin oder Workshops gegeben
       habe. Das war eine großartige Romanze, ein Abenteuer. Wir haben sehr viel
       Zeit mit Telefonieren verbracht, mit Telefonsex. Wir waren wirklich
       versessen aufeinander. Weil wir uns so selten gesehen haben, war unsere
       gemeinsame Zeit so intensiv. Ich denke, diese Art von Romanzen sind sehr
       erfüllend. Und diese intensive Nähe zu verlieren, das war nach knapp vier
       Jahren, ist sehr niederschmetternd.
       
       Haben Sie deshalb doch noch geheiratet? 
       
       Nein, nein. Das war viel früher. Den Mann habe ich 1982 auf einem Festival
       in Amsterdam getroffen, auf dem ich performed habe. Und nach zwei Monaten
       habe ich festgestellt, dass ich schwanger bin. Da war ich schon zurück in
       New York. Was macht man da?! Wir haben geheiratet, zusammen in New York
       gelebt und das Kind gemeinsam aufgezogen.
       
       Das klingt recht konventionell. 
       
       Na ja. Wir haben 18 Jahre zusammen gewohnt, weil wir unser Kind nicht
       allein lassen und eine Familie sein wollten. Und weil eine Wohnung in New
       York verdammt teuer ist. Wir haben uns gegenseitig sehr unterstützt, aber
       die körperliche Anziehungskraft war schnell weg. Deshalb hatten wir unser
       eigenes Leben, eigene Freunde, sexuelle Begegnungen.
       
       Inzwischen sind Sie 65. Wie steht es heute um Ihre Sexualität? 
       
       Ich habe eine Menge One-Night-Stands. Ich reise halt unheimlich viel.
       Aufritte und Work-Shops in Berlin, Indien, New York, Australien, alles in
       ein paar Wochen. Ich treffe die Leute nur sehr kurz, da ist eine Beziehung
       schwierig.
       
       Ist es nicht schwerer, potenzielle Sexualpartner zu treffen, wenn man, nun
       ja... 
       
       Wenn man alt ist? Natürlich bin ich nicht mehr jung. Und treffe auch nicht
       mehr so oft Menschen, mit denen ich schlafen möchte, wie in den Siebzigern.
       Damals war das leichter, aber es war auch oft furchtbar. Da hat der Typ
       gern mal ejakuliert und ist eingeschlafen. Und du selbst liegst in dieser
       Spermapfütze, hattest nicht mal einen Orgasmus und musst dann in dieser
       Pfütze masturbieren. So was hat mich wütend gemacht. Oh, ich denke, 75
       Prozent des Sex, den man hat, wenn man jünger ist, kann man vergessen. Wenn
       man älter wird, wird man viel wählerischer.
       
       Ist Ihr sexuelles Verlangen in all den Jahren gleich geblieben? 
       
       Ich weiß nicht. Ich denke mit Ende 20, Anfang 30, als meine biologische Uhr
       anfing zu ticken, hat das enorm meinen Sexualtrieb beeinflusst. Aber
       ansonsten ist mein Wunsch nach Sexualität Teil meiner Persönlichkeit. Es
       gab zum Beispiel auch Jahre, in denen ich abstinent war. Zwischen 2001 und
       2007. Da war mir anderes wichtiger. Und jetzt habe ich eben wieder mehr
       Sex.
       
       Heute sind Sie unter anderem bekannt für Ihre Strip-Show-Performances als
       Mann. Zehren Sie auch privat von Ihrer radikalen Art, sich zu präsentieren? 
       
       In gewisser Weise ja. Ich habe mir meine Radikalität immer bewahrt. Das hat
       mir auch viel Ärger beschert, aber vor allem Freude. Ich hatte und habe Sex
       mit sehr vielen Menschen, zu sehr vielen Gelegenheiten. Ich habe mal
       versucht, mich zu erinnern, wie viele das wohl waren. Aber das kann ich
       nicht.
       
       Eins noch: Werden Männer auch immer besser im Bett, je älter Sie sind? 
       
       Dazu kann ich nichts sagen. Ich habe ja fast nur noch Sex mit Frauen.
       Nicht, dass ich keinen Sex mit Männern haben würde. Aber es kreuzen kaum
       noch welche meinen Weg, mit denen das passt. Und wenn, dann sind sie jung.
       Eher Anfang 30 als Mitte 60.
       
       8 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
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