# taz.de -- Prozess gegen Pussy Riot als Film: „Von Prostituierten gestürmt“
       
       > Der Schweizer Regisseur Milo Rau zeigt eine Alternative zur
       > Rechtsprechung in Putins Russland – mit einem nachgestellten Prozess.
       
 (IMG) Bild: Bei den Dreharbeiten zum „Moskauer Prozess“ im März 2013.
       
       In der aktuellen Gesellschaft wird alles Menschliche zerstört“, sagt Maxim
       Schwetschenko. Er tritt als „Experte von traditionalistischer Seite“ in
       Milo Raus Dokumentarfilm „Die Moskauer Prozesse“ auf. Der Schweizer Film-
       und Theaterregisseur Milo Rau hat 2013 im Sacharow-Zentrum in Moskau drei
       Prozesse gegen Künstler und Musiker in Russland szenisch nachgestellt. Mit
       den damals tatsächlich beteiligten Künstlern und ihren Feinden.
       
       Im Januar 2003 hatten christlich-orthodoxe Nationalisten die Ausstellung
       „Vorsicht! Religion“ im Moskauer Sacharow-Zentrum gestürmt und viele der
       dortigen Kunstwerke zerstört. Die russische Justiz ermittelte nicht gegen
       die Randalierer, sondern gegen Künstler und Kuratoren. 2005 wurden
       tatsächlich die angegriffenen Ausstellungsmacher zu Geldstrafen verurteilt.
       „Die Aggression geht von der neoliberalen Weltanschauung aus“, verteidigt
       Schwetschenko nun in Raus Film die damalige Zerstörung der Kunst als einen
       Akt der Befreiung. Westlicher Liberalismus und Massenkultur würden Russland
       zersetzen, Notwehr sei geboten.
       
       Einfach schrecklich, so Schwetschenko sei es auch, wenn Punk-Musikerinnen
       wie Pussy Riot mit ihren Aktionen religiöse Stätten entweihten. „Unsere
       Kirche wird von nackten Prostituierten gestürmt.“
       
       Schwetschenko spielt auf den 21. Februar 2012 an, als die (bekleideten!)
       Punkmusikerinnen von Pussy Riot einen Kurzauftritt in der Moskauer
       Christ-Erlöser-Kirche hatten. Als Beklagte in Raus Inszenierung nimmt
       Pussy-Riot-Musikerin Katja Samuzewitsch dazu Stellung, warum sie auf diese
       Weise gegen den nationalistisch-religiösen Pakt der Russisch-Orthodoxen
       Kirche mit Putins Staatspartei Vereinigtes Russland protestiert hatte. Sie
       tut das ruhig, besonnen und trotz allem mit innerem Witz, auch wenn sie
       damit einen Ankläger wie Schwetschenko nicht überzeugen kann.
       
       ## 41 Sekunden Punk
       
       Die 41 Sekunden Punk in der heiligen Stätte der russisch-christlichen
       Orthodoxie hatte den mit selbst gehäkelten Sturmhauben maskierten Frauen im
       Februar 2012 eine riesige Empörung eingebracht, ähnlich der, die die Sex
       Pistols 1977 in England auslösten. Doch die Sex Pistols landeten mit ihrem
       Song „God Save the Queen“ auf Platz 1 der britischen Charts,
       Pussy-Riot-Musikerinnen im Gefängnis.
       
       Der russische Staat unter Putin hat keinen Sinn für liberale Mätzchen oder
       Popkritik am Autoritarismus. Die Musikerinnen Nadeschda Tolokonnikowa und
       Marija Aljochina wurden wegen Rowdytum und Anstiftung zu religiösem Hass zu
       zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Ihre in Raus Film auftretende
       Mitstreiterin Katja Samuzewitsch kam mit einer Bewährungsstrafe davon, da
       sie nachweisen konnte, in der Kathedrale selbst kein Instrument gespielt zu
       haben.
       
       In Milo Raus theatraler Inszenierung trifft sie als Angeklagte auf den
       bereits zitierten „traditionalistischen Experten“ Maxim Schwetschenko als
       Kläger. Der wirkt trotz seiner antiliberalen Rhetorik noch vergleichsweise
       reflektiert. Andere „Zeugen der Anklage“, rechtsextreme Aktivisten, drohen
       bei Widerworten unverhüllt mit Gewalt.
       
       Regisseur Rau ist es für „Die Moskauer Prozesse“ im Sacharow-Zentrum
       tatsächlich gelungen, die verfeindeten Lager von demokratischer Kunst und
       nationalistisch-christlicher Szene auf eine Bühne und vor die Kamera zu
       bekommen. Eine kleine Sensation wie der kritische Künstler Dmitri Gutow
       sagt, ohne sich naive Vorstellungen zu machen: „Unser Land kennt nur
       Extreme, 40 Grad minus im Winter, 40 Grad plus im Sommer, dazwischen gibt
       es nichts. Ich sehe keine Anzeichen für einen Dialog“.
       
       In Milo Raus Inszenierung bricht denn auch immer das Außen ein. Die
       Grenzbehörde stellt dem Regisseur unangenehme Fragen. Plötzlich berichten
       Russlands gelenkte Medien über Raus Umtriebe. Männer mit Pelzmützen
       erscheinen, Kosaken-Sturmkomitees. Sie wollen der erneuten „Blasphemie“ im
       dissidenten Sacharow-Zenrtum ein sofortiges Ende bereiten. Doch die
       Ultranationalisten unter Raus Laiendarstellertruppe können ihre besorgten
       Kollegen beruhigen. Und warnen, dies wäre genau das Bild, das die
       Liberalisten aus dem Westen bräuchten. Besser, man ließe sie weiterspielen.
       Am Ende der drei Verhandlungstage würden sie die Geschworenen-Jury und das
       Laien-Gericht schon von ihrer Argumentation überzeugen.
       
       ## Das ist kein Theater
       
       Wäre Putins Justiz nicht so unversöhnlich gegen die demokratische
       Kunstszene vorgegangen, über vieles könnte man nur lachen. Etwa über den
       Auftritt des Altardieners Wladimir Sergejew, seines Zeichens Vorsitzender
       der Kampfsportgemeinschaft orthodoxer Christen. Zur Zerstörung der Kunst
       der Ausstellung „Vorsicht! Religion“ sagt er: „Wenn jemand das Messer auf
       mich richtet, warte ich nicht ab, sondern stoße es ihm selbst in die
       Brust.“ Das ist kein Theater, der Mann meint das ernst. Zuvor hatte die
       Künstlerin Tatjana Antoschina eine Ikone gezeigt. Ein vor den Sowjets
       gerettetes christliches Erbstück. Auch dieses religiöse Kunstwerk war in
       der Ausstellung „Vorsicht! Religion“ von dem Altardiener und seinen
       Freunden zerstört worden.
       
       „Nein, die Künstler wollten niemanden beleidigen“, sagt der Philosoph und
       Suhrkamp-Autor Michail Ryklin in der theatralen Verhandlung aus. Viele der
       christlich-orthodoxen Angreifer seien stramme Antisemiten. Doch die Gewalt
       der Extremisten, sagt Ryklin, machte sich auch die russische
       Generalstaatsanwaltschaft zu eigen. Ryklins Frau Anna Altschuk wurde als
       Beteiligter an der Ausstellung der Prozess gemacht. Ab 2007 lebte sie dann
       in Berlin, 2008 beging sie Selbstmord. Zeitweise gingen Freunde und
       Verwandte von einem politischen Attentat des russischen Geheimdiensts aus.
       
       Milo Raus „Die Moskauer Prozesse“ legt die Gesinnung an der
       gesellschaftlichen Basis im Reiche Wladimir Putins bloß. „Das Leugnen der
       europäischen Idee wird uns kein Glück bringen, sondern uns vernichten“,
       sagt einer der aufgeklärten Geister in der Inszenierung.
       
       Doch in der russischernGesellschaft und Politik sind solche Positionen
       marginalisiert. „Mit den Prozessen gegen ’Vorsicht! Religion‘ (2003) und
       Pussy Riot (2012) endete das demokratische Russland“, spricht die Stimme
       des Schweizer Regisseurs aus dem Off. Bliebe noch nachzutragen, dass dem
       gefährlichen Herrn Rau in der Zwischenzeit die erneute Einreise nach
       Russland verweigert wurde.
       
       19 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
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