# taz.de -- Debatte Drogenkrieg Mexiko: Feldzug gegen die Armen
       
       > Das Sozialsystem in den USA profitiert erheblich von der
       > Drogenkriminalität im Nachbarland Mexiko. Daher sind die US-Amerikaner
       > gegen die Legalisierung.
       
 (IMG) Bild: Mexikanische Spezialkräfte nehmen in Tijuana einen Drogenhändler fest.
       
       „Mañana in Mexico“, „Morgen in Mexiko“, jubelte kürzlich der Economist. Die
       verheerende Währungskrise ist Vergangenheit, Investitionskapital strömt in
       das Land, das letztes Jahr mehr Industriegüter exportierte als der ganze
       Rest Lateinamerikas zusammen.
       
       Doch es ist nicht nur die Wirtschaft, die in Mexiko Rekorde aufstellt.
       31.532 Menschen wurden dort von Januar bis November 2013 getötet, das sind
       etwa vier pro Stunde. Die meisten Todesfälle hängen mit der organisierten
       Kriminalität zusammen – und deren Hauptgeschäft ist der Drogenexport in die
       USA. Nach Daten der US-Regierung haben 2011 etwa 18 Millionen US-Bürger
       Marihuana geraucht; zu Kokain griffen 1,4 Millionen Menschen.
       
       Die Prohibition dieses Konsums erschüttert ganze Staaten südlich des Rio
       Grande. Das Instituto Mexicano para la Competitividad geht davon aus, dass
       die Kartelle im letzten Jahr 6,1 Milliarden Dollar mit dem Drogenexport in
       die USA eingenommen haben. Aus Südamerika herangeschafftes Kokain habe
       dabei 2,6 Milliarden Dollar, in Mexiko angebautes Marihuana rund zwei
       Milliarden Dollar Profit abgeworfen.
       
       Mit dem Geld bauen die Narcos neue Geschäftszweige auf. Die aus dem
       „La-Familia“-Kartell hervorgegangenen „Tempelritter“ sind in das
       Eisenerzbusiness eingestiegen, die „Zetas“ schmuggeln Waffen und Menschen.
       Und auch wenn das Pentagon, anders als 2009, nicht mehr warnt, Mexiko drohe
       ein „Failed State“ zu werden: Die Narcos unterwandern den Staat. Mit Geld
       und Terror sichern sie sich die Loyalität korrupter Beamter, in vielen
       Provinzen bilden sich deshalb Bürgerwehren.
       
       ## Lateinamerika bewegt sich
       
       Die Kokainanbauregionen in Südamerika leiden unter den Narco-Kartellen,
       ebenso die von den Maras-Banden gebeutelten Staaten Mittelamerikas. Eine
       Legalisierung von Marihuana und Kokain könnte diesen mörderischen Kreislauf
       zumindest eindämmen. Sie entzöge den Kartellen ihre Haupteinnahmequelle.
       Eine bessere Strategie gegen die Narcos hat bislang noch niemand
       präsentiert.
       
       In weiten Teilen Lateinamerikas distanziert man sich daher von der
       Prohibition: Uruguay hat Marihuana legalisiert. Der rechte Präsident
       Guatemalas, Exgeneral Otto Pérez Molina, wirbt für die Legalisierung,
       ebenso El Salvador. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos sagt: „Es gibt
       wohl kaum jemanden, der die Drogenkartelle und den Drogenhandel mehr
       bekämpft hat als ich. Andererseits muss man offen sagen: Nach 40 Jahren
       sind wir kein Stück weitergekommen.“
       
       Sinn hat die Legalisierung nur, wenn Latein- und Nordamerika an einem
       Strang ziehen. Ein Alleingang Mexikos gegen den Willen der US-Regierung ist
       undenkbar. Die aber versucht auf allen diplomatischen Kanälen, eine
       Aufweichung der Prohibition zu verhindern – obwohl laut einer
       Gallup-Umfrage selbst 58 Prozent der US-Bevölkerung eine Legalisierung
       befürworten. Warum sind reaktionäre Hardliner aus Lateinamerika in dieser
       Frage fortschrittlicher als Obama? Die Antwort lautet: weil die Prohibition
       eine wichtige Stütze der US-amerikanischen Sozialpolitik ist.
       
       ## US-Sozialpolitik uner Bill Clinton
       
       Zu verstehen ist dies nur durch einen Blick zurück. Auf Druck der
       Bürgerrechtsbewegung hatte Präsident Lyndon B. Johnson Anfang der 1960er
       Jahre den „War on poverty“ ausgerufen und den Sozialstaat massiv ausgebaut.
       Die Erfolge waren zunächst beachtlich. Doch ab den 1970er Jahren war eine
       wachsende „Neue Unterschicht“ auf die Sozialleistungen angewiesen: ein
       durch Deindustrialisierung überflüssig gewordenes, meist afroamerikanisches
       Proletariat. Konservative Wissenschaftler machten in diesem urbanen Milieu
       bald eine „Kultur der Armut“ aus. Sie sollte schuld sein an der großen Zahl
       alleinerziehender, von Sozialhilfe abhängiger Mütter, der hohen
       Kriminalitätsrate, dem zunehmenden Drogenkonsum.
       
       Es war Bill Clinton, der 1992 mit dem Versprechen antrat, die „Sozialhilfe,
       wie wir sie kennen, zu beenden“. Vier Jahre später machte er seine
       Ankündigung wahr: Der Personal Responsibility Act – das amerikanische
       Pendant zur Agenda 2010 – schaffte den Rechtsanspruch auf Fürsorge
       weitgehend ab. Bis 2011 stieg die Zahl der Armen in den USA von 35
       Millionen auf fast 47 Millionen an. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung
       sanken bis 2008, nämlich bis zur Finanzkrise, die Sozialausgaben. Clinton
       folgte damit dem neoliberalen Zeitgeist. Sein Projekt lief auf eine
       Reformulierung sozialer Ungleichheit als Verhaltensproblem hinaus: Arm ist,
       wer faul ist. Das war und ist die Logik.
       
       DrogenkonsumentInnen wurden vom Bezug ganz ausgeschlossen. Wer Sozialhilfe
       beziehen will, was de facto nur noch Frauen möglich ist, muss sich
       Drogenscreenings unterziehen.
       
       ## Der strafende Staat
       
       An die Stelle des Sozialstaats trat der strafende Staat. Viele erwerbslose
       Männer werden durch das Straf- und Betäubungsmittelrecht in einen fast
       lückenlosen Zyklus von Inhaftierung, Entlassung unter Auflagen und
       Bewährungsstrafen hineingezogen. Stete Verschärfungen des Strafrechts
       machten die USA zum größten Gefängnis der Welt: Das Land hat 5 Prozent der
       Weltbevölkerung, aber 25 Prozent aller Häftlinge. Ein Großteil von ihnen
       sitzt wegen Drogenvergehen, ehemalige Häftlinge sind seit 1998 fast immer
       lebenslänglich von Wohn- und Sozialhilfe ausgeschlossen.
       
       Die meisten Inhaftierten sind Angehörige der afroamerikanischen oder der
       Latino-Minderheit. Das ist so gewollt: Bis heute steht auf den Besitz des
       vor allem von Schwarzen konsumierten billigen Cracks eine 18-mal so lange
       Haftstrafe wie auf den Konsum der Oberschichtsdroge Kokain. Die
       Verbesserung ist Obama zu verdanken. Vorher war das Strafmaß 100-mal so
       hoch.
       
       Die Clinton’sche Sozialhilfereform machte aus einem Rechtsanspruch eine
       repressive Verwaltung der Armut. Diese Wende wurde in dieser Konsequenz
       durch die repressive Drogenpolitik überhaupt erst möglich. Die Millionen
       Drogenhäftlinge dienen als Beleg für die behauptete „Kultur der Armut“, in
       der sich angeblich Arbeitsscheu und Delinquenz verfestigen – frei nach dem
       Motto: Für die Lebensmittelmarken dieser Kriminellen sollen wir Steuern
       zahlen?
       
       Der „Krieg gegen Drogen“ hat den „Krieg gegen Armut“ abgelöst.
       
       23 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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