# taz.de -- taz-Serie Drogen und Gewalt in Mexiko: Kiffen für den Frieden
       
       > Der Krieg gegen Drogen ist in Mexiko Staatsdoktrin. Doch er fordert immer
       > mehr Opfer. In den USA wie Mexiko kämpfen Aktivisten für ein Ende der
       > Prohibition.
       
 (IMG) Bild: Mitglied eines Narco-Kartells, von der mexikanischen Armee erschossen.
       
       LOS ANGELES / MEXIKO-STADT taz | Lynne Lyman hat den Krieg nicht
       angefangen. Trotzdem glaubt sie, sich für ihn entschuldigen zu müssen. „Ich
       vertrete hier nicht die Regierung“, sagt sie. „Aber als Amerikanerin muss
       ich um Verzeihung bitten dafür, was der Krieg Ihrem Land angetan hat.“
       
       Der Krieg, das ist der „Krieg gegen die Drogen“, den Mexiko mit
       Unterstützung der USA seit 2006 führt. Die Bilanz: fast 100.000 Tote,
       Millionen Inhaftierte, Milliarden von Dollar aufgewandt für Armee, Polizei,
       Gefängnisse. Lynne Lyman ist, wenn man so will, die Friedensbewegung. Die
       junge Frau mit den langen roten Locken ist Direktorin der kalifornischen
       Sektion der Drug Policy Alliance (DPA), einer Nichtregierungsorganisation,
       die sich für die Legalisierung von Drogen einsetzt.
       
       Das Parlament in Mexiko-Stadt hat Lyman eingeladen, um über Strategien
       gegen die Gewalt in Mexiko zu diskutieren. Jetzt erklärt Lyman in einem
       holzgetäfelten fensterlosen Saal des Senatsgebäudes den Abgeordneten, dass
       der Krieg verloren ist. „Die Prohibition richtet viel mehr Leid an, als
       dass sie welches verhütet. Für unsere beiden Länder gibt es nur einen
       Ausweg: die Entkriminalisierung.“
       
       Seit Jahren kämpft Lyman, eine Harvard-Absolventin, die ihre
       Twitter-Nachrichten schon mal mit „Unter uns Kiffern“ einleitet, für eine
       Änderung der Drogenpolitik. In ihrem Büro in Los Angeles hängt an der Wand
       eine Karte mit den 80 kalifornischen Wahlbezirken, und auf jedem Bezirk
       klebt ein Foto mit einem roten oder schwarzen Punkt. Das ist Lymans
       Schlachtplan. Die roten Punkte bedeuten Abgeordnete, die die Legalisierung
       ablehnen. Sie bilden die Mehrheit, Lyman gibt sich trotzdem zuversichtlich.
       Die Legalisierung von Marihuana aus medizinischen Gründen („Medical
       Marihuana“) im Jahr 2003 sei „der Durchbruch gewesen“, sagt sie. „Das hat
       alles geändert. Jeder kennt jemanden, der Gebrauch davon macht. Der Spruch
       ’Marihuana kills‘ stimmt einfach nicht.“
       
       Die US-amerikanischen Gefängnisse sind trotzdem voll mit Kiffern. „Kein
       Land der Welt sperrt mehr Menschen wegen Drogenvergehen ein. Und 87 Prozent
       dieser Häftlinge sitzen wegen Besitz, die meisten für Marihuana“, erklärt
       Lyman. In der Drogenpolitik zeigten sich die Gräben in der amerikanischen
       Gesellschaft besonders deutlich. „Wenn es um Drogen geht, sind nicht alle
       Amerikaner gleich. Latinos und Afroamerikaner stellen 13 Prozent der
       Bevölkerung aber 58 Prozent der Verurteilten.“ Während Obamas
       Präsidentschaft habe sich daran wenig geändert, sagt sie.
       
       Lyman zieht ihre Medical-Marihuana-Berechtigungskarte aus dem Portemonnaie,
       eine kleine Plastikkarte mit Passbild. „Es gibt Ärzte, die machen nur das“,
       sagt sie. „60 Dollar – mehr nicht.“ Was ist mit anderen Drogen? Kokain?
       Lyman wird zögerlich. „Prinzipiell sollte man niemanden für den Konsum von
       Stoffen ins Gefängnis stecken dürfen.“ Kokain sei so lange verboten
       gewesen, „wir wissen darüber im Moment nicht genug. Wir haben auch nicht
       auf alles Antworten.“
       
       ## In den USA geht es voran
       
       Lymans Organisation DPA, vom umtriebigen Multimilliardär George Soros
       finanziert, will Druck auf die Regierung machen. 2012 haben die
       Bundesstaaten Washington und Colorado in Referenden entschieden, Marihuana
       für den „Freizeitgebrauch“ zu legalisieren. Seit Anfang Januar kann jeder
       Erwachsene in Colorado legal Marihuana erwerben, Washington zieht demnächst
       nach. Der Bundesstaat Colorado verzeichnete allein im Januar
       Steuereinnahmen aus diesem Geschäft in Höhe von zwei Millionen Dollar.
       Diese Entwicklung werde auch auf Mexiko ausstrahlen, glaubt Lyman.
       
       Ob das dort noch viel nützen wird – daran zweifeln viele. Zu breit
       aufgestellt seien die Narcos inzwischen. Die auf Lateinamerika
       spezialisierte Beratungsfirma Southern Pulse warnt, manche Kartelle machten
       mit Entführungen, Erpressung und Rohstoffgeschäften heute mehr Geld als mit
       Marihuana und Kokain.
       
       Lynne Lyman kommt zum Schluss ihrer Rede. „Wir rechnen damit, dass
       Marihuana 2016 in den gesamten USA legalisiert sein wird“, erklärt sie den
       mexikanischen Abgeordneten. Konkrete Pläne für entsprechende Initiativen
       gibt es allerdings bis 2017 nur für zehn Bundesstaaten. „Es wird Staat für
       Staat gehen. Jeder wird seine eigenen Regulierungen entwickeln, bessere
       Umweltbedingungen für die Anbauer, gut bezahlte, sozialversicherte Jobs“,
       erklärt Lyman. Es sei eine „ jungfräuliche Industrie“, die „bald von den
       Investoren entdeckt werden wird“. Wenn Mexiko auch in Zukunft exportieren
       wolle, müsse es den Anbau ebenfalls legalisieren – ansonsten gelte „buy
       american“. „Das ist eine binationale Sache, und ich hoffe, wir werden hier
       Verbündete.“
       
       Zum Hearing hatten Abgeordnete der regierenden Partei der
       Institutionalisierten Revolution eingeladen. Politisch bedeutet das nicht
       viel. Denn anders als ein Teil der Parlamentarier steht Mexikos Präsident
       Enrique Peña Nieto unverbrüchlich an der Seite der USA; er lehnt jede
       Legalisierung von Drogen ab.
       
       ## Die mexikanischen Friedensaktivisten
       
       Doch Lyman hat auch in Mexiko Verbündete – wenn auch keine mächtigen. Acht
       Aktivisten des Movimiento por la Legalización treffen sich einige Tage nach
       dem Hearing in einem Gemeindezentrum im Süden von Mexiko-Stadt. Überwiegend
       Studenten, einige Kirchenbewegte – sie bilden den mexikanischen Ableger von
       Lymans Organisation. „Jeden Tag sterben 23 Menschen durch Gewalt, die mit
       Drogen zu tun hat“, sagt Zara Snapp, eine in Mexiko geborene Amerikanerin.
       Seit Jahren ist sie in beiden Ländern in Sachen Legalisierung aktiv. „Einer
       pro Stunde, das kann kann man sich noch vorstellen. Aber 20.000, 50.000,
       100.000, das sind doch nur abstrakte Zahlen.“
       
       Das Grauen erfassbar machen, damit die Mexikaner Peña Nieto die Zustimmung
       für seinen Drogenkrieg entziehen, das ist das Anliegen der Gruppe. „Wir
       könnten eine Aktion mit 100.000 Stühlen machen für die Toten oder mit
       27.000 für die Verschwundenen“, schlägt Snapp vor. „Aber wo kriegen wir
       100.000 Stühle her?“
       
       In wenigen Tagen wollen sie durch die Stadt marschieren und die Freigabe
       von Marihuana fordern. Dieses Mal hofft die Gruppe auf mehr Resonanz, die
       Stimmung schlägt um. „Sogar der Expräsident von Mexiko, Vicente Fox, hat
       neulich gesagt, dass er in das Marihuana-Geschäft einsteigen will, sobald
       es legal ist“, sagt Andrés, ein Politikstudent.
       
       ## Zwiespältige Allianz
       
       Allein können die mexikanischen Legalisierer wenig ausrichten in einem
       Land, dessen Staatsdoktrin der Krieg gegen die Drogen ist. Deswegen haben
       sie sich der „Bewegung für den Frieden“ angeschlossen – das sind Menschen,
       die Angehörige im Drogenkrieg verloren haben. Doch die Allianz hat ihre
       Tücken. Als sich Znapp und ihre Freunde bei den Familien vorstellten,
       zeigten sich diese hocherfreut, junge Menschen dabei zu haben, die künftig
       durch die Schulen tingeln und „den Leuten erzählen, sie sollen aufhören,
       Drogen zu nehmen“, erzählt Andres. „Die haben überhaupt nicht verstanden,
       was wir wollen.“ Wie auch? „Die kriegen das hier von klein auf
       eingetrichtert: Drogen sind böse.“ Fast täglich gibt es in Mexiko neue
       Tote, stets heiße es dann: „,Die haben ihn umgebracht, weil er Marihuanero
       war‘. Als ob man jemanden deswegen töten dürfte“, sagt Andrés. „Die
       Mexikaner finden das normal.“
       
       Bei dem „Friedensbündnis“ ist neben den christlichen Kirchen auch
       Scientology vertreten – und agitiert für strikte Abstinenz. Vom letzten
       Treffen haben Andrés und Zara Materialien der Sekte mitgebracht. „Ökumene,“
       sagt Andrés achselzuckend. Los werden sie die Scientologen so schnell
       nicht. Sie nehmen sich vor, mit einer DPA-Broschüre dagegenzuhalten: Ein
       fiktiver Brief einer Mutter, die ihrem kleinen Kind schreibt, dass es schon
       okay sei, Drogen zu nehmen, ihm aber zugleich gute Ratschläge gibt. Als
       handle es sich um Sex.
       
       An der Demonstration durch die Innenstadt nehmen 8.000 Menschen teil.
       Kleine Motivwagen fahren vor dem Zug, es ist wie beim Karneval, doch es
       gibt nur ein einziges Thema. Die Demonstranten haben sich als
       Marihuanablätter verkleidet oder tragen große grüne Wasserpfeifen vor sich
       her. Die Polizei hält sich zurück. Am Ende der Kundgebung spielt eine
       schlecht abgemischte Heavy-Metal-Band. „Legalisierung – damit die Kugeln
       nicht eure Söhne treffen“ steht auf einem großen Transparent.
       
       Die Stuhlaktion ist ausgefallen, Andrés ist trotzdem zufrieden. „Letztes
       Jahr waren es nicht mal halb so viele“, stellt er fest. Auch das Medienecho
       fällt vergleichsweise positiv aus. „Die Zeitungen schreiben nicht mehr,
       dass die Junkies auf der Straße waren“, sagt Andrés. Die Forderung nach
       Legalisierung werde immer ernsthafter diskutiert. Seit drei Wochen
       debattiert das Parlament von Mexiko-Stadt eine Legalisierung, zumindest für
       die Hauptstadt. Präsident Peña Nieto zeigt sich davon unbeeindruckt – und
       verweist auf die Gesundheitsgefahren des Konsums. Die grausame Bilanz der
       Prohibitionspolitik werde dies beschleunigen, glaubt er. „Die Regierung
       redet die Sache gern klein.“ Sie spreche nur von den Leichen seit
       Amtsantritt Peña Nietos 2012. Davor seien jedoch schon rund 90.000
       gestorben. „Und es gibt keinen neuen Zähler“, sagt Andrés. „Niemand stellt
       die Uhr auf null.“
       
       24 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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