# taz.de -- Datensammelwut in Niedersachsen: Der kurze Draht zum Geheimdienst
       
       > Die niedersächsische Polizei hat nach Demonstrationen auch
       > personenbezogene Daten an den Verfassungsschutz weitergegeben. Ein
       > Göttinger klagt nun dagegen.
       
 (IMG) Bild: Gab es auch über diese Kundgebung einen Verlaufsbericht mit personenbezogenen Daten? Demonstration in Göttingen im November 2011.
       
       GÖTTINGEN taz | Schweigeminute um 18.10 Uhr, Redebeitrag von Rolf Bertram
       „zur Thematik Gorleben“ um 18.12 Uhr, Eintreffen eines Protest-Traktors um
       18.15 Uhr: Die Göttinger Polizei hat den Ablauf der Anti-Atom-Mahnwache am
       5. September 2011 genau protokolliert. Die Teilnehmer haben sich
       „friedlich, kooperativ, zum Teil provokativ“ verhalten, Zwangsmittel wurden
       keine angewendet. Um 20.11 Uhr wusste das alles auch der niedersächsische
       Verfassungsschutz, denn noch am Abend hat die Polizei ihr Protokoll nach
       Hannover geschickt.
       
       Seit 2005 macht die Polizei das in ganz Niedersachsen nach jeder
       Demonstration. Die Beamten fertigen nach einer Anordnung aus dem
       Innenministerium sogenannte Verlaufsberichte an, in denen der Demo-Ablauf
       detailliert geschildert wird. Das Ziel dieser Praxis ist es laut der
       Ministeriumsanordnung, „unverzüglich auf Entwicklungen und Ereignisse im
       Bereich der Inneren Sicherheit reagieren zu können“. So will das
       Ministerium „Lagebeurteilungen für zukünftige Einsatzanlässe auch im
       Bereich des polizeilichen Staatsschutzes“ erlangen, wie Sprecher Philipp
       Wedelich sagt.
       
       In diesen Berichten waren immer wieder Namen von Versammlungsanmeldern oder
       Rednern enthalten, wie nun der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam öffentlich
       machte. Er hat für einen 31-jährigen Demonstrationsanmelder Klage gegen die
       Weitergabe seiner personenbezogenen Daten vor dem Verwaltungsgericht
       eingereicht. Die Polizei hatte nicht nur seinen Namen an den
       Verfassungsschutz weiter gegeben, sondern auch ihre politische
       Einschätzung: Er sei „Führungsmitglied“ der Antifagruppe Redical M, heißt
       es in einem Protokoll zu einer Kundgebung gegen Nazi-Aktivitäten. Adam
       kritisiert, dass die Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst so
       unterlaufen würde: „Die standardmäßige Weitergabe von Informationen über
       die Ausübung des Versammlungsrechts an den Verfassungsschutz selbst bei
       kleinen und vor allem völlig friedlichen Demonstrationen widerspricht
       diesem Gebot und ist schlicht beängstigend.“
       
       Die Weitergabe der personenbezogenen Daten findet man inzwischen auch im
       niedersächsischen Innenministerium problematisch. Bereits vor zwei Jahren
       sei dies einem Mitarbeiter aufgefallen, so Sprecher Wedelich zur taz: „In
       allen Behörden wurde diese Verfahrensweise abgestellt, und sofern es solche
       Daten gegeben hat, sollten sie gelöscht sein.“ Dies werde auch von der
       Fachaufsicht kontrolliert.
       
       Offenbar jedoch nicht flächendeckend, wie ein Beispiel aus Göttingen zeigt.
       Denn das besagte Verlaufsprotokoll über die Antifa-Kundgebung stammt aus
       dem Januar 2013. „Das hätte nicht mehr passieren dürfen“, sagt
       Innenministeriumssprecher Wedelich dazu. Hat die Göttinger Polizei also
       entgegen der Anweisung aus dem Ministerium gehandelt? „Im Hinblick auf ein
       etwaiges Klageverfahren“ wollte die Polizei keine Stellungnahme abgeben.
       
       Auch die Namen der Medien, die Reporter zu den Ereignissen geschickt
       hatten, sind in den Polizeiprotokollen vermerkt. Das stößt auf
       Unverständnis: „Warum das sofort dem Verfassungsschutz gemeldet werden
       muss, als seien die Berichterstatter des Göttinger Tageblatts gefährliche
       Terroristen, erschließt sich mir nicht“, sagt zum Beispiel der Göttinger
       Polizeireporter Jürgen Gückel. Christian Röther, Chefredakteur vom
       Stadtradio Göttingen, findet es „fragwürdig“, dass die Anwesenheit von
       Medienvertretern von den Sicherheitsbehörden protokolliert wird: „Wir
       erwarten vom Innenministerium eine Erklärung darüber, zu welchem Zweck dies
       geschieht.“
       
       Das Ministerium ist darum bemüht, die Wogen zu glätten. Es würden in keinem
       Fall die Namen von anwesenden Journalisten notiert, sondern lediglich die
       der Redaktionen, betont Wedelich. Dies könne notwendig sein, „um im Zuge
       einer Nachberichterstattung noch einmal Kontakt aufzunehmen“.
       
       Ob diese Informationen auch in Zukunft an den Geheimdienst geschickt
       werden, ist fraglich, denn die aktuelle Landesregierung will das
       Verfassungsschutzgesetz reformieren. Innenminister Boris Pistorius (SPD)
       hatte dazu im vergangenen Herbst eine „Taskforce“ eingerichtet, die jetzt
       auch überprüft, ob die polizeilichen Verlaufsberichte weiterhin an den
       Verfassungsschutz übermittelt werden sollen.
       
       6 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benjamin Laufer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Verfassungsschutz
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Niedersachsen schränkt Geheimdienst ein: Verfassungsschutz wird überwacht
       
       Niedersachsen kontrolliert künftig, wer warum bespitzelt wird. V-Leute
       sollen früher abgeschaltet, Wohnräume nur noch von der Polizei ausgeforscht
       werden.
       
 (DIR) Überwachung in Niedersachsen: Daten müssen gelöscht werden
       
       Niedersachsens Verfassungsschutz hat Tausende Personen zu Unrecht
       ausspioniert. Er muss nun fast 40 Prozent der Personendaten löschen.
       
 (DIR) Überwachung: „Evident geheimhaltungsbedürftig“
       
       Das schleswig-holsteinische Innenministerium verweigert die Auskunft
       darüber, ob der Verfassungsschutz JournalistInnen ausgespäht hat.