# taz.de -- „The Amazing Spider-Man 2“: Ungebrochene Leidenschaft
       
       > Slapstick, Flugeinlagen und Hans Zimmers wahnsinniger Soundtrack: Marc
       > Webbs Spider-Man-Interpretation ist werkgetreuer und somit
       > jugendgerechter.
       
 (IMG) Bild: Der Gute: Spider-Man (James Garfield).
       
       Bei Superheldenfilmen kann man sich längst mindestens so ähnlich wie bei
       Klassikerinszenierungen am Regietheater fühlen. Es liegen grundverschiedene
       Interpretationen der kanonischen Texte – der klassischen Stücke oder eben
       Comicreihen – vor, die man miteinander vergleichen und gegeneinander
       abwägen kann.
       
       Bei „Spiderman“ ist das besonders deutlich. Regisseur Sam Raimi hat in
       seiner inzwischen klassischen dreiteiligen Version (2002–2007) mit Tobey
       Maguire in der Hauptrolle mit Charme und Ironie die Spiderman-Geschichte
       und vielleicht sogar die Superheldenmythen insgesamt auch für ein
       hedonistisch-intellektuelles Publikum erschlossen. Stets lag ein
       Augenzwinkern über den Rettungseinsätzen des Helden, und seine
       Selbstfindungsprobleme mit dem eigenen Superheldenstatus bildeten den Kern
       der Handlung.
       
       Mit „The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro“ kommt nun der zweite Teil
       der Neuinterpretation durch den Regisseur Marc Webb in die Kinos. In 3-D,
       was Marc Webb vor allem in den Flugszenen weidlich ausnutzt – und
       Flugszenen sind wichtig in Superheldenfilmen; schließlich geht es in ihnen
       auch immer um Wunscherfüllung (auch bei Sam Raimi waren sie großartig).
       
       Vor allem setzt sich Marc Webb von der Grunddramaturgie her anders ins
       Verhältnis zur Vorlage. Es ist ungebrochener als bei Sam Raimi,
       werkgetreuer. Webb vertraut dem klassischen Spiderman-Mythos mehr, was
       sicher auch auf der Linie des Lizenzgebers Marvel liegt; der Comicverlag
       spielt ja in etwa die Rolle, die die Brecht-Erben in der deutschen
       Theaterlandschaft einnehmen – was ihnen nicht ins Bild passt, wird, wenn
       möglich, behindert.
       
       „The Amazing Spider-Man 2“ bietet so eine gegenüber den subtilen Brechungen
       Raimis naivere, dafür aber wahrscheinlich exklusiver auf eine jugendliche
       Zielgruppe zugeschnittene Interpretation. Das ist im Grunde auch ganz
       sympathisch. Nur langweilt man sich halt als aufgeklärter erwachsener
       Kinogeher zwischendurch immer mal ein bisschen. Vor allem in den
       melodramatischen Beziehungsszenen zwischen Peter Parker alias Spiderman
       (Andrew Garfield) und seiner großen Liebe Gwen Stacy (Emma Stone), die
       schon sehr ernsthaft ausgespielt werden.
       
       Entschädigt wird man durch einige herrlich alberne Slapstickmomente, etwa
       wenn sich Spiderman mit seinen Spinnwebdrüsen verschlafen statt des
       klingenden Handys einen Schraubenschlüssel heranangelt, der ihm prompt
       gegen den Kopf knallt. Und wenn man nachvollzieht, was für eine Mühe sich
       alle Beteiligten gegeben haben, kann man sich einen großen Respekt vor
       dieser Produktion auch nicht verwehren.
       
       ## Analoge knallt besser
       
       Er lohnt sich unbedingt, die Produktionsnotizen zu studieren und einmal
       gewissermaßen einen Blick unter die Motorhaube so einer US-amerikanischen
       Großproduktion zu werfen. Es ist wirklich fast irre, wie viel Aufwand da
       getrieben wird. So sind die Flugszenen selbstverständlich
       computergeneriert, aber der große Crash eines riesigen Lastwagens wurde
       ganz analog in Szene gesetzt. Das knallt einfach immer noch doller. Durch
       Computer wird die Tricktechnik also nicht berechenbarer, im Gegenteil. Man
       muss genau kalkulieren, wo man sie einsetzt und wo man auf die gute alte
       Art zurückgreift.
       
       Vollkommener Wahnsinn ist, was beim Soundtrack passiert. Die Oberhoheit
       hatte der Schwere-Zeichen-Musiker Hans Zimmer. Normalerweise bedeutet das
       volle Deckung vor wagnernden Hörnern. Aber in dieser Produktion arbeitet er
       mit so unterschiedlichen Könnern wie Pharrell Williams („Happy“) und dem
       großen Gitarristen Johnny Marr (früher The Smiths) zusammen – und zwar
       gleichzeitig! –, was dann mal eben ein Gutteil der musikalischen
       Entwicklung seit den Beatles abdeckt. Die Musik kann immer wieder ein
       zeitgemäßes Flair erzeugen, entwickelt in den Actionszenen aber auch einen
       gewaltigen Sounddruck.
       
       Und auch die Rückwendung zur jugendlichen Kernzielgruppe verdankt sich
       nicht einfach einem Marktkalkül, sondern wird interpretatorisch an eine in
       sich stimmige Sicht auf die Spiderman-Figur zurückgebunden. Sie ist hier
       der ältere Jugendliche oder jüngere Erwachsene, der seine Erfahrungen erst
       noch machen und sein Verhältnis zu sich, seinem Körper und den
       gesellschaftlichen Erwartungen erst noch finden muss. Da ist auch
       Leidenschaft für eine genaue Lesart des Marvel-Kosmos im Spiel.
       
       In manchen Artikeln wurde zuletzt gefragt, warum wir in Deutschland nicht
       so großartige Fernsehserien wie die US-Amerikaner hinkriegen. Hierauf gibt
       dieser Film eine gute Antwort. Die Amerikaner geben sich schlicht unendlich
       viel mehr Mühe; so viel Aufwand und Erfindungsreichtum betreiben Deutsche
       nur bei Autos und Wagner-Inszenierungen.
       
       Dass der Film als Ganzes dann aber doch nur als gute Unterhaltung
       funktioniert, liegt, glaube ich, an dramaturgischen
       Richtungsentscheidungen. So transportiert er die eher jugendliche Sicht,
       dass man – wenn man manche Verluste erfahren und manche Entscheidungen
       getroffen hat – tatsächlich ein für alle Mal man selbst und erwachsen
       werden kann; während Sam Raimis „Spiderman“ offen war für die eher
       erwachsene Erfahrung, dass Erwachsensein ein ständige Kampf ist, der einen
       ein Leben lang begleitet und mal besser und mal schlechter gelingt.
       
       Und es liegt an den Gegenspielern. Harry Osborn, aus dem der Grüne Kobold
       werden wird, hat wenig Raum; der wahre Böse ist eher die dunkle
       Wissenschaft der Firma Osborn selbst. Und bei der Figur des Electro wurde
       manches verschenkt. Was für eine großartige Idee ist es, sie mit Jamie Foxx
       zu besetzen und konsequent aus der Wut eines kleinen Angestellten zu
       motivieren, der in der weißen Businesswelt der Großkonzerne missachtet und
       überhaupt gar nicht wahrgenommen wird (inklusive Anspielungen an Ralph
       Ellisons Romanklassiker „Invisible Man“).
       
       Die Entwicklung hin zu Electro ist visuell großartig umgesetzt, aber
       dramaturgisch zu eng an der Leine geführt. Man nimmt als Zuschauer eher die
       Idee wahr, als die notwendige willing suspension of disbelief hinzukriegen.
       
       16 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Knipphals
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Superhelden
 (DIR) Marvel Comics
 (DIR) Jean-Luc Godard
       
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