# taz.de -- Ausstellung in Berlin: Folter auf Porzellantellern
       
       > Die Ausstellung „The Ukrainians“ in der DAAD-Galerie zeigt, dass die
       > Putin-Invasion in der Ukraine eine lange Vorgeschichte hat.
       
 (IMG) Bild: Protest auf dem Maidan: Oleksandr Melnyk hat alles im Blick.
       
       BERLIN taz | Patsch. Mit sattem Klatschen landet eine Qualle auf dem Sand
       eines sonnigen Strandes. Und, patsch, patsch, noch eine und noch eine.
       Untermalt werden die Bauchlandungen der gallertartigen Nesseltiere, die da
       ins Bild plumpsen, von Flugzeuggeräuschen. Im Hintergrund sind zwei Fischer
       zu sehen.
       
       Der Sinn der Videoarbeit des ukrainischen Künstlers Mykola Ridnyis ist
       schnell dekodiert, wenn man weiß, dass sich der Strand, über den dieses
       Quallengewitter hereinbricht, in der Krim befindet: eine visuelle Metapher
       der russischen Annexion der Halbinsel, kein Zweifel. Doch dann erfährt man,
       dass das Video von 2008 stammt.
       
       Aus Anlass der dreisten russischen Invasion der Krim haben sich viele
       deutsche Intellektuelle Vorwürfe gemacht, dass man die russischen
       Befindlichkeiten und die geistige Lage in diesem Land zu lange
       vernachlässigt habe.
       
       Vielleicht hätte aber auch die genauere Kenntnis der Weltsicht der Ukrainer
       dabei geholfen, die gewaltsame Übernahme der Krim vorherzusehen, die den
       Westen nun so kalt erwischt hat. Offenbar gab es dort bereits vor sechs
       Jahren Befürchtungen über eine militärische Invasion der Russen, wie sie
       die beschriebene Videoarbeit kaum verschlüsselt formuliert.
       
       ## Neue Einsichten
       
       Zu sehen ist die Arbeit in einer Gruppenausstellung der Berliner
       DAAD-Galerie, die zeitgemäßer kaum sein könnte: „The Ukrainians“ zeigt
       zeitgenössische Kunst aus dem Land, in dem derzeit ein neuer, gar nicht so
       kalter Krieg seinen Ausgangspunkt zu nehmen scheint. Dass die Ausstellung
       ausgerechnet an dem Wochenende eröffnet wurde, an dem in der Ukraine die
       Präsidentschaftswahlen stattfanden, ist dabei eher dem Zufall geschuldet,
       wie Kuratorin Bettina Klein sagt.
       
       Eine für diesen Termin ursprünglich geplante Veranstaltung musste
       verschoben werden. Der ukrainische Künstler Yuri Leidermann, der in Berlin
       lebt, hatte Pläne für eine Ausstellung aus gegebenen Anlass. In kurzer Zeit
       entstand nun eine Ausstellung, die neue Einsichten in die Situation in der
       Ukraine liefert.
       
       Dabei ist Ridnyis’ Video „Seacoast“ nicht die einzige Arbeit, die lange vor
       der gegenwärtigen Krise entstand, aber heute besonders aktuell wirkt. Schon
       1994 schuf Boris Mikhailov eine Installation, die sich auf die verwaisten
       „roten Ecken“ in vielen öffentlichen Gebäuden in der Ukraine nach der
       Unabhängigkeit bezog. Hier waren einst Porträts sowjetischer Führer zu
       sehen, die mit Blumen geschmückt wurden.
       
       Mikhailov versuchte, sich eine ukrainische Version dieser politischen
       Hausaltäre vorzustellen: dekoriert mit einer roten Nelke sind in einer
       Kiste, die in den ukrainischen Nationalfarben gelb und blau bemalt ist, die
       drei Buchstaben zu sehen, die das ukrainische vom russischen kyrillischen
       Alphabet unterscheiden. Deutsche Putin-Versteher, die die Existenz eines
       ukrainischen Nationalstaats bestreiten, sollten einen Blick in die Holzbox
       werfen.
       
       ## Maidan-Porträts
       
       Auch eine Arbeit von Ausstellungsinitiator Leiderman von 2007 ist eine Art
       privater Voodoo-Zauber gegen ukrainische Politiker, die er zu dieser Zeit
       als die Beton-Köpfe wahrnahm, die „den Weg der Ukraine nach Europa
       behinderten“. Ihre mit Wasserfarben gemalten Porträts sind auf eine
       ukrainische Flagge genäht – als eine Methode, sie „handlungsunfähig zu
       machen.“ Gewirkt hat der Bannfluch offensichtlich nicht.
       
       Aber immerhin gibt die Arbeit einen Hinweis darauf, dass bereits vor Jahren
       die Stagnation der ukrainischen Politik von ihren wacheren Beobachtern
       wahrgenommen wurde – lange bevor sich diese Frustration in den
       Demonstrationen auf dem Maidan in Kiew entluden.
       
       Auch „Procedure Room“ von Nikita Kadan – Souvenir-Porzellanteller, auf
       denen Illustrationen der Foltermethoden der ukrainischen Polizei im Stil
       eines medizinischen Handbuchs aufgedruckt sind – zeigt, dass im Staate
       Ukraine schon lange vor den Maidan-Demonstrationen etwas sehr, sehr faul
       war.
       
       Direkt vom Maidan kommen aktuelle Arbeiten: Olesia Khomenko zeichnete
       Porträts der Demonstranten auf Papier. Ein Stapel der
       Kohlepapier-Durchschläge ihrer Skizzen ist nun in Berlin zu sehen.
       Oleksander Melnyk, der eigentlich für seine traditionellen Ölbilder bekannt
       ist, stand monatelang mit einem Transparent auf dem Maidan.
       
       Auf der Vorderseite war, altmeisterlich in Öl gemalt, ein Paar Augen zu
       sehen, darunter steht: „Ich sehe, was ihr tut.“ Auf der Rückseite heißt es
       schlicht und an die Demonstranten gerichtet: „Ihr seid wunderbar. Ich liebe
       euch.“ Zuletzt, als der Maidan gewaltsam geräumt wurde, wurde der Künstler
       durch Gummigeschosse der Polizei verletzt. Das ebenfalls von Projektilen
       durchlöcherte Transparent steht im der Zimmerstraße zugewandten Fenster der
       DAAD-Galerie.
       
       Wann und wie wird rohe politische Gewalt zum Element eines Kunstwerks, das
       im sicheren Berlin kulinarisch genossen werden kann? In einer Kunstszene,
       in der allzu direkte Bezüge auf die Wirklichkeit durch Diskurs und Referenz
       entschärft werden, mag eine Arbeit wie „Negotiation Table“ von Lada
       Nakonechnas zu grob, zu agitatorisch wirken: Porträts von
       zusammengeschlagenen Demonstranten mit notdürftig zusammengeflickten
       Wunden, die auf einem Kaffeetisch im Kreis einander zugewandt stehen. Aber
       all das hat es gegeben.
       
       Das Wichtigste an dieser Ausstellung ist wohl die Möglichkeit zum Dialog
       mit Menschen, die eine Binnenperspektive auf das geopolitische Geschehen
       liefern können, das für die nächsten Jahre das Äquivalent dessen sein
       werden, was 9/11 für die nuller Jahre war. Ein ausführliches Rahmenprogramm
       gab und gibt dazu Gelegenheit.
       
       27 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tilman Baumgärtel
       
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