# taz.de -- Buch über den „Euromaidan“: Während Europa schlief
       
       > Der Band „Euromaidan“ vereint Reportagen mit Essays und
       > Hintergrundanalysen zu einem eindrucksvollen Gesamtbild von der Lage in
       > der Ukraine.
       
 (IMG) Bild: Maidan: Der Platz der Unabhängigkeit war das Zentrum des Protests gegen Wiktor Janukowitsch.
       
       Der Band „Euromaidan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht“ ist so
       aktuell, wie ein gedrucktes Buch überhaupt nur sein kann. Im Februar wurde
       der Band geplant, die Texte wurden im März geschrieben. Sie stammen von
       SchriftstellerInnen und Intellektuellen sowie von Experten für
       osteuropäische Politik und Geschichte, insgesamt einer sehr internationalen
       Autorenschaft.
       
       Juri Andruchowytsch, Suhrkamp-Autor und in Deutschland inzwischen eine
       anerkannte intellektuelle Autorität in Sachen Ukraine, hat den Band
       zusammengestellt und eröffnet ihn mit einem Text aus eigenem Erleben. Im
       westukrainischen Iwano-Frankiwsk beheimatet, verbrachte der Autor fast den
       ganzen Dezember in Kiew, um auf dem Maidan zu demonstrieren.
       
       Im Februar, während in Kiew die Barrikaden brannten und viele Menschen
       getötet wurden, war Andruchowytsch mit einer kleinen Wandertheatertruppe in
       der Ukraine unterwegs und berichtet in einer eindrücklichen
       Parallelhandlung von dieser Tournee mit ihrem blutigen Rahmenprogramm.
       
       Auch andere Beiträge zu Beginn des Bandes liefern umfassende
       Augenzeugenberichte von den Ereignissen um den Maidan, darunter ein Text
       der [1][Bachmannpreisträgerin Katja Petrowskaja], die in Kiew geboren
       wurde. Wie andere AutorInnen, die zur Zeit des Maidan in Kiew waren,
       berichtet auch Petrowskaja von chronischen Schlafproblemen, von der Angst,
       Ereignisse zu verpassen.
       
       ## Albträume der Aktivisten
       
       Die Autorin Kateryna Mishchenko erklärt den Euromaidan zum Anlass für die
       „Rückkehr aus meiner inneren Emigration“ und steht damit wohl
       stellvertetend für viele Intellektuelle. Sie erzählt von Entführungen, die
       sie um ein Haar miterlebt hätte, von Albträumen der Aktivisten, von
       Antimaidan-Propaganda in den Zeitungen und von öffentlichen Hetzreden des
       Antimaidan gegen Homosexuelle und vor allem Obdachlose: „Sie ereiferten
       sich, dass Obdachlose genauso wie andere Bürger auf dem Maidan warme
       Kleidung erhielten, dass sie umsonst essen und ihnen kostenlose
       medizinische Versorgung zuteil wurde. Was für ein Zynismus!“
       
       Ähnlich eindrucksvoll in dem Vermögen, persönliches Erleben mit allgemeinen
       Beobachtungen zu verbinden, ist der Text „Vier Monate Winter“ von Serhij
       Zhadan, dem in diesem Band nicht zuletzt deshalb ein besonderer Stellenwert
       zukommt, da Zhadan aus dem Donbass stammt und in Charkiw wohnt, sein
       Blickwinkel daher geografisch ein anderer ist als der aller anderen
       AutorInnen dieses Buches.
       
       Zhadan erzählt von Charkiw, wo immerhin einige Tausend
       Euromaidan-Aktivisten zusammenkamen. „So viele Demonstranten hat es in
       Charkiw zuletzt 2004 gegeben, während der Orangenen Revolution.“ Die Russin
       Alissa Ganijewa steuert aus Moskau eine Sichtweise von noch weiter östlich
       bei, verzweifelt über die politische Naivität der Mehrheit ihrer
       Landsleute, die nur allzu bereitwillig der Propaganda der staatsgelenkten
       Medien Glauben schenken.
       
       Die persönlich gehaltenen Berichte der Schriftsteller werden ergänzt durch
       Beiträge von Osteuropa-Historikern. Der Amerikaner Timothy Snyder stellt
       den multinationalen Aspekt der Maidan-Proteste heraus, erläutert auch die
       Rolle, die der „rechte Sektor“ dabei gespielt hat. Dieses Thema wird
       vertieft in einem hochinteressanten Beitrag des in London lebenden
       Ukrainers Anton Shekhovtsov, der die Rolle der rechten Gruppierungen unter
       dem Aspekt der gesteuerten „Polittechnologie“ sehr eingehend erklärt.
       
       Der überraschendste Text stammt von dem Polen Andrzej Stasiuk. Er handelt
       nicht von der Ukraine, sondern von Sibirien und der russischen Ostgrenze,
       und ist eine teils poetische, teils satirische Annäherung an die oft allzu
       forsche russische Auffassung von Geopolitik.
       
       Irgendwo da hinten, wo russisches Niemandsland an chinesische
       Konsum-Glitzerwelt grenzt, war Stasiuk vor ein paar Jahren unterwegs und
       traf auf einen Taxifahrer, der über den russischen Einmarsch in Georgien
       nur sagte, das sei doch weit weg. „Was würde er heute über die Krim sagen?
       Bestimmt auch, dass die Krim schon immer russisch war. Dass sie jedenfalls
       erst unter russischer Herrschaft Anschluss an die zivilisierte Welt
       gefunden habe. Und bei diesen Worten hätte er leidenschaftslos die
       goldblinkenden Wolkenkratzer jenseits des Stacheldrahts betrachtet.“
       
       2 Jun 2014
       
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