# taz.de -- Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann ...
       
       > ... sieht sich in älteren Jahren negierenden Tendenzen ausgesetzt, die es
       > genüsslich zu beschreiben gilt.
       
       Der homosexuelle Mann hat keine Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren. Das
       Alter gilt ihm gar nichts. Außer als Argument dafür, anderen den Mund zu
       verbieten. Ich werde 64 in diesem Jahr und schreibe meine monatliche
       Kolumne seit 1985, zunächst in der Siegessäule, später im einstigen
       Schwulenmagazin Magnus. Dort wurde ich von einem Tag auf den anderen
       gestrichen, Begründung: zu alt. Ich war damals gerade 44. Seit 1995
       erscheinen meine 100 Zeilen jetzt an dieser Stelle, und von schwuler Seite
       sind die Reaktionen darauf von Beginn an immer die gleichen: „Alter Mann,
       halt’s Maul!“ Da wird nicht argumentiert, aber jedes Rederecht verweigert.
       
       Vor ein paar Jahren forderte ein Berliner Schwulenaktivist die
       Chefredaktion dieser Zeitung auf, mir endlich die Kolumne zu verbieten, da
       müsste mal ein Jüngerer ran. Und kürzlich lästerte der Schriftsteller
       Philipp Tingler in seinem Blog für den Zürcher Tages-Anzeiger über den
       „rüstigen älteren homosexuellen Herrn Kraushaar“. Auch hier wieder: zu alt.
       Aber noch rüstig – wenigstens das!
       
       Gleich ganz zum Verschwinden brachte mich vor ein paar Tagen der
       Propagandist einer neuen urbanen Schwulenbewegung, David Berger. Auf
       Facebook musste er seine Anhänger aufklären, wer eigentlich dieser
       Kraushaar sei. Ein paar ältere Schwule würden den Namen noch kennen,
       schrieb Berger, der habe ein paar Bücher geschrieben in den 1980ern. Und
       was habe ich seitdem gemacht? Seniorenstift? Pflegestufe zwei?
       
       Ja, was machen alte Schwule eigentlich? Was wird ihnen noch erlaubt, noch
       zugestanden? In der Freizeit ein bisschen Oper und darauf warten, dass Liza
       Minelli noch einmal in die Stadt kommt. Oder sich in separaten Gruppen
       treffen zum gemeinsamen Kniffeln oder dem Sonntagsspaziergang rund um den
       nächsten See.
       
       Für das bisschen untenrum gibt es die Fetischnischen – Leder, Gummi,
       Uniform – wobei die zweite Haut nur recht mühsam die vergilbte darunter
       kaschiert. Andernfalls trifft man sich in Berlin im weitläufigen
       Tiergarten, im Senioreneck, wo kein junger Mann hinkommt, außer er ist
       Bulgare, 17 Jahre und braucht das Geld. Hier kommen Gleichgealterte zur
       kollektiven Masturbation zusammen, eine körperliche Ertüchtigung an
       frischer Luft, so wie es die AOK empfiehlt.
       
       Und politische Aktionen? Da sollten die alten Herren gleich ganz zu Hause
       bleiben. „Raus aus den Clubs – rein in die Straßen“ heißt die Parole der
       neuen Jugendbewegung: nachts ins Berghain und am Tag mit bunten Fahnen
       durch die Stadt. Diesen Rhythmus macht kein altes Herz mehr mit, ein
       „Generationswechsel“ findet statt, freut sich Guru Berger, engagiert und
       kreativ kann demnach nur die Jugend sein und niemand sonst.
       
       „You never think about getting older. Before you know it“, heißt ein
       aktueller US-Dokumentarfilm über alte Schwule. Und in der Tat: Schwule
       Männer fühlen sich ewig jung, attraktiv und begehrenswert. Das ist
       notwendiger Teil ihrer Identität. Bis ein paar richtig Junge um die Ecke
       kommen und sie eines Besseren belehren. Mit Nachdruck.
       
       2 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elmar Kraushaar
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Homosexualität
 (DIR) Schwulenbewegung
 (DIR) Senioren
 (DIR) Homosexualität
 (DIR) Zeitungssterben
 (DIR) Homophobie
 (DIR) Schwerpunkt LGBTQIA
 (DIR) Akif Pirinçci
 (DIR) Sexuelle Identität
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann ...
       
       ... verliert sein traditionell wichtigstes Medium zur Kontaktaufnahme: die
       Kleinanzeige. Die neuen Datingportale sind unschlagbar schnell.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann …
       
       … verliert zunehmend seine journalistische Begleitung. Dabei gibt es einen
       eigenständigen schwulen Journalismus noch gar nicht so lange.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann…
       
       ... ist ein Wesen mit übernatürlichen Kräften, wenn man seinen Feinden
       glaubt. Er kann Fluten auslösen und ganze Länder zugrunde richten.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann...
       
       … ist Teil der LGBT-Community. Aber wer gibt den Ton in der Gemeinde der
       Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transmenschen an?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann ...
       
       … kann nicht gemütlich homosexuell sein, wenn es dem homophoben Nachbarn
       nicht gefällt. Zuletzt auffällig geworden: der Autor Akif Pirinçci.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann ...
       
       ... macht eine Rolle rückwärts nach der anderen. Er tritt der idiotischen
       Idee von der „Umerziehung“ entgegen. Denn schwul wird nur, wer selbst
       mitarbeitet.