# taz.de -- Folge der Gezi-Park-Proteste: Richter sollen Angst machen
       
       > Wegen der Organisation von Demos stehen in der Türkei Ärzte und
       > Architekten vor Gericht. Sie sollen eine „kriminelle Vereinigung“
       > gegründet haben.
       
 (IMG) Bild: Proteste anlässlich des ersten Jahrestags der Gezi-Demonstrationen in Istanbul
       
       ISTANBUL taz | „Wir lehnen diese Anklage ab. Wir werden weiter für
       Bürgerrechte und Demokratie kämpfen.“ Mücella Yapici, eine der
       Hauptangeklagten in dem am Donnerstag in Istanbul begonnenen Verfahren
       gegen die Organisatoren der Gezi-Proteste, nahm politisch Stellung zu den
       Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. „Nicht wir haben Gewalt ausgeübt, die
       Polizei hat geschlagen, mit Tränengas Leute verletzt und die Zelte
       friedlicher Protestler verbrannt. Diese Polizeigewalt gehört auf die
       Anklagebank“, sagte sie.
       
       Insgesamt 26 Mitglieder des Taksim-Solidaritätsvereins, des Dachverbands
       von rund 100 Bürgerinitiativen, die sich im letzten Jahr gegen die Bebauung
       des zentralen Geziparks in Istanbul zusammengeschlossen hatten, stehen seit
       gestern vor Gericht. Damit wird den wichtigsten Organisatoren des
       Widerstands gegen Erdogans Politik in Istanbul der Prozess gemacht. Fünf
       von ihnen, darunter Yapici, von Berufs wegen Vorsitzende der Istanbuler
       Archtiktenkammer, werden der Rädelsführerschaft angeklagt: Sie sollen eine
       „kriminelle Vereinigung“ gegründet haben.
       
       „Die Vorwürfe sind juristisch völlig haltlos“, sagte Anwalt Turgut Kazan.
       „Der einzige Sinn dieses Prozesses ist es, den Leuten Angst zu machen.“
       
       Zweimal hatten zwei unterschiedliche Gerichte Anfang dieses Jahres die
       Eröffnung eines Verfahrens gegen die Mitglieder der Taksim-Solidarität
       abgelehnt. Zu vage erschien den Richtern die Beweislage, zu weit hergeholt
       die Vorwürfe. Im Kern geht es um nichts weiter als Aufrufe zu
       Demonstrationen und die Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen. Erst
       im dritten Anlauf gelang es der Staatsanwaltschaft, wohl auch unter
       erheblichem politischem Druck, eine modifizierte Anklage bei einem Gericht
       durchzusetzen.
       
       ## Hunderte versammelten sich vor Gerichten
       
       Mehrere hundert Menschen versammelten sich gestern vor dem Gerichtsgebäude,
       um den Angeklagten zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Bei einer
       improvisierten Pressekonferenz wiesen auch sie die Anklage als rein
       politisch motiviert zurück. Tatsächlich will die Regierung ein Exempel
       statuieren, um weiteren Aufruhr gegen den autoritären Kurs von
       Ministerpräsident Tayyip Erdogan gar nicht mehr aufkommen zu lassen.
       
       Obwohl den Angeklagten bis zu 15 Jahre Haft drohen, traten sie gestern
       erstaunlich selbstbewußt auf. Ali Cerkezoglu, wie Yapaici von der Justiz
       als „Rädelsführer“ eingestuft, zählte in seiner Stellungnahme die vielen
       von der Polizei verwundeten Demonstranten auf. Cerkezoglu, der der
       Standesvertretung der Istanbuler Mediziner angehört, klagte seinerseits die
       Polizeibrutalität an und kritisierte die Kriminalisierung von Medizinern,
       die während der Proteste Erste Hilfe für verwundete Demonstranten geleistet
       hatten.
       
       Der Vorsitzende Richter ließ gestern vor Gericht die Angeklagten frei und
       unbehelligt reden, was in türkischen Gerichtssälen nicht immer die Regel
       ist. Sogar Beifall von den Zuschauern wurde geduldet. Ob das jedoch ein
       Zeichen im Sinne der Angeklagten ist, muss sich erst noch erweisen. Mit
       einem Urteil ist erst in den kommenden Wochen zu rechnen.
       
       12 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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