# taz.de -- Kriminologe Maelicke über Reformstau: „Weniger ist mehr“
       
       > Die Rückfallquote für Straftäter ist hoch. Der Kriminologe Bernd Maelicke
       > plädiert darum dafür, in Hamburg Personal umzuschichten: vom Vollzug in
       > die Resozialisierung.
       
 (IMG) Bild: Die Resozalisierung der Inhaftierten kommt zu kurz: Mitarbeiterin in einer Hamburger JVA.
       
       taz: Herr Maelicke, Sie waren für Justizvollzug zuständig – und sagen, dass
       viele Jugendliche erst dort kriminell werden. Wie geht das zusammen? 
       
       Bernd Maelicke: Die Frage ist, ob es etwa im Jugendvollzug sinnvoll ist,
       gewaltbereite Jugendliche, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen
       kommen und häufig selbst Opfer gewesen sind, in großer Zahl - bis zu 600
       pro Anstalt - zu inhaftieren und zu glauben, dass daraus problemlösende
       Gemeinschaften werden.
       
       Es gibt daneben ja Angebote und Vorgaben der Anstalt, die einen positiven
       Einfluss haben sollen. 
       
       Natürlich wird die Zeit der Inhaftierung durch zahleiche Bildungs- und
       Erziehungs-programme genutzt. Neben der offiziellen Erziehungskultur der
       Anstalten sind die Jugendlichen aber weitgehend unter sich, zum Beispiel in
       vielen Situationen in der Freizeit, auf den Stationen, in den Werkstätten
       und dort haben sie eigene subkulturelle Regeln, dort findet Gewalt statt,
       da gibt es sexuelle Übergriffe und Drogenhandel. Das lässt sich in keiner
       Anstalt vollständig vermeiden.
       
       Sollte man also weniger Straffällige in den Strafvollzug schicken? 
       
       Es geht darum, Folgeschäden der Freiheitsentziehung zu reduzieren. Es gibt
       schwerste Delikte, wo allein aus Gründen der Normverdeutlichung Haftstrafen
       verhängt werden müssen, gleiches gilt für gefährliche Straf- und
       Wiederholungstäter. Aber man muss sehr sorgfältig prüfen, wer in den
       Gefängnissen sitzt mit welchen positiven und negativen Wirkungen.
       
       Nämlich? 
       
       Das beste Beispiel sind immer noch die Ersatzfreiheitsstrafer, die
       tatsächlich häufig Eierdiebe und Schwarzfahrer sind, die die Geldstrafe
       nicht zahlen können. Sie machen bis zu zehn Prozent der Inhaftierten aus.
       Auch Drogenabhängige brauchen häufiger Therapien statt Freiheitsstrafen.
       Grundsätzlich gilt: Je mehr Straftäter inhaftiert werden, um so höher sind
       die Rückfallquoten nach der Entlassung und desto weniger wirksam ist das
       gesamte Reso-System. Weniger ist mehr.
       
       Bundesweit werden 70 Prozent der Straftäter nach der Entlassung rückfällig.
       Gibt es überhaupt Ideen, was man im Strafvollzug selbst anders machen
       könnte? 
       
       Als ich in Schleswig-Holstein für die Innovation der ambulanten und
       stationären Resozialisierung zuständig war, konnten wir die stationäre
       Resozialisierung mit ambulanten Eingliederungsprogrammen verzahnen. In
       unserer kleinen Jugendanstalt mit Dorfcharakter in Schleswig mit 100
       Haftplätzen haben wir das zum Beispiel weitgehend umgesetzt. In Hamburg hat
       man ein solches Verbundsystem nicht: Da führen die Vollzugsanstalten
       weitgehend ein Eigenleben , Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Freie
       Straffälligenhilfe ebenso.
       
       Lassen sich die schleswig-holsteinisch ländlichen Verhältnisse überhaupt
       auf einen Stadtstaat wie Hamburg übertragen? 
       
       Hamburg hat als Stadtstaat eher Vorteile: die größte Entfernung zu den
       verschiedenen Vollzugsanstalten beträgt maximal 60 Kilometer. Hamburg wäre
       eine bestens geeignete Region, um nach einem „Masterplan Resozialisierung“
       die Wirksamkeit der ambulanten und stationären Maßnahmen zu steigern , wie
       wir es als Fach-Kommission vorgeschlagen haben.
       
       Sie kritisieren, dass deren wesentliche Reformvorschläge nicht umgesetzt
       worden sind. Woran liegt das? 
       
       Es gibt in Hamburg kein Gesamtkonzept des Justiz- und des Sozialressorts
       für die ambulante und stationäre Resozialisierung. Wir haben über hundert
       Vorschläge erarbeitet, die zeigen, dass eine intensive Entwicklungsarbeit
       notwendig ist. Viel zu wenig wurde getan bei der Zusammenarbeit an den
       Schnittstellen zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten, Vollzug,
       Strafvollstreckungskammern, Gerichts- und Bewährungshilfe ,
       Führungsaufsicht und Freie Straffälligenhilfe. Ein Gesamtkonzept, eine
       durchgehende Betreuung und Kontrolle, mit nachhaltiger Strategie zentral zu
       entwickeln und zu steuern - da liegt in Hamburg das Problem.
       
       Liegt es am Geld? 
       
       Darum geht es nur indirekt. Hamburg hat in den letzten Jahren 40 Prozent
       weniger Gefangene und aus meiner Sicht im bundesweiten Vergleich einen
       großen Personalüberhang im Vollzug. Dort ist man traditionell sehr gut
       ausgestattet, gleichzeitig ist die Bewährungshilfe sehr schlecht
       aufgestellt - im Bundesvergleich auf dem letzten Platz. Von daher müsste
       man nicht mehr Geld ausgeben, sondern Ressourcen umschichten.
       
       Warum tut man das nicht? 
       
       Es gibt in Hamburg bundesweit einmalige Resssortzuständigkeiten: hier ist
       die Gerichts- und Bewährungshilfe beim Sozialressort und nicht bei der
       Justiz angesiedelt – eine Fehlentscheidung des unsäglichen Justizsenators
       Dr. Kusch. Die Justiz müsste nun Stellen aus dem Überhang im Vollzug an das
       Sozialressort abgeben - ich habe lange genug in bürokratischen Strukturen
       gearbeitet, so etwas geschieht nicht freiwillig.
       
       Was sind die Folgen? 
       
       Deshalb hat man eine sehr schlechte Fallzahl-Ausstattung bei der Gerichts-
       und Bewährungshilfe wie auch bei der Führungsaufsicht - und folgerichtig
       Fälle wie den aktuellen mit dem entlassenen Sexualstraftäter, der über 70
       mal gegen die Auflagen der Führungsaufsicht verstoßen hat. Die jetzige
       Resozialisierungspolitik in Hamburg gefährdet so letztlich die Sicherheit
       im Stadtstaat , es könnte viel mehr getan werden, um die Rückfallgefahr zu
       reduzieren. Ich wundere mich immer wieder, dass der Erste Bürgermeister
       dies geschehen lässt.
       
       19 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Gräff
       
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