# taz.de -- Energie: Und ewig locken die Netze
       
       > Die Vergabe des Gasnetzes läuft noch, da steht die nächste Entscheidung
       > an: Wer bekommt das Stromnetz?
       
 (IMG) Bild: Der Strom und der Kampf um die lange Leitung
       
       Eine Stunde hat Wolfgang Neldner, der Mann, der gerade das Vergabeverfahren
       um Berlins Gasnetz gewonnen hat, erklärt, gestikuliert, auf Papier
       gezeichnet. Jetzt gönnt er sich den ersten Schluck – kalt gewordenen –
       Kaffee. „Was wir vorhaben, das hat es in Berlin noch nicht gegeben“, sagt
       er.
       
       Ein Vormittag im Juni in den Räumen der Technischen Universität. Neldner,
       Chef des Landesunternehmens Berlin Energie, sitzt mit TU-Professor Kai
       Strunz zusammen. Wofür Neldner Profi in der Praxis ist, dafür ist Strunz
       eine akademische Koryphäe: der Betrieb von Energienetzen für Strom, Gas,
       Wärme und Wasser. Neldner hat bei Strunz ein Gutachten in Auftrag gegeben,
       das den Sinn von Neldners Plan bestätigen soll: die verschiedenen Netze aus
       einer Hand zu betreiben. „Damit kann Berlin zu einer Leitregion bei der
       Energiewende werden“, sagt Strunz.
       
       Die Möglichkeit ist da, dass Strunz’ und Neldners Vision Wirklichkeit
       werden könnte. Derzeit kümmern sich zwar noch die landeseigenen
       Wasserbetriebe um das Wasser, Vattenfall um die Stromversorgung, und die
       Gasag – noch – um das Gasnetz. Doch sowohl die Konzession für das Strom-
       als auch das Gasnetz hat der Senat ausgeschrieben – wie es per Gesetz alle
       20 Jahre vorgeschrieben ist (siehe Kasten). Und für beides hat der Senat
       mit Berlin Energie ein neu gegründetes Landesunternehmen ins Rennen
       geschickt. So hatte es der rot-schwarze Senat im Juni beschlossen, auch
       wenn die CDU inzwischen der Meinung ist, die Gasnetzvergabeentscheidung von
       Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, von der SPD benannt) nur zur
       Kenntnis genommen zu haben – keinesfalls aber „zustimmend“
       
       Ob der Finanzsenator Verfahrensfehler gemacht und Berlin Energie
       möglicherweise bei der Vergabe bevorteilt hat – wie es ihm die CDU vorwirft
       –, müssen jetzt Gerichte entscheiden: Die Gasag hat Klage gegen die
       Vergabeentscheidung eingereicht. Verständlich – zu lukrativ ist der Gewinn
       aus dem Netzbetrieb.
       
       Neldner, der Gewinner, der sich noch nicht als solcher feiern darf, war vor
       dem Chefposten bei Berlin Energie für die elektrische Wiedervereinigung von
       Ost und West zuständig. Jetzt will er mit knapp 60 Jahren noch einen Traum
       verwirklichen: der Energiewende durch die Bündelung von Berlins
       Energienetzen neuen Schwung zu geben.
       
       Dafür bemalt er an der TU Papier mit Skizzen, zehn DIN-A4-Seiten in einer
       Stunde. Sein liebstes Schaubild: ein Diagramm mit steil ansteigender und
       dann steil abfallender Kurve – die Verfügbarkeit von Sonnen- und Windstrom
       im Tagesverlauf. „Die Masse an Naturstrom wird in Zukunft weiter kräftig
       wachsen“, sagt er. Neldners Idee: diese Ressource effektiver zu nutzen,
       wenn sie zur Tagesmitte hin in Massen vorhanden ist, und für nachts zu
       speichern. „Ein großer Netzbetreiber mit Schlagkraft hilft da viel mehr als
       verschiedene kleine, die sich erst miteinander abstimmen müssen“, sagt er.
       
       In Neldners Vorstellungen und im Gutachten des Wissenschaftlers Strunz
       fließt der tagsüber erzeugte Naturstrom nicht nur in die Steckdosen der
       Verbaucher – sondern in Gas-, Wärme- und Batteriespeicher. Er treibt die
       Pumpen der Wasserwerke an, versorgt das komplett zu elektrifizierende
       Busnetz der BVG. Und wer ein neues Haus baut, zu dem käme ein einziges
       Unternehmen, um Leitungen für Wasser, Strom, Gas sowie schnelles Internet
       zu legen –und dabei gleich noch die Photovoltaikanlagen auf dem Dach zu
       integrieren. „Die Synergien sind so was von evident“, sagt Neldner.
       
       Synergien: Davon spricht auch der Mann, der bis Ende 2015 Chef des
       Stromnetzes in Berlin ist. Helmar Rendez, Geschäftsführer der
       Vattenfall-Tochter, steht auf einer Brache nahe dem Alexanderplatz, in der
       Straße klafft ein Loch. Rendez zeigt auf ausgegrabene Kabel: „8.000 solcher
       Baustellen haben wir jedes Jahr.“ Stromkabel, Glasfaserkabel, ein
       Kunststoffrohr der Telekom und ein nicht mehr gebrauchtes Gasrohr liegen in
       dem Schacht frei. Die Brache soll bebaut werden, der Bauherr hat um die
       Beseitigung von Kabeltrassen gebeten.
       
       In solchen Fällen werden Synergien in Berlin schon gehoben, so Rendez’
       Botschaft: Seit 2010 betreiben Vattenfall und Gasag ein gemeinsames
       Onlineportal. Wer Arbeiten an einem Kabel vornehmen lassen muss, der kann
       per Formular eine Anfrage stellen.
       
       Freilich geht es hier um die Koordination von Wartungsarbeiten an
       bestehenden Netzen – und nicht um Neuanschlüsse für Strom, Gas, Wasser und
       Internet aus einer Hand, wie sie Neldner vorschweben. Rendez’, der gern
       Stromnetzchef über 2015 hinaus bleiben würde, ist da naturgemäß skeptisch:
       einem so jungen Unternehmen wie Berlin Energie das Stromnetz zu
       überantworten? „Die Bundesnetzagentur hat uns bescheinigt, dass wir das
       Stromnetz Berlins mit 100 Prozent Effizient betreiben. Es gibt in
       Deutschland viele kommunalen Netzbetreiber, die diese Quote nicht
       erreichen.“
       
       Doch das Gasnetzverfahren hat Vattenfall gezeigt: Berlin meint es ernst mit
       der Kommunalisierung seiner Netze. Der – anders als in Hamburg – nur knapp
       gescheiterte Volksentscheid im vergangenen November über die
       Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung war ein starker Indikator
       für die Stimmung in der Stadt.
       
       Doch momentan läuft erst einmal das Vergabeverfahren, und dieses sieht
       mehrere Optionen für die Zukunft vor: Entweder Berlin Energie oder
       Vattenfall betreiben das Netz allein. Oder aber eines von beiden
       Unternehmen erhält die Konzession in Kooperation mit einem Partner – für
       Berlin Energie käme dann Vattenfall oder die Genossenschaft BürgerEnergie
       Berlin (BEB) infrage. Auch Vattenfall könnte mit der Genossenschaft
       kooperieren.
       
       Allerdings hat die BEB bereits klargemacht, nur Partner von Berlin Energie
       werden zu wollen: „Öffentliche Hand und Bürgerhand Hand in Hand, das ist
       unser Ziel“, sagt Vorstand Luise Neumann-Cosel.
       
       Eine Pressekonferenz der BEB, einige Tage zuvor ist der Erfolg von Berlin
       Energie beim Gasnetz bekannt geworden: Neumann-Cosel sitzt neben ihrem
       Aufsichtsratschef Hartmut Gaßner. „Wir sind sehr erfreut über den Ausgang
       des Gasverfahrens“, sagt sie.
       
       Zwar war die BEB bei der Gasnetzvergabe gar nicht angetreten. Doch es gebe
       seit Längerem intensive Gespräche mit Berlin Energie: Man wolle sich nicht
       nur am Strom-, sondern auch am Gasnetz beteiligen. „Der Senat muss nur
       zugreifen“, sagt Neumann-Cosel.
       
       Neldner hatte bereits vor Monaten in der taz bestätigt, für eine
       Zusammenarbeit mit der Genossenschaft „sehr, sehr offen“ zu sein. Bei der
       Pressekonferenz wirbt Aufsichtsratschef Gaßner um den Wunschpartner: „Wir
       wollen Gremien und Budgets, um aus einem sicheren Stromnetz einen
       zusätzlichen Motor für die Energiewende zu machen. Und wir haben jede Menge
       Ideen und Partner aus unserem Netzwerk dafür.“
       
       Klingt wie ein Angebot, das Wolfgang Neldner nicht ausschlagen könnte. Doch
       der muss jetzt erst einmal nach dem Gas- auch das Stromnetzverfahren
       gewinnen. Alles andere wäre für den Gaskönig ohne Netz wohl ein
       Stehenbleiben auf halber Strecke.
       
       8 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Puschner
       
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