# taz.de -- Zwischenbilanz des Lampedusa-Protests: Herr Udo tanzt
       
       > Vor anderthalb Jahren kam Asuquo Okono Udo mittellos nach Hamburg. Heute
       > ist er ein Organisator des Lampedusa-Protests. Doch um ihn herum hat sich
       > viel geändert.
       
 (IMG) Bild: Flüchtlinge, in der Mitte Asuqou Udo und Unterstützer: bei einer Pressekonferenz der Gruppe "Lampedusa in Hamburg" im Juni auf St. Pauli
       
       HAMBURG taz | Als [1][er im letzten Jahr auf diesem Platz] hinter dem
       Hamburger Hauptbahnhof stand, mit fleckiger Daunenjacke und all seinem
       Besitz in einer Plastiktüte, da hätte Asuquo Okono Udo nie gedacht, dass er
       hier einmal synchron tanzen würde. Noch viel weniger hätte er wohl den
       Grund dafür erraten: Politik. Udo hat viel gelernt über Deutschland.
       
       Dieser Julitag ist wolkenlos. Über den Köpfen von knapp 900 Menschen steht
       die Sonne senkrecht. Die Frauen tragen kurze Hosen und manche Männer haben
       ihre T-Shirts ausgezogen, Beats wummern aus Boxen und ein Mann verteilt
       Wimpel. „We are here to stay“ steht darauf: „Solidarität mit Lampedusa in
       Hamburg“. Udo steppt.
       
       Die Füße vor und zurück, er wiegt die Hüfte, im Takt der Männer neben ihm,
       die dasselbe tun. Sie tragen gleichfarbige Hemden und Hosen, rot und grau,
       sie haben das hier einstudiert: der europäische Grenzkonflikt, getanzt.
       Eine Performance von Hamburger Künstlern. Die Symbolik ist wichtig, haben
       sie Udo erklärt, politisch. Das hat er jetzt schon öfter gehört.
       
       300 Flüchtlinge, vor dem libyschen Bürgerkrieg nach Italien geflohen,
       bitten den Stadtstaat Hamburg seit anderthalb Jahren um ein Bleiberecht.
       Denn in Italien herrscht Wirtschaftskrise, dort finden sie weder Arbeit
       noch Obdach. Hier hätten sie eine Zukunft – wenn der SPD-Senat wollte. Doch
       er will nicht.
       
       Wegen dieser Berichte gehen die Menschen in Hamburg regelmäßig auf die
       Straße, mehr als 10.000 waren es im vergangen Herbst. Dies ist auch die
       Geschichte von Asuquo Okono Udo und er muss sie immer wieder erzählen,
       damit es so bleibt.
       
       ## Mitgliedausweis Nummer 1
       
       In einem Zimmer mit Balkon zum Hafen ist Udo zwischen die Kissen einer
       Couch gesunken und erklärt das Elend. „Wir leben auf der Straße“, sagt er,
       „offiziell sind wir 300.“ Die Größe der Lampedusa-Gruppe, wie sich die
       Flüchtlinge seit Beginn ihres Protests nennen, ist eine politische Größe.
       Als Libyen-Vertriebene wollen sie eine humanitäre Sondergenehmigung – für
       die ganze Gruppe, und nur für diese.
       
       Denn auf Hamburgs Plätzen, Parks und Straßen trifft Udo mittlerweile viele
       Männer, die erst vor ein paar Monaten aus Italien gekommen sind. Sie
       flüchteten ebenfalls aus Libyen und besitzen dieselben europäischen Papiere
       wie die Lampedusa-Mitglieder. Ein Teil der Gruppe sind sie deshalb aber
       noch lange nicht. Udo zieht eine laminiertes Papier aus seinem
       Portemonnaie: „Lampedusa in Hamburg“, Ausweisnummer 1.
       
       Deutsche Polizisten wollen Karten sehen, hat Udo begriffen. Nach einem Jahr
       Protest hat das Symbol „Lampedusa“ in dieser Stadt einen Wert. Wer zeigen
       kann, dass er dazu gehört, lebt sicherer. Hier zählt jetzt der symbolische
       Ausweis – das erklärt er auch den Neuen. Er schreibt ihre Namen auf eine
       Liste, für später vielleicht.
       
       Asuquo Okono Udo ist 49 Jahre alt, doch er wirkt jünger. Er trägt
       Turnschuhe und Jeans, manchmal Baseballkappen. Seine Schritte sind zügig,
       in den Flur, zum Aufzug. Er lebt in diesem Haus am Hafen, weil sich hier
       viele Leute für Politik interessieren: Genossenschafter sind hier,
       Künstler. „Ich darf hier wohnen, weil ich politisch so hart arbeite“, sagt
       Udo.
       
       Hinter dem Hauptbahnhof, wo Udos Geschichte begann, steht heute ein Mann,
       der sich Alfred nennt. Alfred war in Libyen Schweißer, bevor er nach
       Italien flüchtete und vor ein paar Monaten nach Hamburg. Sein Hemd ist
       kariert, seine Haut rau – er ist 29 Jahre alt, doch er wirkt älter.
       
       ## Gemeinsam warten
       
       Das weiße Partyzelt, das Lampedusa-Unterstützer im vergangenen Jahr als
       Mahnwache errichteten, steht noch immer. Dass es bereits einen Winter
       überstanden hat, zeigen die grau gewordenen Schaumstoffplatten, die vor den
       Zeltwänden klemmen. Statt auf dem Asphalt stehen die Männer, die wie Alfred
       jeden Tag hierher kommen, mittlerweile auf ausgerolltem Fliesen-Imitat. Sie
       treffen sich hier, um gemeinsam zu warten, auf Arbeit, auf ein Wunder, auf
       die Politik.
       
       Abends geht Alfred zu dem [2][Haus, das hier alle „Kitchen“ nennen].
       Bierbänke stehen in einem Raum neben zwei Kickertischen. Über Sofalehnen
       hängen Füße, einige Männer holen hier Schlaf nach, andere laden ihr Handy
       auf. Alfred holt sich einen Teller Kartoffeln.
       
       Diesen Raum stiftet die Kirche, Alfred könnte es an den Fotos erkennen: Ein
       Pastor steht vor der St.-Pauli-Kirche und blickt in die Kamera, drei
       Afrikaner stehen neben ihm. Er hat Flüchtlinge im vergangenen Sommer in
       seiner Kirche schlafen lassen und später in Containern vor dem
       Gemeindehaus. Doch das alles war vor Alfreds Zeit. Er weiß nicht, was die
       Männer meinen, wenn sie „Duldung“ sagen.
       
       Bevor die Kirche Anfang Juni die letzten Wohncontainer abtransportierte,
       riet sie den Flüchtlingen, sich bei der Ausländerbehörde zu melden. Für die
       Zeit des Asylverfahrens werden sie „geduldet“ und bekommen einen Platz in
       einer Unterkunft.
       
       Rund ein Drittel der Lampedusa-Gruppe ging auf das Angebot ein. Asuquo
       Okono Udo nicht. Er will die Gruppengenehmigung vom Senat, nach wie vor.
       
       ## Es geht um die Marke
       
       Einige der ersten Plakate hängen noch, Udo sieht sie jedes Mal, wenn er
       durch den Stadtteil St. Pauli nach Hause geht: Das [3][Foto von Fatih
       Akin], Regisseur, einem deutschen Promi im Kapuzenpulli. „Wir sind
       Lampedusa“, steht darunter. So funktioniert es hier, erklären ihm die Leute
       aus dem Künstlerhaus und die Flüchtlingsaktivisten, die er trifft. Es gehe
       immer um die Bilder, Signale. Um die Marke „Lampedusa“.
       
       Udo vertraut darauf.
       
       Das [4][Logo für den FC Lampedusa], ein symbolischer Fußballverein, den
       eine FC-St.-Pauli-Trainerin betreut: ein Anker, verschmolzen mit einer
       erhobenen Faust.
       
       Die Initiative der Gewerkschaft Ver.di: 185 symbolische Mitgliedsausweise –
       und Ver.di-Fahnen bei jeder Demo.
       
       Eine leer stehende Schule im Karolinenviertel, die Aktivisten am 1. Mai
       besetzten, um symbolisch für die Idee eines „Refugee Welcome Centers“ zu
       werben – einige Stunden lang.
       
       Alfred verbringt die Nächte in Parks und die Tage auf der Suche nach einem
       schwarz bezahlten Job. Es ist nicht ganz einfach, jemandem wie ihm
       nahezubringen, was Symbolpolitik bedeutet. Es ist ja schon schwer genug für
       Asuquo Okono Udo. Seit er Libyen verlassen hat, schickt er seiner Frau kein
       Geld mehr. Über politische Protestformen telefoniert er mit ihr selten.
       
       ## Bezahlte Kritik
       
       Wenn Ted Gaier über Erfolge spricht, wählt er am liebsten dieses Beispiel:
       „[5][Wir haben ein gekochtes Ei gegen die deutsche Botschaft in Athen
       geworfen].“ Gaier ist Musiker, er spielt in der Hamburger Band Goldene
       Zitronen und er choreografiert das Schwabinggrad-Ballett: subversiver
       Polit-Tanz. Seit sie [6][die Flüchtlinge mit ins Boot] geholt haben, nennen
       sie es manchmal „Schwampedusa“.
       
       Die Senat-kritische Einlage auf der Demonstration hinter dem Hauptbahnhof
       wollen sie ausbauen: zu einem Schauspiel im Theaterhaus Kampnagel. Mit den
       Flüchtlingen und mit Kulturförderung vom Senat, natürlich. „Das ist
       Demokratie“, sagt Gaier: „Man wird dafür bezahlt, dass man kritisiert.“
       
       Für deutsche Künstler funktioniert das. Asuquo Okono Udo hat für seine
       Kritik auch nach anderthalb Jahren noch kein Geld vom Senat bekommen.
       
       20 Jul 2014
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [5] http://www.youtube.com/watch?v=Vg_VPGrD9rw
 (DIR) [6] http://vimeo.com/100057909
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristiana Ludwig
       
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