# taz.de -- Ausstellung „No Country for Young Men“: Tod eines Mythos
       
       > Die Ausstellung „No Country for Young Men“ im Brüsseler Kunstpalast Bozar
       > zeigt Arbeiten griechischer Künstler. Sie reagieren auf die Krise in
       > ihrem Land.
       
 (IMG) Bild: Ein Mythos geht baden: Panos Kokkinias, „Yiorgis“, 2011.
       
       Eine wütende Menschenmenge mit roten Fahnen, die sich verzweifelt einer
       Phalanx behelmter Polizisten mit Schlagstöcken in der Hand entgegenwirft.
       Zwischen den feindlichen Gruppen weht ein langes Spruchband. Das Foto des
       Künstlers Alkis Konstantinidis aus dem Jahr 2010 bringt das Bild auf den
       Punkt, das der Rest Europas in den letzten Jahren von Griechenland hatte:
       ein von heftigen Kämpfen erschüttertes, ein zweigeteiltes Land.
       
       Konstantinidis’ Arbeit, Teil einer seit 2010 andauernden Serie mit dem
       Titel „The Years of Crisis“, gehört noch zu dem dokumentarischsten Part der
       Ausstellung „No Country for Young Men“. Darin versucht Katerina Gregos das
       politische, ökonomische und kulturelle Drama in ihrer Heimat Griechenland
       ästhetisch aufzuarbeiten.
       
       32 Künstler hat die Kuratorin, seit zwei Jahren auch Direktorin der Art
       Brüssel, dazu in den Kunstpalast Bozar eingeladen. Zeitgleich mit der
       griechischen Ratspräsidentschaft der EU kontrastiert sie damit die
       offizielle Kunstausstellung des griechischen Staats, „Nautilus: Navigating
       Greece“, die ebenfalls im Bozar zu sehen ist. In ihr kommt der Zustand
       „Krise“ kaum vor.
       
       Das Wechselverhältnis von Politik und Kunst gehört zu Gregos’
       Spezialitäten. Im Sommer 2012 erregte sie mit der Ausstellung „The State of
       Human Rights“ zum Thema Menschenrechte im belgischen Mechelen Aufsehen. Im
       gleichen Jahr kokuratierte sie die Manifesta im belgischen Kohleort Genk.
       In der Brüsseler Ausstellung bietet die 1967 in Athen geborene Gregos
       erneut eine sehenswerte Mischung politisch inspirierter Ästhetik auf.
       
       ## Verlust von Perspektive
       
       Der Titel der Ausstellung ist dem Titel des 2005 erschienenen Roman „No
       Country for Old Men“ des US-amerikanischen Schriftstellers Cormac McCarthy
       entlehnt. Doch um den Exodus der Jugend allein – 64 Prozent der jungen
       Griechen unter 25 Jahren haben keine Arbeit, betont Gregos – geht es in den
       wenigsten Arbeiten.
       
       Eher steht das Motto für den Verlust von Perspektive generell. Wie man an
       Panos Kokkinias’ Fotoarbeit „Yiorgis“ aus dem Jahr 2011 sehen kann. Ein
       junger griechischer Tsolias – Angehöriger der Ehrengarde des Präsidenten –
       treibt darauf rücklings in traditionell griechischer Bekleidung: weißes
       Pluderhemd, bestickte Weste und Stiefeln mit roten Gamaschen in der
       perfekten Urlaubskulisse der türkischen Ägäis – Sinnbild für das Ende eines
       Mythos.
       
       Kokkinias’ Bild belegt: Die Schau erschöpft sich keineswegs in
       Sozialrealismus und Agitprop. Was man angesichts des Hardcore-Verismus, für
       den der Name McCarthy steht, ja denken könnte. Die Mischung aus Wut, Gewalt
       und Hoffnungslosigkeit, die den Kern der griechischen Krise ausmacht, ist
       zwar in allen Werken zu spüren. Zumeist überführen die beteiligten Künstler
       sie aber in eine metaphorische Ästhetik.
       
       ## Ironische Anklagen
       
       Ob man nun Poka-Yios Arbeit „Boney-Ass Blue“ aus dem Jahr 2011 nimmt. Oder
       Manolis Anastasakos’ und Alexandros Vasmoulakis’ Video „Study for a Riot“
       aus dem Jahr 2010. Einmal hängt die griechische Fahne in Fetzen billigen,
       blau-weißen Stoffs. Im zweiten Werk zerspringt bei einer Performance in
       einer stillgelegten Keramikfabrik eine WC-Schüssel in tausend Einzelteile.
       Das rote Pulver, mit dem die Scherben bedeckt werden, ruft das blutige Ende
       vieler Demonstrationen auf.
       
       Die Anklagen gegen die Akteure des internationalen Finanzsystems kommen mal
       ironisch daher: Michalis Kallimopoulos lässt in seinen Wasserfarbenbildern
       „Here Come the Investors“ von 2009 eine Armada grinsender Eierköpfe in
       kleinen Papierbooten griechischen Boden ansegeln. Mal geht es um die
       gefährlich verschobenen Maßverhältnisse des Politischen.
       
       Die Länderbewertungen von Rating-Agenturen wie Moody’s nimmt Antonis Pittas
       mit einer Architekturinstallation auf. „Caa3“ nennt er sie, nach einer der
       Bewertungen Griechenlands. In der Arbeit eingelassen ist die Fotografie der
       Decke des griechischen Parlaments. Ceiling – die englische Vokabel für die
       Länderbewertung bedeutet auch Decke – ruft den Souverän in Erinnerung, der
       bei diesen Finanzmanövern am Ende meist auf der Strecke bleibt.
       
       Dass „No Country for Young Men“ keinen durchgehenden roten Faden hat,
       schadet nichts. Ein kohärentes Narrativ würde dem realen griechischen Chaos
       kaum gerecht. Insofern stimmt auch die Ausstellungsarchitektur von Danae
       Giamalaki. Der Besucher irrt durch ein klaustrophobisches Holzlabyrinth,
       das die Designerin in die Hallen gebaut hat. Wie es sich in einem Labyrinth
       gehört, gibt es keinen eindeutigen Ausweg aus dem Dilemma.
       
       ## Defensiv oder assoziativ?
       
       Man kann den defensiven Weg wählen, auf den Zissis Kotionis mit seiner
       Soundinstallation A.D.A.P.T. anspielt. Der mit einem Mikrofon bewaffnete
       „Apparat zum Schutz gegen Polizei-Terror“ aus vier recht- und dreieckigen
       Holz- oder Metallpaneelen kann zum Schutz gegen die Polizei verwandt, zu
       einem Zelt oder zum „Speaker’s Corner“ umgebaut werden.
       
       Man kann aber auch den assoziativen Weg wählen. Die Posterserie „Festive
       Activities“ von Maria Papadimitriou erinnert an ihr Projekt „Souzy Tros“.
       Auf einer urbanen Brache am Stadtrand von Athen konnten Menschen oder
       Gruppen zusammen, arbeiten, kochen, reparieren oder tauschen – bescheidener
       Vorschein dessen, was der italienische Philosoph Giorgio Agamben einmal
       „die kommende Gemeinschaft“ genannt hat.
       
       24 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arend
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Kunst
 (DIR) Krise
 (DIR) Griechenland
 (DIR) Politische Kunst
 (DIR) Ausstellung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kuratorin der Thessaloniki-Biennale: „Respekt ist nicht das richtige Wort“
       
       Katerina Gregos über dereguliertes Denken, fragwürdige Souveränität, die
       Verantwortung der Griechen und die Rolle der Kunst in historischen Krisen.
       
 (DIR) Politisches Kunstprojekt: Eine neue Work-Life-Balance
       
       In Thessaloniki fragt das deutsch-griechische Kunstprojekt „Tempus
       Ritualis“ nach neuen Formen der Vergemeinschaftung in Zeiten der
       politischen Krise.
       
 (DIR) Rundgang durch die Künste: Junge Radikale
       
       Am Wochenende öffnen Ateliers und Arbeitsräume der Universität der Künste
       und der Kunsthochschule Weißensee ihre Türen.
       
 (DIR) Ausstellung „Urformen“ in Metz: Die Schönheit des Propellers
       
       In der großartigen Schau „Urformen“ beschwört das Centre Pompidou in Metz
       die Suche nach der reinen Form. Nur ihr Unterton ist leicht konservativ.