# taz.de -- HipHop in Deutschland: Verkaufst du Drogen?
       
       > Deutscher Rap ist schon lange Zeit bürgerlich. Was heute Gemüse ist, hieß
       > früher Müslirap. Die Exprostituierte Schwesta Ewa gehört nicht dazu.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus dem Video zu „Märchenrapper“ von Schwesta Ewa.
       
       Nicklas Baschek macht sich Sorgen um den Zustand von HipHop in Deutschland.
       Sein polemischer Essay, [1][der kürzlich in der taz erschien], las sich
       schon fast als Verschwörungsszenario: Eine „feindliche Übernahme“ des
       HipHop sei im Gange, und zwar durch Trojanische Pferde mit Pandamasken und
       scheußlichem Indierock-Pathos. Sie entwendeten den „gesellschaftlich
       Ausgeschlossenen“ die Codes. Und rappten sich straight aus der bürgerlichen
       Mittelschicht ins Feuilleton. Schrecklich. Und was macht jetzt die
       „Community“?
       
       Nun ja, die macht das, was sie immer macht: ihr eigenes Ding. Produziert
       und konsumiert über YouTube neue Rapper, die von Straße und vom Ticken
       erzählen und deren bleierne Beats sich genauso gut im rebellischen
       Kinderzimmer pumpen lassen wie im BMW 7er oder auf der Hantelbank. Der
       Erfolg von Wohlfühlrappern wie Cro und Prinz Pi bedeutet nicht, dass es sie
       nicht mehr gibt, die brutalen Geschichten und Attitüden vom unteren Rand
       der Gesellschaft.
       
       Im Gegenteil, HipHop ist wieder in aller Munde und davon profitiert nicht
       zuletzt Gangsta-Rap, Straßen-Rap oder wie auch immer man das Genre nennen
       will. Denn in Zeiten des großen Röhrenjeans-Raptums bedarf es nichts so
       sehr wie eines Gegenstandpunkts. So werden die Codes eben zugespitzt,
       verfeinert mit einem Vokabular, das ein Casper nicht mal auszusprechen in
       der Lage wäre. Türkische, arabische und serbokroatische Wörter sind
       selbstverständlicher Teil einer Sprache geworden, die sich
       selbstermächtigend „Kanackis“ (sprich: Kanackisch) nennt und für deren
       Zugang der Wert eines Abiturs gegen null strebt.
       
       ## Exotisierender Blick
       
       Dass Mainstreammedien nur ein bedingtes Interesse an der sogenannten
       Unterschicht haben, nämlich wenn es darum geht, einen exotisierenden Blick
       aufs Milieu zu werfen, ist nicht neu. Es erklärt auch, warum die neuen
       braven Gesichter uns als Inbegriff von gelungenem HipHop verkauft werden.
       So darf der biodeutsche Emo-Rapper nämlich im Öffentlich-Rechtlichen als
       „Künstler“ abhängen und live performen, während dem Offenbacher „Babo“
       Haftbefehl von FAZ bis Spiegel TV nur Platz gemacht wird, um die immer
       gleichen Fragen zu stellen: Bist du Antisemit? Verkaufst du Drogen?
       
       Schlimm ist das nicht, denn Haftbefehl lebt vom Outlaw-Image ganz gut,
       stellt für das nächste Hochglanzvideo einen Banküberfall nach und nennt
       sich „King Julius Cesar“. Die Frankfurter „Azzlack“-Kollegen Celo & Abdi
       zitieren „Street Fighter“ auf dem neuen Album „Akupunktur“ und steigen
       damit auf Platz 3 in die Charts ein – in der selben Woche, in der Cro von
       der 0 auf die 1 schießt.
       
       Nun könnte man über die Kaufkraft beider Zielgruppen spekulieren, wäre es
       nicht längst so, dass Zielgruppen sich vermischen. Celo & Abdi rappen „Fuck
       Yolo“ auf einem Track mit dem Hashtag-Hippie MC Fitti. Haftbefehl schockt
       seine Fans, indem er einen Part auf dem neuen Cro-Song droppt. Wieso auch
       nicht? Nachfrage bestimmt das Angebot. Selbst auf Anna-Lisas Kopfhörern
       läuft jetzt „Nuttöö“ vom deutsch-afghanischen Rapper Ssio, während sie voll
       ghetto-chic mit Plastikgoldkette ins Germanistikseminar stolpert.
       
       ## Weg in den Mainstream
       
       Die Frage ist ohnehin nicht, ob beides auf dieselbe Playlist gehört. Rapper
       mit Gemüseabo gibt es nicht erst seit Prinz Pi und Marteria. War es nicht
       die bürgerliche Mittelschicht, die Deutschrap überhaupt im Mainstream
       etablierte?
       
       Keine Frage, HipHop wurde in Deutschland zuerst von Migrantenkindern
       adaptiert, als es in den Achtzigern aus den USA über den Atlantik
       schwappte. Es gab Advanced Chemistry mit „Fremd im eigenen Land“ und die
       „Sexy Kanacken“ von Fresh Familee. Bei RHP und Charnell konnte man schon
       eine Art Blaupause für den Straßen-Rap erkennen. Doch welche Künstler
       wurden in den Neunzigern dann abseits von Szene und Untergrund tatsächlich
       sichtbar? War es nicht ein „von hinten wie von vorne A-N-N-A“ säuselnder
       Stuttgarter namens Max Herre? Oder die Pinneberger von Fettes Brot mit dem
       grausig-hymnischen „Nordish by Nature“, die kulturelle Unterschiede mit
       Stäbchen und Lachs bezeichneten?
       
       Der Gemüserapper von heute, einst hieß das Müslirap und nannte sich
       Freundeskreis, Blumentopf oder Eins Zwo. Insofern ist es nicht
       verwunderlich, dass Casper und Cro nun als abgeflachte Versionen große
       Hallen füllen. Deutschland liebte seine privilegierten Wortakrobaten immer.
       Überraschender ist doch, dass es jemanden wie Haftbefehl gibt, dessen
       Ausdruck „Babo“ zum Jugendwort des Jahres gekürt wird. Denn Gangsta-Rap
       wurde hierzulande erst durch Aggro Berlin markttauglich gemacht. Und das
       ist gar nicht so lange her.
       
       ## Erste rappende Exprostituierte
       
       Wenn früher jemand sagte, „ich höre nur deutschen HipHop“, dann war damit
       das smarte Rucksack-Volk gemeint, bloß nicht der dumme Gangsta-Scheiß aus
       den Staaten. Heute bedeutet deutscher HipHop (zum Glück) nicht automatisch
       Eierkuchen und Studentenparty. Auch eine Schwesta Ewa, Deutschlands erste
       rappende Exprostituierte, offenbart ihre Lebenswelt und wird dafür
       gleichermaßen gefeiert wie gehasst.
       
       Da sind sie, die authentischen Figuren, die Nicklas Baschek vermisst, wenn
       er abfällig bemerkt, dass die Gangsta von heute zu abgeklärt und ironisch
       seien. Dass aber auch der Gangsta nur Performer und Wortwitz eine
       maßgebliche Kategorie von Rap ist, lässt er genauso außer Acht wie den
       wesentlichen Unterschied, der zwischen Ironie und Satire besteht.
       
       Wenn schon Gangsta, dann bitte undistanziert und doof? Nein, zum Glück hat
       das Feuilleton noch keine Deutungshoheit darüber, was die „Community“
       bewegt. Die hat nämlich endlich eine eigene Stimme gefunden, die doppelt
       und dreifach marginalisiert sein mag. Ja, aber überhören lässt sie sich
       nicht mehr.
       
       25 Aug 2014
       
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