# taz.de -- Deutsche Rapperin Fiva: Evolution und nicht Biologie
       
       > Fiva geht mit ihrem neuen Album „Alles leuchtet“ auf Tour. Die Münchnerin
       > hat sich maximale künstlerische Freiheit erkämpft.
       
 (IMG) Bild: Wenn Fiva ihre Texte schreibt, muss es leise sein, damit sie ihren Gedanken zuhören kann.
       
       Fiva trägt gern Kleider, hochgeschlossen und nicht zu kurz. Dazu
       Turnschuhe, Pony und Pferdeschwanz. Mädchenhaft wirkt das, beinahe züchtig,
       wäre da nicht das verschmitzte Lächeln. Ihr Gang ist schwebend. Fast wäre
       sie Balletttänzerin geworden. Fast. Fiva ist Rapperin.
       
       Sie kommt aus München und heißt eigentlich Nina Sonnenberg. Ihr Herz gehört
       dem HipHop, seit sie mit 17 zum ersten Mal auf einem Jam war. Es ist das
       Jahr 1995 und deutschsprachiger HipHop kommt groß raus: Die drei Rapper der
       Münchener Crew Main Concept haben gerade ihr Debütalbum „Coole Scheiße“
       herausgebracht und veranstalten HipHop-Partys in der bayerischen
       Landeshauptstadt. An einem dieser Abende freestylen Der Tobi und Das Bo auf
       der kleinen Münchener Jam-Bühne – später waren sie Fünf Sterne Deluxe. Nina
       Sonnenberg steht im Publikum.
       
       „In diesem Moment hat sich ein extremes Feuer in mir entfacht, das bis
       heute brennt“, sagt sie. „Ich wünsche jedem Menschen, dass er in seiner
       Pubertät so entflammt. Egal womit, von mir aus mit Extremtennisspielen. Bei
       mir war es HipHop.“ Heute ist Fiva 35 und hat soeben ihr neues Studioalbum
       herausgebracht: „Alles leuchtet“.
       
       Ein Jahr hat Fiva an den Songs geschrieben. Fürs Texten hat sie eine feste
       Routine: Um 21 Uhr fängt sie an und hört meist nicht vor 4 Uhr auf.
       Ungestört muss sie sein, wenn sie in ihrem Arbeitszimmer sitzt, am
       Schreibtisch ihrer Großmutter, bei offener Balkontür. Niemand darf auch nur
       im Nebenzimmer sitzen. Sie muss sich leise stellen, damit sie ihren
       Gedanken zuhören kann.
       
       Fiva ist ein Freak, wenn es ums Schreiben geht. „Ich brauche dieses Büro,
       ich brauche diesen Schreibtisch“, sagt sie, „Ich sitze dort und starre vor
       mich hin, bis der Flow kommt.“ Jeder Text hat seinen eigenen Wortschatz.
       Den sammelt sie über das Jahr hinweg in einem kleinen Notizbuch.
       
       ## Längst erwachsen
       
       Auf „Alles leuchtet“ packt Fiva Normalität in Töne. Sie erzählt davon, wie
       es ist, sich für den Job aufzugeben, sich im stressigen Alltag zu
       verlieren, sich in einer Fernbeziehung zu vermissen. „Jetzt heißt zu zweit
       sein für immer / Leben für Arbeit und Kinder / Reden davon was uns dran
       hindert / so zu werden wie wir waren.“ Erwachsenenprobleme. „Klar hänge ich
       mit diesen Themen Menschen ab“, sagt sie. „Aber das ist kein
       Coming-of-Age-Album. Ich bin längst erwachsen und das ist gut so.“
       
       Erwachsensein und trotzdem Spaß haben, sich trotzdem treu bleiben, das ist
       Fivas Credo. „Das Beste ist noch nicht vorbei“, heißt einer der Songs auf
       dem Album. „Wirf dich zurück ins Leben / und erober eine Galaxis / kein Weg
       zu weit / für den Heimweg gibt es Taxis.“
       
       Aber „Alles leuchtet“ ist kein Mittdreißiger-Krisen-Album, es ist eine
       Hymne auf die Individualität und den Mut. Erwachsensein ist die Fortsetzung
       der Jugend mit anderen Mitteln. „Bier aus der Dose / Pommes aus zu altem
       Fett / so fühlt sich das Leben an / außerhalb von Tisch und Bett“.
       
       Fiva hat dafür einen kleinen lila Fleck an ihrem Hals, der fast aussieht
       wie ein Knutschfleck. Vielleicht ist er ihr Mahnmal, nicht langweilig oder
       faul zu werden, immer aufmüpfig und mutig zu bleiben. Dabei ist Fiva kein
       geborener Mutmensch, sie zwingt sich jeden Tag aufs Neue zu Dingen, die ihr
       eigentlich nicht liegen: Nein sagen oder Grenzen ziehen. Mut bedeutet aber
       auch, dass man so bleibt, wie man ist, sich nicht von anderen verrückt
       machen lässt, findet sie.
       
       Fiva bleibt sich treu und packt die Berliner Pop-Sängerin Bernadette
       LaHengst auf ihr neues HipHop-Album. Dabei sind Features im HipHop
       essenziell und vor allem existenziell wichtig. Jeder Künstler versucht
       eigentlich, einen noch bekannteren auf seinem Album zu featuren, eine Zeile
       von ihm für den Fame, für die Bekanntheit. Fiva macht es anders, wie so
       oft: „Ich frage mich nicht: Ist das jetzt real, bringt mir das was, wenn
       ich andere Musiker bitte, mit mir einen Song aufzunehmen. Das sind drei
       saugute Lieder. Punkt.“
       
       ## Ohne Dialekt viel zu kitschig
       
       Dazu holt sich Fiva Jazz und Soul, Streicher und Piano auf ihr Album. Nach
       dem letzten poppigeren Werk, das sie gemeinsam mit dem Phantom Orchester
       aufgenommen hat, klingt es diesmal wieder mehr nach Beats und Samples,
       einfach mehr nach HipHop.
       
       Für den Titeltrack des Albums „Alles leuchtet“ hat sie sich die zwei Wiener
       Soulcrooner von 5/8erl in Ehrn an Bord geholt – wieder keine Größen des
       HipHop-Genres. Heraus kam ein soulig-dissonanter Ohrwurm, der ohne Dialekt
       viel zu kitschig wäre für Fiva. „Wenn ich Romantik nur sage, fange ich an
       zu schwitzen.“ Bei dem Feature mit Peter Balboa von den Sportfreunden
       Stiller kontert sie die Romantik mit Humor. „Es ist egal, ob du den Ton
       triffst / solang du mit mir singst“, rappt Fiva dem für seinen halbschiefen
       Gesang bekannten Peter Balboa entgegen.
       
       Fiva macht mit jedem Album eine Momentaufnahme ihres Lebens, erzählt, was
       sie beschäftigt, was mit ihr und um sie herum gerade passiert. Fast fühlt
       man sich wie ein guter Freund, der zuhört, versteht, ihr beipflichten
       möchte. „Ich komme aus der Zeit, als Rap glaubwürdig war“, sagt sie.
       „Privatsphäre ist mir zwar wichtig, aber ich erwarte von mir als
       Künstlerin, etwas preiszugeben, wenn ich mit Leuten ins Gespräch kommen
       will. Ich will zu Themen, die mich bewegen, meine Meinung sagen, Menschen
       unterhalten, aber niemals belehren. Klingt jetzt so, als ob man darauf
       nicht tanzen könnte.“ Kann man aber, sehr gut sogar.
       
       In der Szene erntete Fiva auch Kritik, für manche ist ihr Sound, zu weit
       weg von klassischem HipHop. Andere feiern die künstlerische Befreiung. Noch
       Anfang der 2000er war man entweder Berliner oder Hamburger, entweder East -
       oder West-Coast. Heute geht alles zusammen: Fiva findet das „cool“. „HipHop
       geht es besser denn je.“ So viele Rap-Songs waren noch nie in den Charts
       wie derzeit.
       
       In Deutschland stieg „Alles leuchtet“ auf Platz 48 der Albumcharts ein, in
       Österreich auf Platz 8. Das könnte daran liegen, dass Fiva eine Show beim
       österreichischen Radiosender FM4 hat. „Österreich, vor allem aber FM4, hat
       mich immer schon als Musikerin begriffen. Es ging nie um mich als Frau im
       HipHop, immer um mich als Texterin. Viele Scheuklappen wurden da nie
       aufgemacht.“
       
       ## Frausein ist nicht zentral
       
       Auch in Deutschland moderiert sie, die Fernsehsendung Kulturpalast auf
       3sat. Hierzulande fühlt sie sich häufig auf eine Rolle festgenagelt: Wie
       ist es so, als Frau im HipHop, Fiva? Diese Frage muss sie oft beantworten,
       zu oft für ihren Geschmack. Ja, sie ist Musikerin in einem Genre, das vor
       Testosteron und sexistischen Texten nur so strotzt. Für sie gibt es drei
       Möglichkeiten, damit umzugehen: „Erstens, ich verstecke mich vor den bösen,
       sexistischen Rappern. Zweitens, ich werde wütend und fange an Hassraps zu
       schreiben. Drittens, ich biete einfach eine Alternative.“
       
       Fiva hat sich für Drittens entschieden. Schon lange wollte sie einen Song
       über Feminismus schreiben. Aber das Thema hat ihre übliche Routine
       gesprengt, statt einem Jahr brauchte sie drei. „Der Unterschied zwischen
       mir und den anderen / Sie sind nicht wie ich und ich bin nicht wie sie /
       Der Grund dafür: wir sind verschiedene Menschen / das ist Evolution und
       nicht Biologie.“ Fiva ist eine Frau, für die Frausein nicht zentral ist.
       Sie will mit anderen über Themen reden, vor allem aber mehr Frauen über
       Themen reden hören, nicht nur über ihre Geschlechterrolle.
       
       Bei Stefan Raabs Bundesvision-Songcontest vor zwei Jahren tritt Fiva mit
       dem Phantom Orchester für das Bundesland Bayern an – Samstagabend, 20.15
       Uhr auf Pro7. Nach ihrem Auftritt bittet Moderator Elton zum kurzen
       Interview. „Alle Frauen, die rappen, sind Dreck“ ist der Tweet, den er ihr
       live vorliest. „Da hab ich mich geärgert“, sagt sie. „Kann der nicht
       ’Schönes Lied‘ oder ’Was macht der Affe da im Hintergrund der Bühne‘
       vorlesen? Aber ich werde nicht anfangen, das ändern zu wollen. Einfach
       weitermachen.“
       
       Sechzig Konzerte stehen allein für dieses Jahr noch auf ihrem Tourplan.
       „Musik ist ja auch immer ein Soundtrack und meiner erlaubt den Leuten, dass
       sie einfach eine gute Zeit haben – ohne dass ich Drogen nehme und Techno
       mache!“ Mittlerweile weiß das auch ihr Vater. Wenn der früher gefragt
       wurde, was seine Tochter so mache, sagte er: Sie ist aktive Raverin. Diesen
       Irrtum haben sie nun beigelegt, beim Tour-Auftakt zu „Alles leuchtet“ in
       Linz. Da waren unter den neuneinhalbtausend Menschen im Publikum auch Fivas
       Eltern. Zum ersten Mal.
       
       1 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fumiko Lipp
       
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