# taz.de -- Führer, Blubo, NS-Kitsch: Die gern vergessenen Gemälde
       
       > Worpswede zeigt zum 125. Geburtstag seiner Künstlerkolonie endlich auch
       > die Bilder, die jahrzehntelang nicht gezeigt wurden.
       
 (IMG) Bild: Politisch korrekt: Jürgen Bertelsmanns "Als Arbeitsmann im Kahnlager ,Graf Spee4/170'", 1935 [Ausschnitt]. Bertelsmann malte ebenso wie sein Lehrer Fritz Mackensen für den Reichsarbeitsdienst.
       
       Endlich werden sie nicht mehr weg gelassen: Etwa Fritz Mackensens Porträt
       des Reichsarbeitsdienst-Führers Konstantin Hierl, der mit leuchtenden
       Partei-Abzeichen und Eisernem Kreuz vor dem berühmten Worpsweder
       Wolkenhimmel steht, hinter ihm muskulöse Männer, die ameisengleich die
       norddeutsche Tiefebene mit ihren Spaten bearbeiten. Oder die
       „Stedingsehre“-Panoramen, mit denen sich die Maler der Künstlerkolonie um
       lukrative öffentliche Aufträge bewarben. Der „Stedingsehre“-Mythos um den
       Unabhängigkeitskampf der Stedinger Bauern gegen den Bremer Bischof spielte
       in der Kulturpolitik des „Dritten Reiches“ eine herausragende Rolle.
       
       Moritz Rinke hat die geschichtsklitternden Attitüde seines Heimatdorfes mit
       dem Roman „Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel“ treffend karikiert:
       Nazi-Denkmäler blubbern dort aus dem moorigen Untergrund auf, stehen den
       Geschäftsinteressen im Weg und müssen heimlich in eben dieses Moor wieder
       entsorgt werden. Obwohl sich die Sonderausstellung „Mythos und Moderne“ zum
       125. Geburtstag der Koloniegründung nur auf einen sehr kleinen Teil der
       Worpsweder NS-Bildproduktion beschränkt, ist das nun anders – und das ist
       für alle Beteiligten eine große Erleichterung.
       
       Es geht um eine umfassende Entmystifizierung: Lässt man die zwölfeinhalb
       Jahrzehnte, in denen bisher Worpsweder Kunst produziert wurde, summarisch
       vorüberziehen, fällt auf, wie schwach die Position der Moderne im Worpswede
       der Zwischenkriegszeit war. Sie führte ein Schattendasein. Ebenso auffällig
       ist, dass sich sehr wenige jüdische Künstler im Teufelsmoor niederließen.
       Bram van der Velde sagte im Rückblick auf seine Worpsweder Zeit zwischen
       1922 und 1924: „Die Welt ging dort an uns vorbei. Vom Bauhaus habe ich erst
       in Paris gehört.“
       
       Schon die Koloniegründer von 1895 kamen sich deutlich revolutionärer vor,
       als sie waren: Weder in Format- und Farbfragen noch im Pinselduktus
       entfernten sie sich essentiell von den Konventionen der
       akademisch-bürgerlich Malerei, in der sie ausgebildet worden waren. Auch
       etliche ihrer Lehrer malten gerne mal Plein-air. Einzig ihre Besessenheit
       von den Sujets der norddeutschen Landschaft und ihrer Bewohner war neu –
       und ideologisch fragwürdig.
       
       Die Flaute in Sachen Zwischenkriegs-Moderne findet ihre logische
       Entsprechung in den Erfolgen vor 1918 und nach 1933: Der aufkommende
       Nationalsozialismus habe „die traditionelle Kunstauffassung der ,Alten
       Worpsweder‘ bestätigt, stellen die KuratorInnen Katharina Groth und Björn
       Herrmann fest, und das entspricht in der Tat der wechselseitigen
       Wahrnehmung.
       
       Gaukulturwart Friedrich Esser erklärte 1939: „Was wir heute mit dem Begriff
       Blut und Boden meinen, das haben Mackensen und seine Freunde in den Bildern
       der niederdeutschen Landschaft und ihrer Menschen unbewusst schon damals
       auf den Schild gehoben.“ Ganz bewusst hingegen begeisterte sich Mackensen
       im März 1933 auf einer Worpsweder Wahlkampfveranstaltung der NSDAP für die
       „gewaltige Welle der nationalen Besinnung“ – die nicht zuletzt seine in der
       Weimarer Zeit eher unbeachtet gebliebenen Werke wieder populär machte.
       
       ## Mackensen malte Bilder der „erbgesunden Familie“
       
       Nun wurde er von der Reichskulturkammer eingeladen, „Sinnbilder der
       erbgesunden, kinderreichen Familie und der kindsfrohen deutschen Mutter“ zu
       malen. Mackensens großformatiges Gemälde einer solchen Bauernfamilie ist in
       der Ausstellung erstmals wieder zu sehen: Die US-Army hatte es 1945, nach
       Beschlagnahme der Mackensen-Villa, für Schießübungen genutzt. Mackensen,
       übrigens Vater einer behinderten Tochter, zerschnitt dann die Reste und
       verkaufte sie als Einzel-Porträts. Nun gelang die Rekonstruktion.
       
       Die Ausstellung schließt ein ganzes Stück der Lücke, die zwischen der
       interessengeleiteten Selbstdarstellung des Ortes und deren Kritikern
       besteht. Ferdinand Krogmann, der vor drei Jahren mit „Worpswede im Dritten
       Reich“ eine detaillierte Studie vorlegte, wurde vor Ort häufig angefeindet
       – nun beziehen die Ausstellungs- und Katalogmacher Krogmanns reichhaltigen
       Quellenfundus endlich mit ein.
       
       Aus Krogmanns Sicht wiederum ist die Ausstellung „ein wichtiger Schritt zu
       mehr Ehrlichkeit“. Es sei „ein Erfolg, dass nun nicht mehr verschwiegen
       wird, wie stark die Koloniegründer von den Theoretikern der Heimatkunst
       beeinflusst waren“ – die die „echte“ Kunst an den „,Geist der Scholle‘ und
       die niederdeutsche Rasse banden“. Gleichwohl beklagt Krogmann „ärgerliche
       inhaltliche Fehler“ in den Katalogtexten. Etwa die Aussage, Mackensens und
       Carl Emil Uphoffs Versuch, eine Worpsweder Ortsgruppe des „Kampfbundes für
       deutsche Kultur“ zu gründen, sei misslungen. Doch die war in der Tat aktiv.
       
       Die Lehre aus den substantiellen Worpsweder Verwicklungen ist allerdings
       nicht nur, dass Nationalsozialismus und völkisches Denken in weitgehend
       deckungsgleichen Gedankenwelten wurzeln. Sondern auch, dass sehr modern
       orientierte Künstler wie Bernhard Hoetger eine hohe Affinität und
       Anschlussfähigkeit entwickelten. Hätte sich der von Goebbels favorisierte
       „Nordische Expressionismus“ als NS-Leitkultur durchgesetzt – Worpswede
       hätte ein noch größeres Problem. So aber gelten Hoetgers
       Backstein-Experimente primär als pittoresk.
       
       ## Besuch beim letzten noch lebenden Gründer-Enkel
       
       Doch was sagt das alte Worpswede zu dem neuen Wind, der durchs Dorf geht?
       Einen Künstler gibt es noch, dessen bisheriges Leben fast drei Viertel der
       Zeitspanne umfasst, in der in Worpswede KünstlerInnen lebten.
       
       Besuch bei Hans-Georg Müller im Haus am Schluh, am Rande des Dorfes. Der
       90-Jährige ist der letzte Lebende aus der Generation der Gründer-Enkel:
       Müllers Großvater ist der legendäre Heinrich Vogeler, der seinen Barkenhoff
       1931 der „Roten Hilfe“ überließ und in die Sowjetunion emigrierte. Müllers
       Vater Walter hingegen war kein Kommunist, sondern anpassungsbereit.
       
       Jetzt steht der alte Mann in seiner Werkstatt, in der er noch täglich an
       großformatigen Holzintarsien-Porträts arbeitet, und schaut auf seine
       kräftigen Hände herunter. Im Dorf hängt derzeit das meterlange
       Stedingsehre-Bild seines Vaters. Wenn man Walter Müllers stark abstrahierte
       Bilder wie „Weyerberg mit roten Pferden“ von 1920 kennt, überrascht, wie
       sehr sich der Vogeler-Sohn dem heroisierenden Realismus der NS-Zeit
       anpasste. Hans-Georg Müller kann sich noch gut daran erinnern, wie sein
       Vater an „Stedingsehre“ gearbeitet hat, 1937, als Wettbewerbs-Beitrag zur
       Ausmalung des Oldenburger Landtags.
       
       „Ich hätte das jetzt eigentlich nicht wieder rausgekramt“, sagt Müller –
       der das letztlich aber akzeptiert hat. Auch, dass „der „fürchterliche
       Moorbauer“ von Mackensen, den er gar nicht leiden mag, derzeit bei ihm im
       Haus am Schluh hängt, musste Müller schlucken. Der „Trinkende Bauer“ ist
       ein anachronistisches Bild, das die harte Landarbeit heroisch verklärt,
       aber in Postkartenform auch von heutigen Touristen gern gekauft wird.
       
       Worpswede hat sich erfolgreich daran gemacht, unterstützt mit viel EU-Geld,
       sowohl seine Museen zu modernisieren als auch Inhalte und Images zu
       überdenken. Die Kontextualisierung der Kunst durch Kuchen und Kommerz
       funktioniert freilich immer noch: Worpswede vermarktet sich weiterhin als
       „Insel des Schönen“.
       
       Dabei kann man gerade in der Ausstellung bestens nachvollziehen, wie auch
       der Kitsch eine vitale Traditionslinie hin zum Nationalsozialismus hat:
       Fritz Uphoffs „Torfkähne vor dem letzten Abendrot“ von 1941/ 42 aus dem
       Besitz der Kreissparkasse Osterholz ist mit seiner ebenso suggestiven wie
       banalen Stimmungsmalerei dafür ein gutes Beispiel. Dass es sich auch heute
       noch großer Beliebtheit erfreut, hat mit den gleichen Altlasten zu tun,
       deren Wurzeln jetzt offener liegen.
       
       4 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
       
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