# taz.de -- Die Neuerfindung Worpswedes: Im Teufelsmoor tut sich was
       
       > Der Masterplan zur Neuerfindung Worpswedes kommt einen wichtigen Schritt
       > voran: Das frühere, der "Väterkunde" gewidmete Roselius-Museum ist nun
       > Teil der "Großen Kunstschau" und der internationalen Kunst verpflichtet.
       
 (IMG) Bild: Das frühere Roselius-Museum, ursprünglich völkisch orientiert.
       
       WORPSWEDE taz | "Das war kein einfaches Projekt", sagt Michael Hindenburg.
       Der Bremer Architekt hat ein Denkmal umgebaut: das ehemalige Worpsweder
       Roselius-Museum. Mit seinem seltsamen Spagat zwischen einem skandinavisch
       inspirierten Äußeren und vorsintflutlichen Ausstellungsstücken gab es ein
       perfektes Sinnbild für die historische Ambivalenz des Künstlerdorfes ab -
       mäandernd zwischen Moderne und ideologischer Indoktrination, wie sie in den
       Exponaten zur "Väterkunde" zum Ausdruck kam, denen das Roselius-Museum
       ursprünglich gewidmet war.
       
       Der Umbau des Backsteinbaus zum Westflügel der "Großen Kunstschau
       Worpswede" stellt den ersten entscheidenden Schritt zur Umsetzung eines
       groß angelegten Masterplans dar: Mit ihm soll das berühmte Künstlerdorf im
       Teufelsmoor bis 2014, dem 125-jährigen Gründungsjubiläum der
       Künstlerkolonie, neu aufgestellt werden. Dafür stehen immerhin 9,3
       Millionen Euro bereit, unter anderem aus EU-Mitteln. Gut ein Drittel davon
       durfte Hindenburg verbauen.
       
       Dabei musste er nicht nur auf den Denkmalschutz Rücksicht nehmen, sondern
       auch auf die internationale Kunst, die hier künftig gezeigt werden soll.
       Hindenburg hat den ehemaligen Innenhof zu einem 5,50 Meter hohen
       Ausstellungsraum umgebaut, darunter existiert nun erstmals ein
       umfangreiches Depot. Insgesamt ist die "Große Kunstschau" um 300 auf 800
       Quadratmeter angewachsen.
       
       Hindenburg ließ den größten Teil des suggestiven Riffelputzes beseitigen,
       der die Struktur der Erdschichten symbolisierte. - Als Besucher sollte man
       sich in eine frühgeschichtliche Grabungsgrube versetzt fühlen. Hier und da
       kann man dennoch Spuren des alten archäologischen Ambientes entdecken:
       Schaut man aus dem Fenster, äugen aus dem Waschbeton der Gartenmauern
       gefakte Artefakte, angebliche Urzeitschnecken und nachempfundene
       Versteinerungen. Hinter den Zementmischern im Außengelände findet sich
       sogar noch ein nachgebautes Hünengrab.
       
       Geschichte als Rekonstruktion: Das war ein Konzept, das der
       Sammlungsbegründer Ludwig Roselius senior ideologisch auf die Spitze trieb:
       Seine ursprünglich in der Bremer Böttcherstraße gezeigte frühgeschichtliche
       Sammlung sollte "beweisen", dass die Norddeutschen von den "Atlantern"
       abstammten, den Bewohnern des untergegangenen sagenhaften Kontinentes -
       eine "Spezialspur" der Herrenmenschen-These, für die sich vor allem die SS
       interessierte.
       
       Wie gründlich die jetzigen Worpsweder Macher den alten Geist aus dem
       Museumsgemäuer gejagt haben, zeigt sich auch an der Wahl der von Karen
       Hammer kuratierten Neueröffnungs-Ausstellung: Sie heißt "Menschenbilder"
       und zeigt Werke wie Timm Rauterts "Deutsche in Uniform", ein prächtiges
       Porträt-Potpourri vom Karnevalsprinzen über den Parlamentsdiener bis zum
       Oberforstwirt.
       
       Rauterts Fotografien gehören ebenso wie die anderen 80 gezeigten Arbeiten -
       etwa von Wolfgang Tillmanns und Gabriele Marwede - zur "Sammlung
       Zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland". Normalerweise
       hängen deren Besitztümer in Botschaften und ausgewählten
       Behördenkorridoren. Jetzt sind sie erstmals in der Provinz zu sehen. Dort
       kann die Sammlung gemeinsam mit dem Museum Geburtstag feiern. Beide wurden
       1971 gegründet.
       
       Der staatstragende Hintergrund der Ausstellung erinnert an die Zeiten, als
       die Worpsweder Künstler regelmäßig von sozialdemokratischen Bundeskanzlern
       besucht wurden. Moritz Rinke hat ihnen in "Der Mann, der durch das
       Jahrhundert fiel" ein Denkmal in Gestalt eines angebissenen Butterkuchens
       gesetzt, den seine Familie jahrzehntelang in der Tiefkühltruhe aufbewahrte:
       "Das war von Brandt." Dem selben, unter dem die Kunstsammlung des Bundes
       gegründet wurde.
       
       In Worpswede, ehemals Mekka der Landschaftsmaler, markieren die
       "Menschenbilder" so etwas wie den Übergang zu einem neuen
       Selbstverständnis: Die neue "Große Kunstschau" will sich nicht mehr primär
       der Regionalkunst, sondern ebenso der internationalen Kunst und deren
       Themen widmen.
       
       Während die Reste der Worpsweder "Väterkunde" längst in die Magazine des
       schleswig-holsteinischen Landesmuseums auf Schloss Gottorf gewandert sind,
       kann man unmittelbar neben der Kunstschau noch den Ideenkosmos erahnen, aus
       dem sich die Sammelleidenschaft eines Ludwig Roselius speiste:
       
       Das in Roselius Auftrag gebaute Kaffee Worpswede, bis 1979 in Besitz der
       von Roselius gegründeten Kaffee HAG GmbH, vermittelt mit seinem
       germanisierenden Expressionismus einen Eindruck des Konglomerats von
       phantasievollem Formstreben und rückwärtsgewandter Weltsicht - eine
       Spielart völkisch-affiner Kunst, die von Hitler zurückgewiesen wurde. Was
       bleibt, ist das Wissen um die potentielle Anschlussfähigkeit eines Teils
       der seinerzeitigen Moderne an den Faschismus.
       
       Der Worpsweder Masterplan hat mit dem Umbau und der Neubestimmung des
       Roselius-Museums seine erste große Hürde genommen, mit dessen termin- und
       kostengerechter Fertigstellung sogar die finanziell am höchsten liegende.
       Die vier wichtigsten Worpsweder Museen werden umgestaltet: Seit vergangenem
       Juli ist das Haus im Schluh Baustelle, im Juni beginnt die Arbeit in
       Heinrich Vogelers Barkenhoff, dann in der Worpsweder Kunsthalle. Parallel
       dazu werden Marketing, Besucherleitsystem und Ausstellungskonzept des in
       Gründung befindlichen Worpsweder Museumsverbundes erarbeitet. Für das
       kommende Jahr ist die erste große Vogeler-Gemeinschaftsausstellung
       angekündigt.
       
       Es tut dem Ort spürbar gut, dass ihm von der hannoverschen Landesregierung
       ein Erneuerungsprogramm sowohl verordnet als auch finanziell versüßt wurde.
       Die gern gescholtene Ministerialbürokratie kann durchaus das Potenzial
       besitzen, Perspektiven zu zeigen - und fand in Worpswede die richtigen
       Akteure zur Ausgestaltung. Die wiederum haben mit ihrem vor Ort erarbeiten
       Konzept bei der Landesregierung letztlich mehr Geld locker gemacht, als
       diese eigentlich eingeplant hatte - das Ergebnis ist eine Win-win-Situation
       vor allem für Worpswede.
       
       2 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
       
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