# taz.de -- Kampf der Kulturen: Dorf oder Stadt?
       
       > Viele Städter sehnen sich nach einem Leben auf dem Land. Weil sie glauben
       > dort zu finden, was ihnen fehlt. Aber ist das Leben im Dorf schöner?
       
 (IMG) Bild: Die Provinz ist Idyll und Beklemmung. Dorffest in der Lausitz
       
       Das Dorf stirbt. Die Menschen zieht es in die Städte, vor allem die
       jüngeren. Bis 2030 wird Deutschland vier Millionen Einwohner verlieren. Die
       meisten davon dort, wo jetzt schon wenige leben: in den Dörfern.
       
       In den Städten wiederum, wo zwei Drittel der Menschen in Deutschland
       wohnen, findet sich häufig eine Sehnsucht nach der Natur, nach dem Leben
       auf dem Land. [1][Es wollen mehr Menschen auf dem Land wohnen als es
       tatsächlich tun.] Die Kioske sind voll mit Magazinen wie Landleben,
       Landidee, Landspiegel, Liebes Land, Mein Schönes Land. Während die Auflage
       der meisten gedruckten Medien sinkt, steigt die des Magazins Landlust immer
       weiter, inzwischen auf über 1.020.000 Exemplare.
       
       [2][Manchen Journalisten treibt das zur Verzweiflung].
       
       „Das Dorf ist eine soziale Versuchsanordnung. Ein Vergrößerungsglas der zu
       ergründenden menschlichen Natur“, schreiben Werner Nell und Marc Weiland in
       ihrem Essay Dorfbilder: Tradition, Imagination, Lebenswelt. Was uns das
       Dorf über die menschliche Natur erzählt, das hat sonntaz Redakteurin Steffi
       Unsleber in ihrer Titelgeschichte der [3][taz.am wochenende vom 13./14
       September] aufgeschrieben. Sie hat eine Woche in dem Dorf Tringenstein in
       Hessen gelebt.
       
       Es gibt gute Gründe dafür, dass es die Jugend in die Städte zieht. Wenn
       einer sagt, er komme „vom Dorf“, meint er ja damit mehr als nur: Ich komme
       aus einer kleinen Ansammlung von Häusern auf dem Land. Vom Dorf kommen
       heißt auch: Ich komme woher, wo es eigentlich ein bisschen langweilig ist,
       ein bisschen piefig; aus einem Ort, von dem man eigentlich weg will. Denn
       auf dem Dorf kennt jeder jeden. Und jeder weiß, was jeder so macht. Da
       fällt es schwer, sich individuell zu entfalten. Das Dorf ist klein und
       konservativ, es regiert immer dieselbe Partei und wenn Fremde kommen, dann
       werden die erst mal kritisch beäugt.
       
       Das Dorf ist beides - idyllisch und beklemmend. „Die engen Grenzen des
       Dorfes machen es zu einem Ort der Entartung, der Ausschließung des Fremden
       und der Zerstörung von Lebenssinn“, schreiben Nell und Weiland, es herrsche
       „Enge, Gruppendruck und Zurückgebliebenheit“. In Tringenstein achten die
       Menschen aufeinander, sie merken, wenn mit jemandem etwas nicht stimmt und
       retten so einen alten Mann mit Herzinfarkt. Zugleich wissen sie aber auch
       genau, vor wessen Häusern es am unordentlichsten ist. Vor denen der
       Zugezogenen.
       
       ## Die Stadt macht depressiv
       
       Die Stadt ist Gesellschaft, das Dorf ist Gemeinschaft. Das Leben in der
       Stadt scheint da freier, individualistischer. „Stadtluft macht frei“ hieß
       es schon im Mittelalter. Wer als Leibeigener floh und ein ganzes Jahr in
       der Stadt verbrachte, konnte von seinem Dienstherren nicht mehr
       zurückgefordert werden. In der Stadt gehört man nur sich selbst.
       
       Aber das Stadtleben erscheint oft auch anstrengender, vielleicht
       ungesünder. Es gibt Untersuchungen, [4][die zeigen, dass Städter sehr viel
       schlechter mit Stress umgehen, als Leute vom Land.] Wer in der Stadt lebt,
       ist anfälliger für Depressionen und Angststörungen.
       
       Dass ein paar gestresste Städter davon träumen, auf dem Land zu leben, dort
       wo es Gemeinschaft gibt, wo man aufeinander aufpasst, das hört sich
       wiederum sehr verständlich an. In der Stadt hat man tausende Menschen um
       sich herum, ohne irgendjemand wirklich gut zu kennen. Und vielleicht will
       man ja, dass die Kinder auch mal draußen spielen – so richtig draußen,
       nicht auf dem Spielplatz neben der Straße.
       
       ## Die gute alte Zeit gab es nie
       
       Dorf ist auch Heimat, Verwurzelung. Deswegen spricht, wer „vom Dorf“ kommt,
       auch gern von „meinem Dorf“. Weil das Dorf vielleicht langweilig und
       konservativ ist, die Verbundenheit zu diesem Ort aber tausendmal stärker,
       als zu irgendeiner Großstadt, in die man nur gezogen ist, um zu arbeiten,
       wo nie die Sonne scheint, es keine Bäume gibt und man entweder seinen
       Nachbarn nicht kennt – oder gar nicht kennen will.
       
       Wahrscheinlich ist das Leben im Dorf heute besser und einfacher denn je.
       Die „gute alte Zeit“, als man noch auf dem Land lebte, eng mit der Natur
       verbunden, die gab es nie. Historisch gesehen hieß das Leben auf dem Dorf:
       Armut, Krankheit, Leibeigenschaft; harte Arbeit auf dem Acker und dauernd
       irgendwelche Bauernaufstände. Heute hat man im schlimmsten Fall nur keine
       Internetverbindung.
       
       Glauben Sie das Leben auf dem Dorf ist schöner als das Leben in der Stadt?
       Gibt es mehr Gemeinschaft auf dem Dorf? Ist es für die Kinder besser? Oder
       sind Sie Städter durch und durch? 
       
       Diskutieren Sie mit!
       
       Die Titelgeschichte „Hier sind wir im Paradies“ lesen Sie in der [5][taz.am
       wochenende vom 13./14 September.]
       
       5 Sep 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/BerichteKompakt/2010/DL_10_2010.pdf?__blob=publicationFile&v=2
 (DIR) [2] http://www.zeit.de/2011/23/Landlust-Landfrust/komplettansicht
 (DIR) [3] /Ausgabe-vom-6-/-7-September-2014/!145387/
 (DIR) [4] http://www.nzz.ch/nachrichten/hintergrund/wissenschaft/grossstaedte-schlagen-auf-das-gemuet-1.11990112
 (DIR) [5] /Ausgabe-vom-6-/-7-September-2014/!145387/
       
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