# taz.de -- Kinofilm „Maps to the Stars“: Popfreudianische Gespensterhölle
       
       > Verdammnis als Ort ewiger Gegenwart: Der neue Film von David Cronenberg
       > misst die Entfernung zwischen Spaß und Niederungen in Hollywood.
       
 (IMG) Bild: Vielleicht kann ja das Gesicht gelesen werden: Mia Wasikowska als Agatha (l.) und Julianne Moore als Havana.
       
       In Hollywood bietet sich die Gelegenheit, den Stars auf den Zaun zu
       schauen. Die Sightseeing-Tour führt durch das vornehme Beverly Hills, und
       wer Glück hat, erspäht eine Berühmtheit beim Sonnenbaden. Der kleine
       Stadtplan, den man den Besuchern als Orientierung in die Hände drückt, gibt
       David Cronenbergs Film den Titel: „Maps to the Stars“.
       
       Doch genau darin steckt schon die erste Irreführung, denn mit einer solchen
       Perspektive hat die erste in den USA realisierte Arbeit des kanadischen
       Regisseurs nichts am Hut. Cronenberg hat einen Film über Hollywood gedreht,
       der sich Stars eher über eine kosmischen Sternenkarte nähert. Er vermisst
       die Entfernung zwischen den Niederungen des Filmgeschäfts und den
       idealisierten Vorstellungen, die wir uns davon machen.
       
       Metaphorisch und zugleich vulgär, fantastisch und auf verquere Weise schon
       wieder realistisch hat „Maps to the Stars“ mit anderen Filmen über die
       Traumfabrik wie Robert Altmans „The Player“ (1992) kaum Gemeinsamkeiten.
       Will man schon eine filmhistorische Analogie ziehen, so bietet sich Billy
       Wilders „Boulevard der Dämmerung“ („Sunset Boulevard“, 1950) an: Mit diesem
       Klassiker teilt Cronenberg nicht nur den düster-sardonischen Tonfall,
       sondern auch eine Heldin, der ihr verblassender Ruhm zu schaffen macht.
       
       Julianne Moore spielt die schillernde Diva Havana Segrand, eine Frau um die
       50 – ein Alter, in dem Casting-Chefs anfangen einen zu umgehen. Segrand
       verkörpert Hollywood mit jeder Pore, sie ist eine so mondäne wie
       fleischliche Person, versiert im Aufsetzen falscher Mienen und immer
       gefährlich nahe an der Hysterie. Und sie hatte eine Mutter, die selbst ein
       Star war und bei einem Brand ums Leben gekommen ist.
       
       ## Bissig, bösartig, piontiert
       
       Nun hat sich Segrand in den Kopf gesetzt, die Rolle im Remake eines Films
       zu spielen, mit dem ihre Mutter einst Furore machte. Eine ungesunde Idee –
       das kann man schon in jener Szene sehen, in der Segrand kettenrauchend im
       Bett liegt, den Blick auf den Flatscreen gerichtet, in dem der alte Film
       mit gestochen scharfem Bild läuft.
       
       Das Drehbuch von „Maps to the Stars“ ist voller solcher Tautologien. Es
       stammt von Bruce Wagner, einem Autor, der Hollywood aus nächster Nähe
       kennt. Er hat dort früher als Limousinenchauffeur gearbeitet, bevor er in
       Magazinen wie New Yorker und Art Forum seine Texte veröffentlicht hat. Die
       Dialoge, die er den Figuren in den Mund legt, sind bissig, bösartig und
       pointiert. Sie geben dem Film den schonungslos harten Takt vor. Cronenberg
       überträgt ihn mit einer entschlackten, präzisen Inszenierung in Bilder, die
       keinerlei Anteilnahme suchen.
       
       In „Maps to the Stars“ erscheinen schon Kamerazooms wie Hervorhebungen, sie
       wirken fast unheilvoll auf den Betrachter; ein Gespräch, das die
       Verlässlichkeit des skrupellosen Jungstars Benjie Weiss (Evan Bird) zum
       Inhalt hat, wird in lauter Nahaufnahmen zerlegt. Die Figuren, suggeriert
       diese Montage, sind isoliert und immer sich selbst am nächsten. Der Ton
       bleibt auf die Mitte des Bildes gerichtet, das Umfeld ist auf unheimliche
       Weise ausgeblendet.
       
       ## Illustriertentaugliches Familiendrama
       
       Hollywood wird in „Maps to the Stars“ auf ein Familiendrama
       heruntergebrochen, das durchaus selbst illustriertentauglich ist. Die
       Familie Weiss trägt wie ein antiker Clan den Makel eines Tabubruchs weiter.
       Benjies Schwester Agatha (Mia Wasikowska) wurde nach einem tragischen
       Feuerunfall aus dem Haus verbannt. Ihre Rückkehr nach Hollywood, wo sie als
       Assistentin bei Havana Segrand anheuert, leitet den Film ein. Die Zeichen
       der psychischen Verwüstung sind, charakteristisch für Cronenberg, auch am
       Körper abzulesen. Agatha trägt Brandmale im Gesicht und an den Händen.
       
       Die Absichten der gefasst erscheinenden jungen Frau bleiben allerdings
       zunächst so undurchschaubar wie ihre Geschichte. Sie ist die eine große
       Unbekannte in diesem Spiel um Celebrities, halb irre Stalkerin, halb
       Versöhnung suchendes Kind. Die Natürlichkeit, mit der sie sich bewegt,
       wirkt wie eine Irritation, da sie etwas Absichtsvolles an sich hat.
       
       Neben der so expressiv agierenden Julianne Moore, die in Cannes für ihre
       Leistung ausgezeichnet wurde, erscheint Wasikowskas zurückhaltendes,
       weiches Spiel umso wirkungsvoller. „Jeder hier versucht seine Bestimmung zu
       finden, eine Berühmtheit zu werden – und um bedeutend zu sein, muss man
       über sich hinausgehen, mit der Natur in Verbindung treten“, sagte
       Cronenberg in Cannes, wo „Maps to the Stars“ im Mai anlässlich der
       Filmfestspiele seine Premiere erlebte.
       
       „Das Rezept erinnert an Religionen. Auch diese geben den Menschen das
       Gefühl, sich mit den großen, entscheidenden Kräften des Universums vereinen
       zu können.“ Der Kanadier spielt damit auf den (populär-)mythologischen
       Hintergrund von „Maps to the Stars“ an, der dem satirischen Treiben eine
       tiefgründige Note verleiht. Cronenberg interessiert sich nur am Rande für
       den Produktionsprozess, für Hollywoods Status als Unterhaltungsindustrie;
       es ist vielmehr eine brutale Mentalität, eine fast schon plakative
       Getriebenheit und Gier, die Sucht nach Anerkennung, die im Brennpunkt
       steht.
       
       ## Gefangen in der eigenen Umlaufbahn
       
       Hollywoods Starsystem produziert bei Cronenberg die minderen Stellvertreter
       antiker Götter – durch die Bank beschädigte, verdorbene, verzweifelte
       Subjekte, die auf keine Realität außerhalb ihrer klatschgetränkten Welt
       mehr verweisen. Ewig in der eigenen Umlaufbahn gefangen, halten sie sich
       nur durch Drogen oder Massagen im Spiel.
       
       Der freakige Therapeut Samuel (John Cusack) und seine Frau Cristina (Olivia
       Williams), die Eltern von Agatha und Benjie, sind in dem popfreudianischen
       Szenario diejenigen, deren Ordnung gebrochen werden muss. Sie stehen für
       das Geheimnis wie für ruchlose Ambitionen ein, beides lässt die Geister in
       „Maps to the Stars“ nicht zur Ruhe kommen. Und von denen gibt es eine ganze
       Menge. Wiedergänger von Kindern zum Beispiel, denen im Leben kein Glück
       beschieden war, die sich aber am Ruhm anderer aufgerichtet haben. Auch
       Segrand wird von einer jüngeren Ausgabe ihrer Mutter verfolgt, die in so
       pikanten Momenten wie einem „Threesome“ Aufmerksamkeit beansprucht.
       
       Von solchen übersinnlichen Erscheinungen ist Cronenbergs Film fast etwas
       überfrachtet, sie spießen sich ein wenig mit den scharfsinnigen
       Psychogrammen. Andererseits ist es nur stimmig, dass zu dieser Hölle aus
       Spaß und Eitelkeiten auch Gespenster gehören: Die Verdammnis ist ein Ort
       der ewigen Gegenwart.
       
       10 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominik Kamalzadeh
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Film
 (DIR) Kino
 (DIR) Philippinen
 (DIR) Bibel
 (DIR) Roman
 (DIR) Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes 
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Das Klo im Kino: Die sich nicht wegspülen lassen
       
       Verändert sich der Blick auf einen Schauspielstar, wenn er im Film auf der
       Toilette sitzt? Wir machen uns dazu Gedanken – aus aktuellem Anlass.
       
 (DIR) Filmregisseur Lav Diaz: „Die Filme enden nie“
       
       Der philippinische Starregisseur Lav Diaz spricht über seinen neuen Film
       „Norte“. Und darüber, wie die Marcos-Diktatur sein Land geprägt hat.
       
 (DIR) Kinostart von „Exodus - Götter und Könige“: Vertrauen auf Gott? Geht so
       
       Die Bibel ist zentraler Bestandteil neuer Blockbuster. Ridley Scotts Film
       „Exodus – Götter und Könige“ ist ein Beispiel des Revivals religiöser
       Filme.
       
 (DIR) David Cronenbergs Romandebüt: Quellen der Lust
       
       Filmregisseur David Cronenberg hat seinen ersten Roman geschrieben.
       Entstanden ist ein Werk, das sich zur Liebe von Dysfunktionen bekennt.
       
 (DIR) Bilanz der Filmfestspiele: Auf Cannes ist Verlass
       
       Die Goldenen Palmen sind verliehen worden. Und schon allein die Auswahl der
       Filme zeigt, auf welch hohem Niveau sich das Festival wieder bewegt hat.
       
 (DIR) Film „Cosmopolis“: „Er ist ein Meister der Abstraktion“
       
       Der kanadische Regisseur David Cronenberg spricht über seinen neuen Film,
       Don DeLillos Talent zur Komik und warum er keine Filme mag, die alles
       erklären.
       
 (DIR) Regisseur über Psychoanalyse-Kino: "Es geht alles ums Sprechen"
       
       Der Regisseur David Cronenberg spricht über seinen neuen Film "Eine dunkle
       Begierde". Darin erzählt er von den Anfängen der Psychoanalyse – ohne
       Horror.
       
 (DIR) Interview David Cronenberg: "Etwas Tiefes, Dunkles"
       
       "Eastern Promises - Tödliche Versprechen" heißt der neue Thriller von David
       Cronenberg. Ein Gespräch über russischen Akzent, Stalin-Tätowierungen und
       multikulturelle Träume