# taz.de -- Neues Album von Jens Friebe: Das Glühwürmchen tanzt
       
       > Der Berliner Ein-Mann-Betrieb Jens Friebe bringt ein neues Album raus.
       > Mit „Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus“ gelingt ihm ein großer
       > Wurf.
       
 (IMG) Bild: Ganz routiniert: Jens Friebe.
       
       „Die Welt ist gespalten, das Elend ist alt / Alt ist die Herrschaft, alt
       die Gewalt / Zwei mal zwei Küsse, Hallo und Tschüss / Wie viele küsst Du
       nicht, wenn du küsst?“, singt Jens Friebe in „Hölle oder Hölle“, dem
       Auftaktsong seines heute erscheinenden neuen Albums. Darin klingen gleich
       zwei wiederkehrende Themen des 38-jährigen Berliners an: Liebe und Politik.
       
       Erstere hat bei dem „Vorzeige-Genderboy“ (Missy Magazin) selten eine
       geschlechtliche Festlegung. Sie wird eher traurig als happy verhandelt –
       oder sie ist gleich ohne Chance, wie beim Finale „Zahlen zusammen, gehen
       getrennt“. Was bei anderen peinlich moralisierend klingt, wirkt bei Friebe
       – etwa in dem Song „Sei einfach nicht Du selbst“ – eher wie punky
       Gesellschaftskritik.
       
       Er passt hervorragend zum Programm des agitatorischen Samplers „Keine
       Bewegung“ (Staatsakt), auf dem sich auch jüngere Bands wie Die Nerven und
       Schnipo Schranke finden.
       
       Friebes eigenes neues Album „Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus“ ist
       ein großer Wurf, mal tröstet seine Musik und schmiegt sich an wie Kaschmir,
       mal kratzt die textliche Vorstellungswelt garstig wie Holzwolle.
       
       ## Protest und Hedonismus
       
       Die Fotografie auf dem Cover des Albums ziert eine verschleierte nackte
       Frau, die raucht. „Ich mag diese Mischung aus Protest und Hedonismus,
       irgendwas Muslimisches, was man nicht unbedingt sehen muss, ein
       Nicht-Preisgeben, rätselhaft, aber auch forsch und direkt“, interpretiert
       der Künstler das Foto von Daniel Josefsohn.
       
       Gleichwohl hatte er Bedenken, ob nackte Brüste auf dem Cover nicht zu
       konventionell rüberkämen. „Dadurch, dass viele Leute denken, die Person
       wäre ich, und dann ist es eine Frau, ist das Queere ja wieder reingeholt“,
       sagt Friebe, der im Gespräch so entspannt rüberkommt wie auf der Bühne.
       
       Neben seinem langjährigen Mitstreiter Chris Imler seien mit der
       Australierin Justine Electra und dem ehemaligen Lassie-Singers-Mitglied
       Herman Herrmann nur zwei der vielen GastmusikerInnen genannt. Diese lose
       Bandvereinigung hat einen erfrischend heterogenen Sound gestaltet.
       
       ## Angst im Schlepptau
       
       Friebe legt forsch los mit besagtem Agitpopsong „Hölle oder Hölle“. „Damit
       will ich dazu einladen, weiter nachzudenken und weiterzukämpfen“, erklärt
       er. Da die Songs des Albums eine Achterbahnfahrt vollführen, folgt dem
       rasanten Auftakt im Titelsong „Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus“
       gleich eine Ballade, die diese Bezeichnung auch wirklich verdient. Sie
       atmet langsam, entwickelt ihre Melancholie gründlich und glitzert leicht;
       plötzlich scheint es völlig plausibel, mit seiner eigenen Angst im
       Schlepptau auszugehen. Sogar Geigen erklingen: „Wir haben all das gemacht,
       was wir uns früher verkniffen haben. Ich wollte den letzten Meter Richtung
       Babelsberg gehen, damit es wirklich nach Scott Walker klingt.“
       
       Dann folgt twangy Gitarrenpop: „(I am not born for) plot driven porn“ und
       Friebes harscher Kommentar zu Maschinen, die Menschen nicht nur zur Hand
       gehen in dem Song „Dein Programm“. Der Gebrauch des Autotune-Gesangseffekts
       verstört dabei. Versöhnlicher gerät das „Schlaflied“: „Kommt vom Feld, der
       Tag ist um / Seht, das Glühwürmchen tanzt …“
       
       Zum Übersetzen und Aneignen hat Friebe sich diesmal den Brocken „What will
       death be like“ des schottischen Popkünstlers Nicholas Currie alias Momus
       vorgenommen. Das Original war ursprünglich für die Theatergruppe
       bigNOTWENDIGKEIT und deren Stück ’It ain’t over til it’s over“ komponiert,
       wurde aber dann nicht genommen. Also verwendete Friebe den Song für sein
       neues Album. Ihm gefiel die kompromisslose Haltung, mit der Momus das Thema
       Tod besingt. Friebes Version trägt ein Akkordeonkleid in Moll. Möglich,
       dass Friebe dabei an seine vergangenes Jahr verstorbene Kollegin Almut
       Klotz dachte, die ihm mit ihren Songs den Weg ebnete und oft mit ihm sang.
       
       ## Abschiedssongs
       
       Es gibt weitere Songs auf dem Album, die vom Abschied handeln, etwa vom
       Ende des Tages (wie in jenem „Schlaflied“) und vom Ende der Welt („Warum
       zählen die rückwärts Mammi“). Letzteres empfindet Friebe als Satire, er hat
       sie für einen Abend in der von Christiane Rösinger betriebenen Flittchenbar
       in Berlin zum Thema „Weltuntergang /Inka-Prophezeiung“ geschrieben. Dafür
       hat Friebe eine Kunstfigur geschaffen, einen „studentischen Hallodri, der
       zu Silvester Blei gießt“. Was Friebe selbst nie machen würde, wie er sagt.
       „Na ja, ich schreibe immer, bin gerade aber auch nicht total auf der heißen
       Spur.“
       
       Mit klassischem Understatement kennt er sich aus: Friebe, das zeigen seine
       bislang erschienenen Alben, ist ein sehr wandlungsfähiger Künstler. Es
       begann beim rustikalen Debütalbum „Vorher/Nachher Bilder“, das 2004 auf dem
       ZickZack-Label von Alfred Hilsberg erschien und zeigte, wie gekonnt Friebe
       mit Wörtern und LoFi-Klängen jonglieren kann. Das 2010 erschienene vierte
       Album „Abändern“ fiel durch ein selbstverhängtes Gitarrenverbot etwas karg
       aus, klang weniger zugänglich und ließ die genialischen Hooklines der
       Vorgänger vermissen. Und doch blieb sich Friebe damit in seiner
       Unausrechenbarkeit treu.
       
       Zum Glück gibt es auf „Nackte Angst“ wieder jaulende Gitarrenwände. Friebe,
       der seine Stücke im stillen Kämmerlein allein komponiert, spielt sie
       liebend gern mit anderen ein. In ebenjener Flittchenbar ist er Stammgast
       und spielt dort auch mal „Lieder zum Klassenkampf“ mit befreundeten Bands
       wie Half Girl und Ja, Panik. Auch Hamburger Bands wie Die Heiterkeit und
       Zucker werden zu seinem Dunstkreis gezählt. „Das ist keine Szene, die an
       einem Ding arbeitet oder durch ein einheitliches Klangbild erkennbar wäre.
       Aber es gibt viele Zusammenhänge“, erklärt Friebe.
       
       Obwohl er ständig Songs schreibt, könnte der Berliner eigentlich – wie
       viele Künstler seiner Generation – nicht von der Musik allein leben. „Das
       gelingt nur, weil ich durch glückliche Umstände zu Geld gekommen bin. Ich
       hätte mir ansonsten nie leisten können, so ein Album aufzunehmen und vorher
       lange Zeit keines zu machen.“
       
       24 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Schulz
       
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