# taz.de -- Vormarsch der Dschihadisten: Ein paar Meter hinter dem Zaun
       
       > Syrische Kurden bringen ihre Familien in Sicherheit auf die türkische
       > Seite – und kehren zurück, um gegen die IS-Miliz zu kämpfen.
       
 (IMG) Bild: Ein zurückgelassenes Kinderbett an der türkisch-syrischen Grenze
       
       MÜRSITPINAR taz | Sie stehen an, als wollten sie in den Kinosaal
       vorgelassen werden. Drei Männer halten ihre Papiere in der Hand, sie haben
       keinerlei Gepäck dabei. Ein Soldat befragt jeden von ihnen, was er denn im
       Bürgerkrieg will. Sie zeigen artig ihre Papiere vor und antworten
       nacheinander: „Ich will zu meiner Familie“, sagt der Erste. „Ich muss noch
       Sachen aus meinem Haus holen“, sagt der Zweite. Der Dritte sagt: „Meine
       Eltern sind noch in Kobani.“ Weil sie kein Türkisch sprechen, sondern
       Arabisch oder Kurmandschi, einen kurdischen Dialekt, hilft ihnen ein
       Begleiter bei der Übersetzung.
       
       Sie werden durchgewunken, verlassen die Türkei und gehen rüber nach Syrien.
       Wenige Minuten, bevor die drei syrischen Kurden sich in die Warteschlange
       für den Grenzübergang anstellten, erzählten sie noch ganz offen, dass sie
       für den Kampf zurückkehren. Sie haben ihre Familien auf türkischer Seite in
       Sicherheit gebracht, nun wollen sie zurück, um ihre Heimat zu verteidigen.
       
       Es ist gegen zwölf Uhr Mittags in dem Dorf Mürsitpinar inder türkischen
       Südost-Provinz Sanliurfa, wo sich ein Grenzübergang zu Syrien befindet. Bis
       vor kurzem war dies ein ruhiger Ort, mit einem Grenzzaun in staubiger
       Landschaft. Seit dem Vorstoß der IS-Terroristen auf die nordsyrische Stadt
       Ain al-Arab, die von ihren meist kurdischen Bewohnern Kobani genannt wird,
       und der damit ausgelösten Massenflucht liefern sich türkische Soldaten
       heftige Auseinandersetzungen mit kurdischen Syrern und mit Türken. Nach
       Angaben der türkischen Regierung sollen 160.000 kurdische Syrer in die
       Türkei geflohen sein – Vertreter der Kurden sagen, diese Zahl sei weit
       übertrieben.
       
       Soviel ist klar: Hunderte von ihnen kehren nun wieder zurück. Kobani liegt
       wenige Meter hinter dem Zaun in Mürsitpinar. Hier ist die Grenze zwischen
       Krieg und Frieden.
       
       ## „Dann gehen wir wieder zurück in die Türkei“
       
       Die einen kommen zu dem Grenzübergang, wo sich auch der verwahrloste kleine
       Bahnhof Mürsitpinars befindet, weil sie sie ihr Hab und Gut schützen
       wollen. „Unser Haus steht in Kobani, wir können das doch nicht einfach den
       Terroristen überlassen“, erklärt eine Syrerin, die mit ihrem Mann und ihrem
       Sohn zurück geht. Ob sie keine Angst habe vor den Terroristen? „Doch,
       natürlich. Aber wenn die IS uns zu nahe kommt, gehen wir wieder in die
       Türkei.“
       
       Andere kommen, um sich den Kampf gegen IS anzuschließen. „Wir können doch
       nicht unsere Mitmenschen einfach sterben lassen. Ich will zurück, um gegen
       diese Bestien zu kämpfen“, sagt ein Syrer.
       
       Ein Mann steht vor dem Zaun und ruft lautstark dazu auf, in den Krieg gegen
       den IS zu ziehen. Daneben stehen ruhig die Soldaten, sie können die Syrer
       nicht davon abhalten, die Grenze zu überqueren oder für den Krieg zu
       werben. Jeder Einzelne wird gefragt, warum er nach Syrien will, nach Waffen
       durchsucht und wer syrische Papiere hat, darf durch.
       
       Weil aber immer mehr türkische Kurden sich dem Krieg im Nachbarland
       anschließen wollen, liefern sich in Mürsitpinar türkische Sicherheitskräfte
       immer wieder heftige Auseinandersetzungen mit Kurden an der Grenze. Immer
       wieder werden Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt, um kurdische Kämpfer
       davonzujagen, die nach Syrien gelangen worden. Gelegentlich wird der
       Übergang für Stunden geschlossen, wenn der Andrang zu groß wird oder wieder
       einmal eine Gruppe türkischer Kurden versucht, die Grenze zu überschreiten.
       
       Türken jedoch dürfen nicht nach Syrien. „Wir können nicht zulassen, dass
       türkische Staatsbürger zum Kämpfen nach Syrien gehen. Das wäre auch nicht
       von Nutzen“, begründete der Ministerpräsident Ahmet Davutoglu das Verbot.
       „Kobani steht unter Kontrolle der PKK. Wenn der Staat die Menschen
       hinüberlässt, könnte das als Unterstützung der PKK verstanden werden“, sagt
       Fethi Akaslan, der lokale Vizechef der regierenden islamisch-konservativen
       AKP in der naheliegenden Grenzstadt Suruc.
       
       ## „Kurdistan wird zum Grab für den IS“
       
       Im Norden Syriens haben sich die syrischen Kurden im Schatten des
       Bürgerkrieges eine inoffizielle Autonomiezone geschaffen. Nun bringt der
       Angriff der Dschihadisten dieses Gebiet in Gefahr – und die „Arbeiterpartei
       Kurdistans“ PKK, die in der Türkei und der EU als Terrorgruppe gelistet
       wird, reagierte mit einem Aufruf an ihre Anhänger in der ganzen Welt, die
       kurdischen Syrer zu verteidigen. Der Aufruf wirkte.
       
       In Istanbul gingen vergangene Woche rund 10.000 Menschen auf die Straße, um
       ihre Unterstützung für den Kurden-Kampf gegen die Islamisten zu
       demonstrieren. „Kurdistan wird zum Grab für den IS“, riefen sie. Mehrere
       hundert PKK-Kämpfer aus der Türkei sollen bereits in Syrien angekommen
       sein.
       
       Die türkische Regierung ist alarmiert, weil sie eine Stärkung der PKK
       befürchtet. Zwar verhandelt die Türkei mit der PKK über eine friedliche
       Beendigung des Kurdenkonflikts. Sie fürchtet aber, dass die Kurdenrebellen
       angesichts ihrer militärischen Erfolge gegen den IS in ihren
       Autonomieforderungen noch bestärken wird.
       
       ## Die Lage verändert sich schnell
       
       In Mürsitpinar ist es an diesem Vormittag ruhig. Immer wieder kommen
       Familien oder Einzelpersonen an, werden von dem Dutzend türkischer Soldaten
       kontrolliert. Wer alle Fragen artig beantwortet und die richtige Papiere
       hat, wird innerhalb weniger Minuten durchgelassen.
       
       Einen Tag später ist die Situation eine andere: Weil die Soldaten die
       Grenze in Mürsitpinar schließt, stürmen hunderte Menschen den
       Stacheldrahtzaun. Es gelingt ihnen, nach Kobani rüber zu rennen, sie wollen
       sich dem Kampf gegen die Dschihadisten anschließen, berichten Augenzeugen.
       Die Grenzschützer lassen sie gewähren. Auf Bildern ist zu sehen, wie die
       Menschen in Kobane die Ankömmlinge jubelnd empfangen.
       
       Wie dicht die IS-Milizen bereits an Kobani herangekommen sind, berichtet
       der Vorsitzende der kurdischen Regionalregierung am Montag: Nur noch vier
       bis sieben Kilometer liegen zwischen der Stadt und der Front der
       Islamisten. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit,
       dass Artilleriefeuer drei Menschen in Kobani getötet habe. Die Extremisten
       hätten am Montag 17 Granaten auf das Zentrum der Stadt abgefeuert.
       Kurdische Kämpfer bereiteten sich auf einen Gegenschlag vor. 1.800
       Peschmerga seien in Stellung gegangen.
       
       29 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cigdem Akyol
       
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