# taz.de -- Doppelkonzept: Mit allen Mitteln
       
       > Bremen baut eine Spezialeinrichtung für gewaltbereite minderjährige
       > Flüchtlinge auf. Zugleich wollen die Behörden Härte zeigen.
       
 (IMG) Bild: Der Umgang mit gewaltbereiten jugendlichen Flüchtlingen: die Hand geben oder selbige lieber schnell vermessen?
       
       BREMEN taz | Verfolgungsdruck und Zuwendung: Bremen reagiert mit einem
       Doppelkonzept auf das Problem straffälliger jugendlicher Flüchtlinge, die
       ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen sind. Seit Mai sei zu
       beobachten, sagt Innenstaatsrat Holger Münch (parteilos), dass eine Gruppe
       von etwa 15 Jugendlichen strafrechtlich „richtig auffällig“ sei, mit
       bislang bis zu 40 tatverdächtigen Handlungen pro Person. Hinzu käme eine
       Gruppe von rund 30 „mehrfach auffälligen“ Jugendlichen.
       
       Insgesamt leben in Bremen rund 300 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge,
       die sich in ihrer großen Mehrheit angepasst verhalten. Fünf Prozent von
       ihnen sind Mädchen, die gewalttätige Gruppe, deren Altersspannen von 12 bis
       17 Jahren reicht, ist jedoch rein männlich. Die bestehenden Bremer
       Jugendhilfe-Einrichtungen seien mit dem Kriminalitätsphänomen überfordert,
       stellt der grüne Sozialstaatsrat Horst Frehe fest.
       
       Deswegen plant Bremen nun eine neue „Spezialeinrichtung für die
       intensivpädagogische Betreuung von straffälligen Jugendlichen“. Dabei soll
       es sich ausdrücklich weder um ein „Gefängnis light“ noch um ein
       geschlossenes Heim handeln. Frehe betont: „Die geschlossenen Heime erfüllen
       die in sie gesetzten Erwartungen nicht.“
       
       Stattdessen setzt das Sozialressort auf eine 1:1-Betreuung, auf
       „verlässliche, zugewandte Beziehungsarbeit“, im Einzelfall auch auf
       psychotherapeutische Maßnahmen. Vorgesehen sind 20 Plätze in fünf
       Wohngruppen und zusätzlich fünf Kriseninterventionsplätze für eine sehr
       kurzfristige Aufnahme. Mehrere Standorte würden derzeit auf ihre Eignung
       geprüft, ein Träger soll per Ausschreibung gefunden werden. Eine
       Übergangslösung an einem ungenannten Ort hat bereits den Betrieb
       aufgenommen.
       
       Wie drängend das Problem ist, zeigt der Tod eines 16-jährigen Algeriers: Er
       starb am Donnerstag an Stichverletzungen, die ihm vor einer Woche von einem
       anderen jugendlichen Flüchtling zugefügt worden waren. Die Messerstecherei
       fand im Metronom statt, der im Hauptbahnhof zur Abfahrt nach Hamburg stand.
       
       „Viele haben eine Sozialisation hinter sich, die auf das unmittelbare
       Überleben gerichtet ist“, sagt Frehe, Münch spricht vom „Typus
       Straßenkinder“. Seinen Erkenntnissen zufolge handelt es sich um
       Minderjährige aus Marokko und Algerien, die sich „irgendwie“ nach Bremen
       durchgeschlagen hätten. Ähnliche Phänomene würden in Hamburg, in
       nordrhein-westfälischen Großstädten und sogar in Freiburg beobachtet.
       
       Ein Zusammenhang mit den aktuellen Bürgerkriegs-Regionen bestehe nicht.
       Münch: „Warum die Jugendlichen gerade jetzt zu uns kommen, ist den Behörden
       bundesweit noch unklar.“
       
       Die Jugendlichen in ihre Heimatländer zurückzuschicken, sei rechtlich nicht
       möglich, sagt Münch. Einige von ihnen waren bislang im Habenhauser
       Flüchtlingsheim untergebracht, wo sie andere Flüchtlinge bedrohten.
       Tagsüber sei ihr bevorzugter Aufenthaltsort der Hauptbahnhof – dort und an
       der Discomeile gelten nun jedoch Platzverweise. Nach Polizeiangaben kam es
       dort zu „besonders vielen Straftaten durch minderjährige Flüchtlinge“:
       zahlreiche Diebstähle und Einbrüche, aber auch Körperverletzungen und
       gemeinschaftlich begangene Raubüberfälle.
       
       Das Justizressort will mit „konsequenten Anklagen“ auf die hohe
       Straftatsdichte reagieren. Drei Jugendliche befänden sich derzeit in
       Untersuchungshaft. Justizstaatsrat Matthias Stauch (SPD) hält den
       Aufenthalt „in dieser eindrucksvollen Umgebung“ für eine taugliche
       Abschreckungsmaßnahme, die bereits Wirkung zeige: Die Inhaftierten
       verhielten sich „unauffällig“, was in starkem Kontrast zu der sonst von
       ihnen gegenüber der Polizei gezeigten „Respektlosigkeit“ stehe.
       
       In dem geplanten Heim, das in etwa einem halben Jahr bezugsfertig sein
       soll, soll hingegen „intensiver Sport“ seine Wirkung zeigen. Zum Konzept
       gehören Selbstversorgung, eine reizarme Umgebung, Fernsehfreiheit, Sprach-
       und „lebenspraktischer“ Unterricht sowie strenge Waffen- und
       Drogenkontrollen. Nach sechs bis 12 Monaten, so die Hoffnung, sind die
       Jugendlichen dann ausreichend „stabilisiert“, um in Regeleinrichtungen zu
       wechseln.
       
       Warum setzt Bremen nicht auf Vereinzelung der Gruppenmitglieder, um die
       möglicherweise kontraproduktiven Ausformungen einer Peer-Pädagogik zu
       vermeiden? Pflege-Familien seien nur „normale“ minderjährige Flüchtlinge
       zuzumuten, meint Jugendhilfe-Referent Bernd Rein, das gelte auch für die
       bestehenden Heime. Und für separierte Spezial-Unterbringungen fehle Bremen
       schlicht die Fläche – die Zuweisung in spezielle Einzelfall-Maßnahmen
       andernorts verhindere noch immer die Residenzpflicht.
       
       Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG), der unter
       anderem Caritas, Arbeiterwohlfahrt und Diakonisches Werk angehören,
       begrüßen den Verzicht auf eine geschlossene Unterbringung ausdrücklich.
       LAG-Vorstandssprecher Arnold Knigge fordert nun „die zügige Entwicklung“
       des angekündigten Betreuungskonzepts. „Auch die Finanzierung muss klar
       definiert werden“, betont der frühere Sozialstaatsrat.
       
       Die Gewerkschaft der Polizei will das neue Konzept „kritisch begleiten“. Es
       zeige „zwar eine konsequente Richtung auf“, erfordere von den BeamtInnen
       jedoch „noch mehr Einsatz“. Schon jetzt würden „ganze Polizeiinspektionen
       durch die jungen kriminellen Flüchtlinge an der Abarbeitung der
       Alltagskriminalität gehindert“.
       
       Während die Grünen das Senatskonzept unterstützen, setzt die CDU vor allem
       auf Handknochen: Deren schnellstmögliche Vermessung sei entscheidend, sagt
       Wilhelm Hinners als innenpolitischer Sprecher der CDU, um „Alter und
       Strafmündigkeit festzustellen“. Schließlich müsse bei strafrechtlichen
       Handlungen „die konsequente Verfolgung im Vordergrund stehen“. In Hamburg,
       wo dieses Altersbestimmungsverfahren praktiziert wird, wurden dessen
       Ergebnisse bereits mehrfach von Gerichten als irrelevant eingestuft:
       Wissenschaftlich sei die Methode nicht als zuverlässig anerkannt.
       
       Seit 2011 hat sich die Zahl der in Bremen lebenden unbegleiteten
       minderjährigen Flüchtlinge jährlich verdoppelt – was zu einem bundesweiten
       Anteil von fünf Prozent geführt hat. Auf politischer Ebene will die
       Landesregierung nun erreichen, dass der Bremer Anteil auf die 0,93 Prozent
       abgesenkt wird, die nach dem Königssteiner Schlüssel dem Bremer Anteil am
       Bundesproporz entsprechen. Auf der pädagogischen Ebene hingegen ist der
       Stadtstaat gerade dabei, ein Modellprojekt aufzubauen: „Uns ist keine schon
       existierende Einrichtung bekannt“, sagt Jugendhilfereferent Rein, „die ein
       solches Konzept der Intensiv-Betreuung umsetzt.“ Viele Städte seien da
       „ausgesprochen ratlos“.
       
       3 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
       
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