# taz.de -- Debatte Kampf um Kobani: Das Kalkül der PKK
       
       > Die Türkei und die Kurden sind uneins, wie Kobani zu retten sei. Doch
       > gegen den „Islamischen Staat“ können sie nur gemeinsam gewinnen.
       
 (IMG) Bild: In Sichtweite westlicher Kameras: kurdisches Mädchen aus Kobani.
       
       Die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK lässt die Muskeln spielen. Mehr
       als 20.000 Menschen sind am Samstag dem Aufruf ihr nahestehender Vereine
       gefolgt. Die Großdemo in Düsseldorf bildete den Höhepunkt einer Woche
       voller Kundgebungen in ganz Europa, in der unter anderem Parteizentralen
       besetzt, Bahnhofsgleise blockiert und Fernsehsender belagert wurden. Mit
       Ausnahme von Celle und Hamburg, wo es zu Ausschreitungen kam, blieb es
       dabei friedlich.
       
       Es gibt zwei Gründe, warum die Lage in Kobani jetzt vor aller Augen steht.
       Zum einen liegt der Ort direkt an der Grenze zur Türkei und damit in
       Sichtweite westlicher Kameras. Das dramatische Geschehen dort erfährt
       deshalb viel mehr Aufmerksamkeit als der aktuelle Vormarsch der Milizen des
       Islamischen Staats in der irakischen Provinz Anbar oder die Zustände in der
       nordirakischen Millionenstadt Mossul, die schon seit Juli in den Händen der
       Dschihadisten ist.
       
       Und zum anderen hat die PKK Kobani zu einem Symbol erklärt. Rojava, wie die
       PKK den Norden Syriens nennt, hat für sie besondere Bedeutung, denn dort
       setzt sie das aktuelle Gesellschäftsmodell ihres politischen Anführers
       Abdullah Öcalan um, „demokratischer Konföderalismus“ genannt – auf dem
       Papier eine Art Rätedemokratie mit Selbstverwaltung und Basisdemokratie,
       ökologisch und gleichberechtigt zugleich.
       
       Kritiker dagegen sagen, der syrische Arm der PKK, die Partei der
       Demokratischen Union (PYD), setze dort die Diktatur des Assad-Regimes fort
       und habe sie bloß mit einem kurdischen Anstrich versehen. Außerdem arbeite
       sie heimlich mit dem Regime zusammen.
       
       Für diesen Verdacht gibt es einen Grund. Seit dem Sommer 2011, als ihr das
       Assad-Regime kampflos das Feld räumte, hat sich die PYD nie der Freien
       Syrischen Armee angeschlossen, in der sich vor allem die bewaffneten
       sunnitischen Widerstandsgruppen versammeln, die gegen das Regime in
       Damaskus kämpfen. Stattdessen toleriert die PYD bis heute Stellungen von
       Assads Armee auf ihrem Gebiet, während sie andere Rebellengruppen zuweilen
       bekämpft hat. Die Beziehungen gehen auf die Allianz der PKK mit dem Regime
       in Damaskus zurück, die fast so alt ist wie die türkische
       Guerillaorganisation selbst. Von 1979 bis 1998 gewährte das Assad-Regime
       dem PKK-Chef Öcalan und seinen Kämpfern Asyl und ließ sie sogar anfangs in
       der Bekaa-Ebene des Libanon ausbilden.
       
       ## Friedensprozess bedroht
       
       Die PYD in Syrien entstand 2003 als verlängerter Arm der PKK. Weil sie über
       Waffen verfügte, gelang es ihr nach dem Aufstand gegen Baschir al-Assad
       rasch, im Norden Syriens die anderen syrischen Kurdenparteien, die sich im
       Kurdischen Nationalrat zusammengeschlossen haben, zu verdrängen und zur
       Seite zu schieben.
       
       Ein Eingreifen des Westens im syrischen Bürgerkrieg lehnte die PYD bis vor
       Kurzem noch kategorisch ab. Doch jetzt fordert die Schwesterpartei der PKK
       stärkere Luftangriffe der USA gegen die IS-Milizen vor Kobani und von der
       Türkei, einen Korridor für Kämpfer und Waffen in die umkämpfte Stadt frei
       zu machen. Konkret bat ihr Anführer Salih Muslim nach einem Treffen in
       Ankara um schweres Gerät wie Milan-Raketen und panzerbrechende Waffen, wie
       sie die Peschmerga im Nordirak erhalten haben. Das aber lehnt die Türkei
       ab, denn sie betrachtet die PKK noch immer als eine Terrororganisation.
       
       Die Idee des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, im Norden Syriens
       eine Pufferzone und eine Flugverbotszone zu errichten, lehnt wiederum die
       PYD strikt ab. Einen geplanten Einmarsch türkischer Truppen betrachtet sie
       als Versuch, selbst die Kontrolle über das Gebiet zu erlangen. Die
       türkische Armee wird deshalb kaum eingreifen, wenn sie befürchten muss, als
       Besatzungsmacht angegriffen zu werden. Und die PKK erweckt den Eindruck,
       lieber ihre Kämpfer den Heldentod in Kobani sterben zu lassen, als
       Kompromisse einzugehen. Im Gegenteil, sie droht der Türkei: Sollte Kobani
       fallen, will sie den Friedensprozess aufkündigen, der den Konflikt beenden
       soll, der allein in den neunziger Jahren in der Türkei mehr als 30.000
       Menschen das Leben kostete.
       
       ## Warnschuss in Diyarbakir
       
       Die Ausschreitungen, bei denen in der letzten Woche in der Türkei mehr als
       30 Menschen starben, bilden ein Vorgeschmack auf das, was dem Land dann
       blühen würde. Schon vor zwei Wochen verübte ein Flügel der PKK bei
       Diyarbakir einen Anschlag, bei dem drei Polizisten ums Leben kamen – ein
       Warnschuss.
       
       Die PKK strotzt vor Selbstbewusstsein, und die Waffenlieferungen an die
       Kurden im Nordirak haben die innerkurdische Rivalität angestachelt.
       Zähneknirschend musste die PKK mit ansehen, wie ausgerechnet die
       Autonomieregierung von Mustafa Barsani in Erbil vom Westen mit Waffen
       belohnt wurde, obwohl deren Peschmerga-Einheiten doch die Jesiden in der
       Sindschar-Region im Nordirak schmählich im Stich gelassen hatten. Es waren
       vor allem Kämpfer der PKK und der PYG, die ihnen bei der Flucht über das
       Sindschar-Gebirge im Nordirak auf syrisches Gebiet halfen. Aufmerksam hat
       die PKK auch registriert, wie deutsche Politiker und Medien inzwischen das
       PKK-Verbot infrage stellen. Schützenhilfe erhält sie auch von Journalisten,
       die behaupten zu wissen, „was die Kurden wollen“, aber letztlich nur die
       PKK-Position wiedergeben.
       
       Das befördert ihre Hybris. Doch es wird der PKK und der mit ihr
       verbrüderten PYD kaum gelingen, sich jetzt gegen den Willen der Türkei dem
       Westen als Partner gegen die IS-Milizen anzubieten, wie sie es versucht.
       Allein wären ihre Kämpfer auch mit besseren Waffen gar nicht in der Lage,
       bereits verlorene Gebiete zurückzuerobern. Es gibt für die Kurden in Syrien
       keine Alternative zum Schulterschluss mit der Türkei, die als einzige
       Regionalmacht über die notwendigen Bodentruppen verfügt. Auch für die
       Türkei wäre es eine Chance, die Herzen der Kurden zu erobern, wenn sie
       hilft, Kobani und die überwiegend kurdisch bevölkerten Gebiete im Norden
       Syriens vor den IS-Milizen zu retten.
       
       Den Islamischen Staat können sie jedenfalls nur gemeinsam schlagen, die
       Kurden und die Türkei. Getrennt werden beide Seiten nur verlieren.
       
       12 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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