# taz.de -- Historikerin über Pazifismus: „Die UNO ist leider schwach“
       
       > Die Historikerin Corinna Hauswedell über modernen Pazifismus in Zeiten
       > von IS und Assad, Gegengewalt und Doppelmoral.
       
 (IMG) Bild: Flugzeugträger USS George H.W. Bush im arabischen Golf: „Militärisches Gegenwirken allein nutzt gar nichts“, sagt Corinna Hauswedell
       
       taz: Frau Hauswedell, bezeichnen Sie sich als Pazifistin? 
       
       Corinna Hauswedell: Ja.
       
       Was heißt das für Sie? 
       
       Das heißt, dass sowohl mein Wissen als Historikerin als auch meine
       praktischen Erfahrungen dahin gehen, dass nur zivile Mittel das Auftreten
       von Gewalt nachhaltig bekämpfen können. Wobei ich zugeben muss, dass ich
       vielleicht vor zehn Jahren nicht so schnell Ja gesagt hätte. Das ist schon
       auch ein Reflex auf die Entwicklungen der jüngeren Zeit.
       
       Wie weit kommt man mit Pazifismus, wenn eine der Konfliktparteien bereit
       ist, Gewalt einzusetzen? 
       
       Ich habe lange in Nordirland gearbeitet, in einem Konflikt, bei dem beide
       Seiten, staatliche und nichtstaatliche Akteure, bereit waren, Gewalt
       einzusetzen. Auch da ist meine Erfahrung: Gegengewalt führt in der Regel
       zur Eskalation. Man muss und kann Wege finden, aus der Gewaltspirale
       herauszutreten. Mit Gegengewalt gelingt das nicht.
       
       Reden wir über den Konflikt mit dem sogenannten Islamischen Staat, einer
       Gruppierung also, die bereit ist, extreme Gewalt bis zum Völkermord
       einzusetzen. Sie werden mir jetzt sagen, dass man vorher hätte aktiv werden
       müssen, aber das gilt jetzt nicht. Kann da heute irgendetwas anderes
       helfen, als dessen Ausbreitung mit Gewalt entgegenzutreten? 
       
       Militärisches Gegenwirken allein nutzt jedenfalls gar nichts. Sicher muss
       moderner Pazifismus sich auch um den Schutz vor rechtloser Gewalt kümmern.
       Wie schützen wir Menschen, die bedroht sind, obwohl sie vorher gar keine
       Konfliktparteien waren? „Wir“ meint heute eine Weltgesellschaft mit einem
       relativ hohen Erfahrungspotenzial an Konfliktbewältigung. Und ja: Wir
       müssen einen Weg finden über politische Allianzen, IS möglichst
       völkerrechtlich abgesichert zu isolieren und auch militärisch zu stoppen.
       Aber mindestens ebenso wichtig – Sie haben es ja gesagt: Das Auftreten von
       IS hat Geschichte und Ursachen, und wenn wir denen nicht auf den Grund
       gehen, werden wir IS auch nicht wirklich bekämpfen können.
       
       Dann mal konkret: Manche sagen, der US-Einmarsch in den Irak 2003 sei der
       Hauptgrund. Andere sagen, der Einfluss des Iran auf die Regierung Maliki
       und die von ihm geförderten schiitischen Milizen habe diese Art
       sunnitischer Reaktion erst provoziert. Wie sehen Sie das? Wo hätte denn
       eine Weltgemeinschaft sich anders verhalten müssen oder können? 
       
       Die beiden von Ihnen genannten Erklärungsansätze sind ja komplementär. Dazu
       kommt die Verschärfung der weltpolitischen Auseinandersetzungen nach 9/11
       und dieses sogenannte erweiterte Sicherheitskonzept des Westens, das vor
       allem auf militärischer Stärke und Geheimdiensten beruhte oder zivile
       Interventionsmodelle unter militärische Kuratel stellte – siehe
       Afghanistan. Dazu kamen Kontroversen und Exklusion innerhalb islamischer
       Gesellschaften, wie wir sie nach dem Arabischen Frühling beobachten
       konnten. All das hat zur Radikalisierung von Gruppen wie IS beigetragen.
       Diejenigen, die aus dem Ausland zum IS stoßen, aus Europa oder Deutschland,
       häufig frustriert oder marginalisiert in ihrem heimatlichen Umfeld,
       schließen sich einer Organisation an, deren Kampf Zugehörigkeit, religiöses
       Heil und Weltbedeutung verspricht. An alldem hat westliche Politik des
       vergangenen Jahrzehnts einen Anteil.
       
       O. k. Aber was nutzt es, mitten im aktuellen Konflikt Ursachenforschung zu
       betreiben? Wer könnte da wie agieren? Die „Weltgemeinschaft“? 
       
       Die Weltgemeinschaft ist eine Schimäre. Die Gründung der UNO war der bisher
       wichtigste Versuch, eine Völker- und Staatengemeinschaft mit einem
       Normenkonsens zu werden, der auf ethischen und rechtlichen Konzepten
       basiert. Gegenwärtig ist die UNO leider schwach, durch Machtspiele
       marginalisiert. Dennoch: Es gibt eine Verrechtlichung internationaler
       Beziehungen, etwa den Internationalen Strafgerichtshof oder die Debatte um
       Schutzverantwortung.
       
       Warum bricht sich dann in großen Teilen der Welt die Auffassung Bahn, diese
       Normen seien letztlich in ihrer Anwendung selektiv und daher nicht mehr als
       ein Instrument der Durchsetzung westlicher Interessen? 
       
       Die ökonomische Macht auf der Welt ist so ungleich verteilt, dass das auch
       zu einer Zerrüttung von Normen führt, zu Doppelmoral und Doppelstandards.
       Das bringt mich auch wieder zu IS: Letztlich geht es dabei um eine
       Provokation westlicher Führungsmacht, so wie jede Form von Terrorismus auch
       immer eine Provokation der Macht ist und insofern ein – wenn auch brutaler
       – Akt der Kommunikation. Wir müssen darauf eine Antwort finden, die anders
       ist, die die Menschen schützt und sich im Rahmen der Normen bewegt. Und
       letztlich: die Normen wiederherstellen.
       
       Wer ist hier wieder „wir“? Wer könnte Friedensmacht sein? 
       
       Ich finde die EU gar nicht so schlecht aufgestellt. Es müssen auch gar
       nicht unbedingt immer alle in der EU mit einer Stimme sprechen. Macht und
       Einfluss bedeuten heute in der Regel ökonomische Macht. Aber diese sollte
       politisch anders zum Tragen kommen. Ich wünsche mir, dass Deutschland
       innerhalb der EU eine neue Bresche für zivile Krisenpräventionskonzepte
       schlägt und nicht nur darüber redet. Das könnte mit neuen Konzepten und
       Investitionsprogrammen auf Gebieten der Migrations- und Flüchtlingspolitik
       geschehen, aber auch durch Dialog- und Vermittlungsvorhaben, die direkt in
       Krisenherden zum Tragen kommen könnten.
       
       Das ist mir zu theoretisch. Was stellen Sie sich darunter konkret vor? 
       
       Deutschland könnte helfen, im Mittleren Osten mit anderen
       konflikterfahrenen EU-Staaten regionale Foren zu schaffen, in die auch
       Länder wie Iran und Saudi-Arabien einbezogen werden und wo unsere
       Erfahrungen mit Krieg, Frieden und Vergangenheitsdiskurs eingebracht
       werden. Warum nicht zum Beispiel ein Forum entwickeln, wo man die früheren
       Feinde aus Nordirland mit Konfliktparteien im Nahen Osten zusammenbringt,
       um den Umgang mit Gewalt, Fragen von Sicherheit und religiöser und
       ethnischer Identität zu diskutieren? Solche Interventionen sind allerdings
       nur glaubwürdig, wenn sie nicht von Militäreinsätzen begleitet sind.
       
       Angenommen – Sie sagen ja immer, dass man nicht erst reagieren soll, wenn
       es zu spät ist –, vor fünf Jahren hätte man so etwas gestartet. Assad,
       Gaddafi, Mubarak und Ben Ali waren fest im Amt. Und die hätten sich nun
       alle zusammengesetzt. Was hätte denn dabei bitte herauskommen sollen? 
       
       Ob Ihr Beispiel funktioniert hätte, weiß ich nicht. Das waren ja doch sehr
       selbstverliebte Autokraten. Aber seit dem Arabischen Frühling sind die
       Voraussetzungen besser. Warum nicht da, wo es etwas besser läuft, also etwa
       Tunesien, Beispiele für die Region schaffen, positives
       zivilgesellschaftliches Engagement ausbauen?
       
       Nach dem Ende des Kalten Krieges haben alle davon gesprochen, jetzt gelte
       es, die Friedensdividende einzusammeln. Gibt es Kriegstreiber, die das
       verhindert haben? 
       
       Das ist mir zu simpel, ich halte nichts von Verschwörungstheorien. O. k.,
       da war die Rüstungsindustrie, die um ihr Geschäft fürchtete. Aber es haben
       sich auch in den 1990er Jahren zwei politische Diskurse in höchst
       ambivalenter Weise verbunden: das Konzept menschlicher Sicherheit und
       Schutz von Menschenrechten mit der Frage, was man denn nun eigentlich mit
       dem Militär anstellen solle. Die Nato hat zehn Jahre nach einer neuen
       Mission gesucht.
       
       Hätte sich die Nato nicht direkt nach dem Ende des Kalten Krieges auflösen
       sollen? 
       
       Das hätte nicht nur ich gut gefunden. Und Deutschland hätte mit seiner
       wiedergewonnenen Souveränität dafür werben sollen. Aber wir haben nicht
       visionär gedacht, sondern Bündnistreue zur Staatsräson gemacht, und am Ende
       der 1990er Jahre stand dann die Rechtfertigung neuer militärischer
       Interventionen – der Kosovokrieg ohne UN-Mandat, ein Tabubruch. Nach 9/11
       wurden die meisten auf aktive Friedensförderung setzenden Ansätze
       hinweggefegt. Das Ergebnis sehen wir heute.
       
       19 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Pickert
       
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