# taz.de -- „Anthropozän-Projekt“ in Berlin: Der Umbau der Erde
       
       > Eine Wissenschaftstagung im Rahmen des Berliner „Anthropozän-Projekts“
       > geht der Frage nach, wann das Menschenzeitalter begonnen hat.
       
 (IMG) Bild: Anthropocene Observatory: „Whirlwind“, Pantelleria, Italien, 2007.
       
       Das „Menschenzeitalter“ ist da. In ungebremsten Tempo ist die Spezies
       Mensch dabei, den Planeten Erde auszubeuten und nach ihrem Bedarf zu
       formen. Jetzt begibt sich auch die Forschung daran, das „Anthropozän“
       wissenschaftlich zu untersuchen und zu definieren. Im Rahmen des
       zweijährigen [1][„Anthropozän-Projekts“] am Berliner Haus der Kulturen der
       Welt (HKW) konstituierte sich vergangene Woche eine Arbeitsgruppe der
       Internationalen Kommission für Stratigraphie, einer geologischen
       Fachgesellschaft für Bodenschichten.
       
       „Wir wollen untersuchen, ob das Anthropozän eine geologische Realität ist
       und wie man es definieren kann, als Untereinheit oder als erdgeschichtliche
       Epoche“, erklärte Jan Zalasiewicz, polnischer Geowissenschaftler und
       Sprecher der „Anthropocene Working Group“ (AWG).
       
       Für die Geoforscher ist unbestritten, dass eine „Zeitenwende“ bereits
       eingetreten ist. Aber noch recht vage ist für die Wissenschaftler, welchen
       Umfang das Anthropozän bereits jetzt erreicht hat und welches seine
       „Leitfossilien“ im Untergrund sind, durch die es sich von anderen Epochen
       unterscheidet.
       
       Auch über die Datierung des Beginns, die „Geburtsstunde“ des
       Menschenzeitalters, ist man noch uneins.
       
       Eine Gruppe tendiert zum Beginn des Industriezeitalters um das Jahr 1750.
       Andere sehen den eigentlichen Startschuss in der „großen Beschleunigung“,
       die in vielen Wirtschafts- und Lebensbereichen Mitte des 20. Jahrhunderts
       einsetzte.
       
       ## Nutzung von Luft und Wasser, von Atmosphäre und Meeren
       
       Für Colin Waters von der britischen Geologiebehörde stellt der Beginn des
       nuklearen Zeitalters den griffigsten Markierungspunkt dar, weil hier vom
       Menschen produzierte radioaktive Stoffe in die Umwelt gelangten, die es
       dort vorher nicht gab. Waters: „Der beste Marker für das Anthropozän ist
       die erste Atombombenexplosion am 16. Juli 1945 in Alamogordo.“
       
       In unterschiedlichen geologischen Ebenen spüren die Forscher der AWG-Gruppe
       dem neuen Erdzeitalter nach. Da ist die Lithostratigrafie, die sich mit den
       Materialbewegungen durch den Menschen beschäftigt. Unter der Erde ist eine
       eigene Welt entstanden, allein in den Vereinigten Staaten gibt es 568.000
       stillgelegte Bergwerke, weltweit sind es nach Schätzungen der Forscher
       zehnmal so viel. Eine vom Menschen bewirkte Tektonik ist nicht selten die
       Folge.
       
       Das Spezialfeld der Chemostratigrafie untersucht vor allem die Nutzung von
       Luft und Wasser, von Atmosphäre und Meeren als Abfalldeponien. Bekanntestes
       Beispiel ist das treibhauswirksame Kohlendioxid aus Verbrennungsprozessen.
       „Auch der Einsatz von Düngemitteln verändert den Stickstoffhaushalt von
       Gewässern, was sich auch im Gestein ablagert“, erläutert Zalasiewicz.
       
       Die Biostratigrafie betrachtet den Artenschwund von Pflanzen und Tieren.
       Dass sich die Erde, wie bereits fünf Mal zuvor in ihrer Geschichte,
       inzwischen wieder in einer Periode „massiver Massenausrottung“ befindet,
       wollen die Geoforscher zwar nicht bestätigen. Dennoch konstatieren sie,
       dass viele Arten stark gefährdet sind.
       
       ## „Ein erschreckendes Bild“
       
       Die Materialbewegungen, die der Mensch auf der Erde in Gang setzt, sind
       gigantisch. Die weltweite Kohleförderung beläuft sich auf 9 Gigatonnen
       (Milliarden Tonnen) im Jahr, für die Förderung von Eisenerz und die
       Zementproduktion werden jeweils 2,2 Gigatonnen bewegt, an Sand sind sogar
       13 Gigatonnen auf Lastern und Kähnen unterwegs.
       
       James Syvitski: „Der Mensch bewegt inzwischen mehr Material, als über die
       natürlichen Prozesse, etwa in Flüssen, transportiert wird.“ Zum Vergleich:
       Die Chinesische Mauer wurde mit einem Materialaufwand von 0,4 Gigatonnen
       Gestein errichtet. Die massiven Eingriffe bleiben nicht ohne Folgen.
       Natürliche Flussläufe werden zur Rarität.
       
       Ab 1813 war der Bau von größeren Staudämmen mit einer Spannbreite von
       mindestens 45 Metern möglich. Seitdem wurde im Schnitt weltweit jedes Jahr
       ein großes Flussbollwerk errichtet. „Was uns Sorge macht, ist die
       Intensivierung des hydrologischen Kreislaufs“, bemerkt der Chef des
       „International Geosphere-Biosphere Programme“ (IGBP). Zu viel Wasser wird
       aus den Flüssen für Bewässerung herausgeholt. Viele Wechselwirkungen sind
       noch ungeklärt.
       
       „Dennoch wissen wir genügend zu Ozeanerwärmung, Ozeanversauerung,
       Meeresspiegelanstieg, Überdüngung, Todeszonen, Plastikverschmutzung,
       großmaßstäblicher Sedimententnahme und Überfischung“, ergänzt für den
       Meeresbereich der Berliner Geoforscher Reinhold Leinfelder, der auch das
       „Anthropozän-Projekt“ im HKW maßgeblich mitgestaltete. Die additive
       quantitative Auflistung solcher Probleme ergebe „bereits ein erschreckendes
       Bild“.
       
       ## 3,3 Millionen Euro bewilligt
       
       So hat die Schleppnetzfischerei der Hochsee-Trawler den Meeresboden an
       vielen Stellen irreparabel geschädigt. „Eine große Transformation in ein
       zukunftsfähiges Anthropozän muss für die Ozeane eine Kombination von
       Vermeidungs- und Anpassungsstrategien erarbeiten“, äußert sich Leinfelder
       zur Lösungsperspektive. „Die Meere, die seit jeher das Zusammenwachsen der
       Menschheit nicht behindert, sondern erleichtert haben, könnten als Welterbe
       der Menschheit in der Verantwortung aller bewirtschaftet, gepflegt und
       geschützt werden.“
       
       Über derlei politische Konsequenzen berieten sich die Geoforscher auf ihrer
       Berliner Konferenz auch mit Politikern und Künstlern. Noch bis zum 8.
       Dezember findet im Haus der Kulturen der Welt die Abschlussstaffel des
       „Anthropozän-Projekts“ mit mehreren Kunstausstellungen, Präsentationen und
       einer internationalen Tagung des Max-Planck-Instituts für
       Wissenschaftsgeschichte statt.
       
       HKW-Intendant Bernd Scherer zeigte sich über die bisherige Resonanz mit
       60.000 Besuchern seit Anfang 2013 zufrieden. „Es ist uns gelungen, eine
       andere Art des Zugangs zu diesem schwierigen Thema zu erreichen.“
       
       Das findet auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse, auf dessen
       Antrag der Haushaltsausschuss des Parlaments insgesamt die stolze Summe von
       3,3 Millionen Euro für das Anthropozän-Projekt bewilligt hatte. „Wir
       Parlamentarier waren von den Veranstaltungen der Anthropozän-Reihe
       ausnahmslos begeistert“, erklärt Kruse. Das nächste Großprojekt des HKW aus
       der Kulturförderung des Bundes ist daher auch schon finanziert: Ab 2015
       geht es drei Jahre lang um die hundertjährige Wirkung des Ersten
       Weltkriegs.
       
       24 Oct 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://hkw.de/de/programm/projekte/2014/anthropozaen/anthropozaen_2013_2014.php
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Ronzheimer
       
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