# taz.de -- Konzert der Einstürzenden Neubauten: Ketten auf Stahl
       
       > Die Einstürzenden Neubauten stellen in Berlin „Lament“ vor: ein
       > Konzeptalbum zum Ersten Weltkrieg – mit ächzendem Getöse und
       > Friedensliedern.
       
 (IMG) Bild: Gut gescheppert: Unruh (vorn), Bargeld (hinten).
       
       „Sag es nicht, Sag es nicht, Sag es nicht!“ – Blixa Bargeld steht fast
       stoisch am Mikro. Er trägt, klar, einen schwarzen Anzug und schwarzes Hemd,
       ist barfuß. „Zeg het niet, Zeg het niet, Zeg het niet!“, singt er auf
       Flämisch, mit gehetzten Atemzügen, fast flehend. Sprich bitte nicht von dem
       Kugelhagel, von den Granatwerfern, von den Krankentragen. Bargeld
       rezitiert, von rhythmischen Trommeln, von Klackern untermalt, den
       flämischen Dichter Paul van den Broeck.
       
       Die Einstürzenden Neubauten stellen ihr neues Album „Lament“ – „Klagelied“
       – im Berliner Tempodrom vor, das ein Konzeptalbum zu den Geschehnissen an
       der Westfront während des Ersten Weltkriegs ist. Drei Tage zuvor hat das
       Werk im belgischen Diksmuide seine Live-Premiere gehabt – die Band wurde
       von der flämischen Stadt und der Provinz Westflandern beauftragt, zum
       100-jährigen Gedenken an den Krieg und an die Invasion der Deutschen in der
       Stadt ein Album zum Thema einzuspielen. Diksmuide lag an der Front, am 10.
       November 1914 nahmen die deutschen Truppen die Stadt ein, die im
       Kriegsverlauf komplett zerstört wurde.
       
       Wenn der Krieg nun auf die Bühne kommt, sieht das zunächst so aus: Ein
       tischtennisplattengroßes metallenes Experimentierfeld steht neben
       Perkussionist N. U. Unruh und Bassist Alexander Hacke – es erzeugt
       ächzendes Getöse. Hacke und Unruh ziehen Ketten und Röhren über die
       Stahlfläche. Metall reibt auf Metall. Betörend laut ist es zu Beginn,
       quälend; klar irgendwie, wenn die Neubauten Krieg spielen.
       
       Einzig: so bleibt es nicht. Den Horror des Krieges präsentieren die
       Neubauten eher als Materialsammlung. Diese Band also, die in der Nachfolge
       von Throbbing Gristle den Industrial- und Post-Industrial-Sound mitprägte,
       trägt nun etwa einen schauerlich-schrecklichen Hymnen-Remix vor („Heil Dir
       im Siegeskranz, Herrscher des Vaterlands!“, intoniert Bargeld) oder bricht
       das Weltkriegselend auf einen Telegrammwechsel von Kaiser Wilhelm und Zar
       Nikolaus herunter. Der Willy-Nicky-Schlagabtausch – Hacke als Nicky und
       Bargeld als Kaiser Willy – hat gar Hooklines und ist fast schon eingängiger
       Postpunk, wie man ihn etwa von Wire kennt.
       
       Kurz darauf kommt eine Stacheldrahtharfe zum Einsatz, das Klackern der
       Krücken der Kriegsversehrten hallt durch den Raum. „Der Erste Weltkrieg,
       Percussion-Version“ eben, wie auch ein Stück heißt, das die viereinhalb
       Jahre Krieg in 392 Viervierteltakten darstellt. Der Abend lebt wie das
       Album von den radikalen Brechungen: Bargeld singt als nächstes „Sag mir, wo
       die Blumen sind“, den von Marlene Dietrich eingedeutschten Antikriegssong
       von Pete Seeger; er ist in einen dietrichschen Schwanenmantel gehüllt.
       
       ## „Sicher, dass Sie klatschen wollen?“
       
       Das Publikum im ausverkauften Tempodrom hat zumindest zum Teil wohl ein
       eher übliches Neubauten-Konzert erwartet, falls es das gibt, zumindest
       keine Weltkriegsperformance – so jedenfalls konnte man die Zwischenschreie
       und den nicht immer enthusiastischen Applaus lesen. Vielleicht wäre die
       Performance an einem anderen Ort, im Theater, besser aufgehoben gewesen als
       im Rockkonzert-Kontext. Das zeigt auch Bargelds vorsichtige Nachfrage, als
       er ein weiteres Gedicht des Expressionismus- und Dada-Dichters van den
       Broeck rezitiert: „Sind Sie sicher, dass sie zu einem Schützengrabenlied
       rhythmisch klatschen wollen?“
       
       Man hätte vielleicht mehr visuelle Elemente erwartet, denn die Stücke sind
       keineswegs so vollgepackt, dass dies den Abend hätte überfrachtet wirken
       lassen. Ein Bühnenbild aber gibt es nicht, allerdings sind die Instrumente
       vielleicht auch Bühnenbild genug. Die Neubauten setzen eben auf Sound, auf
       Montage, und das ist auch okay.
       
       Die Band bleibt überraschend nah an den Studioaufnahmen zu „Lament“. Vor
       allem die Nuancen, extrem wichtig bei einem perkussiven Werk zum Krieg,
       kommen live eindrücklicher rüber – ebenso das fulminante Intro. Etwas
       unnötig, dass man dann nicht gänzlich auf andere Songs verzichtet (zwei
       andere Stücke spielen sie).
       
       Am 11. November 1918 endete der Wahnsinn. Der Wahnsinn genau 96 Jahre
       später auf der Bühne endet mit einem einfachen: „Ich gehe jetzt“.
       
       12 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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