# taz.de -- Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: „Den P... lutschen“
       
       > Der serbische Nationalist Vojislav Seselj wird vom Haager Tribunal nach
       > zwölf Jahren aus humanitären Gründen freigelassen. Zu Hause predigt er
       > Hass.
       
 (IMG) Bild: Lässt sich nach seiner Freilassung in Belgrad feiern: der Nationalist Vojislav Seselj.
       
       BELGRAD taz | Er ist da, wo er am liebsten ist: Vor den Fernsehkameras und
       in aller Munde. Der wegen Kriegsverbrechen angeklagte Haager Häftling
       Vojislav Seselj ist nach zwölf Jahren wieder in Serbien, ohne Urteil und
       ohne Hausarrest. Nun will er Rache, predigt Großserbien, ist stolz auf
       seine Untaten und kündigt den Kampf gegen Gott und die Welt an.
       
       Wie ein Held wurde Vojislav Seselj am Dienstag auf dem Belgrader Flughafen
       von seinen Anhängern empfangen. Sie jubelten ihm zu, hunderte Reporter,
       Fernsehkameras – all das hatte er sichtlich vermisst. Kein einziger
       Regierungsvertreter war anwesend, selbst wenn sie wollten, würden sie es
       nicht wagen sich der Wut des manischen Kolosses auszusetzen.
       
       Am Donnerstag folgte die erste Pressekonferenz: Es täte ihm nicht leid,
       dass der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic 2003 umgebracht worden
       sei, diesen „Verräter und Nato-Söldner“. Großserbien sei nach wie vor das
       wichtigste Anliegen seiner Serbischen Radikalen Partei (SRS). Serbien habe
       in der Europäischen Union nichts zu suchen, Russland sei der Freund und
       Helfer der Serben. Am Samstag findet in Belgrad eine Großkundgebung der SRS
       statt.
       
       Kaum angekommen, ergießen sich Seseljs Hassreden wie eine Sintflut über die
       Region. Er ist witzig, auf eine gruselige Art charmant, charismatisch,
       unbeugsam, „hochintelligent und total verrückt“. Wenn er droht, nimmt man
       ihn ernst – den Mann, der seinerzeit den „kroatischen Ustascha die Augen
       mit einem verrosteten Löffel ausstechen“ wollte.
       
       ## Sesselj als Präzedenzfall
       
       Wegen Leberkrebses und Herzproblemen wurde Seselj vorläufig freigelassen.
       Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in
       Den Haag hat die Causa Seselj aber zu einem Präzedenzfall gemacht: ohne
       Urteil und ohne jegliche Verpflichtungen wurde er einfach „aus humanitären
       Gründen“ nach Hause geschickt.
       
       Seselj lehnte es ab, sich auf die üblichen Bedingungen für eine
       vorübergehende Freilassung verpflichten zu lassen. Im Gegenteil: „Ich geh
       da freiwillig nicht wieder zurück“, sagte er. Und: „Die wollten mich
       loswerden, weil sie nicht mehr wussten, was sie mit mir anstellen sollen“.
       
       In Kroatien und Bosnien ist man empört, denn Seselj ist ein Symbol für all
       die serbischen Verbrechen. Während des Verfahrens zeigte er keine Reue,
       auch da stand er für großserbische Ideen. „Ihr könnte mir alle den Pimmel
       lutschen“, sagte er unter anderen den Richtern im Gerichtssaal.
       
       Seselj stellte sich vor fast zwölf Jahren freiwillig dem ICTY. Der
       selbsternannte Woiwode der Tschetniks verabschiedete sich feierlich von
       seinen Anhängern mit Blechmusik, Schweinebraten und den Worten „Ich gehe,
       um dieses illegale, serbenfeindliche, amerikanische Tribunal zu besiegen“.
       Die Anklage gegen den ehemaligen Anführer paramilitärischer Einheiten wurde
       wegen Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien erhoben.
       
       Die Partei überließ er dem heutigen Staatspräsidenten Serbiens Tomislav
       Nikolic und dem aktuellen Regierungschef Aleksandar Vucic. Jahrelang
       dienten sie als sein Sprachrohr, die damals starke SRS befehligte er aus
       seiner Gefängniszelle.
       
       ## Trotzige Haltung
       
       Sieben Jahre lang wartete Seselj auf den Prozessbeginn, weswegen das
       Tribunal von Menschenrechtlern kritisiert wurde. Als später der Prozess nur
       schleppend vorankam, war das Verfahren auch unter Juristen umstritten.
       Seselj verteidigte sich selbst und hatte keine Probleme eine Vielzahl der
       schwachen Zeugen der Anklage zu überführen. Den zu Beginn in Serbien live
       übertragenen Prozess missbrauchte er als seine politische Reality-Show. Mit
       seiner trotzigen Haltung und Respektlosigkeit wiederholte er mehrmals, dass
       er diesen Gerichtshof nicht anerkenne und bereit sei im Gefängnis zu
       sterben. Und dass der Prozess gegen ihn eine Farce sei.
       
       Seine Anhänger vergötterten ihn als einen Märtyrer, die SRS war lange die
       stärkste Partei in Serbien, schaffte es aber nicht an die Macht zu kommen.
       Und dann putschten Nikolic und Vucic vor rund sieben Jahren in der SRS. Von
       Ultranationalisten, die mit Seselj an der Spitze serbisches Territorium in
       Kroatien hatten zurückerobern wollen, wandelten sie sich zu proeuropäischen
       Politikern, gründeten die Serbische Fortschrittspartei (SNS) und regieren
       nun als Partner von Brüssel und Washington mit einer Zweidrittelmehrheit im
       Parlament.
       
       Mit Unbehagen erwarten sie ihren politischen Ziehvater Seselj, der als
       hochintelligenter, zu Exzessen neigender und rachsüchtiger Mensch bekannt
       ist. Während die einen meinen, dass Seselj die Zeit überholt habe, meinen
       andere, dass er seinen früheren Untergebenen Niklolic und Vucic unangenehm
       werden könnte. Die SRS landete zwar bei den letzten Wahlen bei rund zwei
       Prozent, doch jeder Dritte Serbe ist arbeitslos, der soziale Unmut
       gewaltig, das gesellschaftliche Immunsystem ist schwach und Seselj wie eine
       ansteckende Krankheit. Der ICTY ist ihn jedenfalls los, es scheint, Seselj
       habe tatsächlich gesiegt.
       
       14 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrej Ivanji
       
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