# taz.de -- Die Kulturgeschichte der Enthauptung: Bis der Arm müde wird
       
       > Von der gängigen Bestrafungspraxis in der Antike bis zu den Ritualmorden
       > des „Islamischen Staats“. Eine Kulturgeschichte des Köpfens.
       
 (IMG) Bild: Darstellung von Artemisia Gentileschi, um 1620.
       
       Die symbolischen Darstellungen reichen bis zu den Fresken-Gemälden zurück,
       auf denen der ägyptische König Ramses II. circa 1200 v. Chr. mit einer Hand
       das Haar eines Gefangenen greift und mit der anderen Hand eine Axt
       schlagbereit hält. Tatsächlich war die Hinrichtung durch Enthauptung seit
       der Antike eine gängige und weit verbreitete Bestrafungspraxis.
       
       Bei den Kelten beispielsweise war diese Methode so gängig, dass die Römer
       nach der Eroberung ihrer Gebiete einen Kulturschock erlitten und den Kelten
       die Praxis der Enthauptung verboten. Aber nicht etwa deshalb, weil sie die
       Enthauptung für barbarisch hielten, sondern weil sie sie als Bestrafung
       allein bei ehrwürdigen Personen für angebracht sahen.
       
       Im Römischen Reich nämlich wurde diese Hinrichtungsart nur bei Bürgern des
       römischen Staates angewandt, meistens bei Aufständischen, die sich der
       Regierung widersetzten. Angehörigen des einfachen Volkes hingegen schlitzte
       man zur Bestrafung mit einem Schwert oder Messer den Bauch auf oder
       kreuzigte sie.
       
       Die Hinrichtung mit Schwert oder Axt bedeutete für den Enthaupteten einen
       ehrenvollen Tod. Diese Instrumente hatten im Vergleich zu anderen
       Schneidewerkzeugen auch schärfere Klingen, was einen schnellen und
       schmerzloseren Tod brachte. Zwar schreibe ich „schmerzlos“, nach
       wissenschaftlichen Untersuchungen können bei Enthaupteten aber noch etwa
       zwölf Sekunden lang Anzeichen eines Bewusstseins nachgewiesen werden.
       
       ## Der Kopf fiel beim zehnten Schlag
       
       Aristokraten oder Soldaten, die den Tod anordneten, gaben dem Henker
       erhebliche Geldsummen, damit dieser sein „Geschäft“ – die Hinrichtung – in
       einem Zug erledigte. Dennoch soll der schottischen Königin Mary etwa erst
       beim dritten Schlag der Kopf vom Leibe abgetrennt worden sein, und Gräfin
       Margaret Pole von Salisbury, die noch unglücklicher war, fiel der Kopf erst
       beim zehnten Schlag ab.
       
       Eine Weiterentwicklung der Enthauptungspraxis erfolgte durch die Franzosen
       in Form der Guillotine. Bis zur Französischen Revolution wurden nur Adlige
       durch Enthauptung, Bürger dagegen durch Erhängen umgebracht. Erst die
       Revolutionäre gewährten das gleichgestellte Tötungsrecht und führten damit
       die Guillotine-Praxis umfassend ein. Die Guillotine war anders als das
       Richtbeil frei von menschlichem Versagen und konnte einen schnellen Tod
       garantieren.
       
       Der Guillotine fielen letztlich vor allem die „Kinder der Revolution“ zum
       Opfer. In der Zeit der Schreckensherrschaft von Mai 1793 bis Juli 1794
       kamen von den linsgesamt 40.000 Getöteten mindestens 15.000 Menschen durch
       ihren Einsatz ums Leben, zudem wurden die Hinrichtungen auf großen Plätzen
       vor Tausenden von Bürgern in furchterregenden Shows praktiziert.
       
       Auch die europäischen Kolonialmächte befleißigten sich des Enthauptens auf
       äußerst entwürdigende Weise. Nicht selten wurden Köpfe auf Schlagstöcke
       gepresst und zur Schau gestellt, als symbolische Verachtung gegenüber den
       Besiegten. Die händische Enthauptung war in Britannien bis 1747, in
       Finnland bis 1825, in Dänemark bis 1892 und in Norwegen bis 1905 eine
       offizielle Hinrichtungsart.
       
       ## Enthauptung im Islam
       
       Die Hinrichtung durch die Guillotine wurde in Algerien, Belgien,
       Griechenland und Italien bis 1875, in Luxemburg, Monaco und der Schweiz bis
       1940, in Schweden, Tunesien und Vietnam bis 1960 angewandt. In ihrem
       Heimatland Frankreich gar bis 1977. Das Fallbeil, das die Deutschen seit
       dem 17. Jahrhundert anwandten und womit im „Dritten Reich“ über 16.500
       Leute geköpft wurden, kam zuletzt in Westdeutschland im Jahr 1949 und in
       Ostdeutschland im Jahr 1967 zum Einsatz.
       
       Das erste Beispiel der Enthauptung als Bestrafungspraxis in der islamischen
       Welt wurde vom Propheten Mohammed aufgestellt. Angeblich soll Mohammed in
       seiner ersten Biografie „As-sîra an-nabawiyya“ – das Original ist
       verschollen –, laut Ibn Ishaq (704–768 n. Chr.) und anderer Autoren
       offenbart haben, dass bei der legendären „Grabenschlacht“ bei Medina das
       Wohngebiet des jüdischen Banu-Quraiza-Stammes auf Befehl Gabriels am 15.
       April 627 n. Ch. umzingelt wurde, weil die Hinterbliebenen den Mekkanern
       Hilfe geleistet hatten.
       
       Obwohl sich die Männer dieses Stammes – laut islamischer Quellen zwischen
       400 und 900 an der Zahl – in Gefangenschaft befanden, wurden sie
       enthauptet; Kinder und Frauen wurden versklavt, Hab und Gut vereinnahmt.
       Die meisten Enthauptungen soll Ali, Schwiegersohn des Propheten Mohammed,
       vollzogen haben. Ali soll von den Enthauptungen so ermüdet gewesen sein,
       dass er das Schwert ständig von der einen in die andere Hand habe wechseln
       müssen. Der Prophet selbst soll das Geschehen von seinem Zelt aus
       beobachtet haben.
       
       Zur Enthauptung gibt es auch einige Stellen im Koran, so heißt es etwa im
       4. Vers „Qital“ (Krieg) des Mohammed-Abschnittes: „Begegnet ihr im Krieg
       Ungläubigen, schlagt ihnen die Köpfe ab; und wenn ihr ihnen überlegen seid,
       nehmt sie als Geisel; ist der Krieg beendet, lasst sie entweder ohne
       Gegenleistung oder gegen Lösegeld frei; wenn Allah wollte, hätte er sich
       auf andere Weise an ihnen gerächt; er will aber damit die einen von euch
       durch die anderen prüfen. Und denjenigen, die auf Allahs Weg getötet
       werden, wird er ihre Werke nicht fehlgehen lassen.“
       
       ## Die „Ungläubigen“
       
       Doch was bedeutet es, wenn es heißt: „Begegnet ihr im Krieg Ungläubigen“?
       Im Krieg ist es gemeinhin so, dass bei einer direkten Auseinandersetzung
       eine Partei die andere tötet, verletzt oder gefangen nimmt. Weshalb aber
       wird der Ausdruck von der „Begegnung mit Ungläubigen“ gebraucht? Diese
       Behauptung kann als Vorwand dafür dienen, jedem, der die Souveränität und
       das Recht eines Gotteskriegers leugnet, als „Ungläubigen“, als kafir, den
       Kopf abzuschlagen.
       
       Dieser Koranvers zusammengenommen mit einigen anderen Versen (u. a.
       al-Baqara 216, 256; an-Nisa 89, al-Maida 32, 35), die den Dschihad
       legitimieren, kann zeigen, dass, sobald ein Zustand als „Krieg“ und ein
       Widerstand als „Unglaube“ definiert wird, es durchaus im Sinne Allahs ist,
       jeden Gegner zu enthaupten.
       
       Es gibt Theologen, die diese Handlungsanweisungen zum Töten im Kontext der
       Epoche erklären, in der die Koranverse von Allah „herabgesandt“ wurden.
       Damit vertreten sie die Ansicht, dass die Verse im historischen
       Zusammenhang bewertet werden müssen und im Widerspruch zum heutigen Islam
       stünden. Doch wurde die Enthauptung neben anderen Tötungspraktiken in der
       gesamten islamischen Geschichte durchgehend praktiziert.
       
       Etwa in der Zeit des islamischen Reiches, das von der Westsahara bis nach
       Spanien reichte. Die Berberdynastie der Almoraviden hat nach der Schlacht
       bei Zallaqa im Jahr 1086 rund 24.000 Kastilier enthaupten lassen. Ihre
       Leichen wurden in Form eines Minaretts aufeinander gestapelt. Ein Muezzin
       (islamischer Gebetsrufer) soll auf den Leichenberg gestiegen sein, um von
       dort aus die Menschen zum Gebet zu rufen.
       
       ## Das Symbol des Sieges
       
       Die Osmanen, deren Rechtsordnung sich teilweise aus mongolischem und
       teilweise aus islamischem Recht ergab, vollzogen ebenfalls Enthauptungen,
       jedoch nicht so häufig wie etwa die Mongolen. So wurden zum Beispiel nach
       dem 1. Kosovo-Krieg im Jahr 1389 der serbische König und einige Geiseln
       enthauptet oder nach dem Varna-Krieg im Jahr 1444 der ungarische König
       Wladislaw. Nach der Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1453 wurde auch
       der byzantinische Kaiser enthauptet und dessen „kostbarer“ Kopf
       anschließend von Ort zu Ort geführt, als Symbol des Sieges zur Schau
       gestellt.
       
       Im Jahr 1456 wurden der bosnische König Stephan und seine Söhne enthauptet.
       70 Jahre später wurden in Bogdan 2.000 Menschen die Köpfe abgeschlagen, was
       den größten Enthauptungsfall der Osmanischen Geschichte darstellt. In der
       Übergangsperiode zur türkischen Republik gab es offiziell nur eine einzige
       Enthauptung: Am 23. Dezember 1930 köpfte ein selbsternannter Gläubiger des
       Nakschibendi-Ordens in Menemen einen Unterleutnant.
       
       Darüber hinaus gibt es unverifiziertes Fotomaterial und Zeugenaussagen,
       nach denen in den Jahren 1937 und 1938 im Rahmen der türkischen Invasion im
       ostanatolischen Dersim 50.000 bis 70.000 Alewiten und Kurden ermordet und
       unter anderem enthauptet worden seien. Des Weiteren erinnere ich mich an
       Erzählungen, laut denen der JITEM, Geheimdienst und Terrorabwehr der
       türkischen Gendarmerie, festgenommenen PKK-Mitgliedern Ohren und Nasen
       abgeschnitten hat und sie anschließend enthauptet haben soll.
       
       Im Irak, in Katar, Jemen, Iran und Saudi-Arabien wurde ohne Unterbrechung
       über die gesamte Geschichte hinweg enthauptet. Im Irak gab es bis zum Jahr
       2000 die Enthauptung als Hinrichtungsart, doch gibt es sie heute nicht
       mehr. In Katar, Jemen und Iran ist die Enthauptung als Strafmaß weiterhin
       Teil der Verfassung, aber sie wird seit geraumer Zeit nicht mehr
       praktiziert.
       
       ## Der Kopf in Richtung Mekka
       
       In Saudi-Arabien dagegen sind Vergewaltigung, Ehebruch, Ermordung,
       Konversion in eine andere Religion, Hexerei, bewaffneter Raub, Handel mit
       Betäubungsmitteln und langfristiger Konsum von Betäubungsmitteln nach wie
       vor unter Strafe gestellt und können durch Enthauptung auf öffentlichen
       Hinrichtungsplätzen geahndet werden.
       
       Die Hinrichtungen in Metropolen wie Riyadh, Dschidda und Dhahran werden
       nach dem Freitagsgebet durchgeführt. Die Verurteilten werden in ein weißes
       Gewand gekleidet, die Augen mit einem schwarzen Klebeband verbunden, die
       Hände auf dem Rücken gefesselt, der Kopf in Richtung Mekka gerichtet. Dann
       wird das Urteil verlesen, und ein Henker verrichtet das Geschäft mit einem
       Schwert. Auch bei Frauen wird diese Praxis angewandt. Im Jahr 2010 etwa
       wurden 47 Frauen enthauptet.
       
       Bevor wir zum IS kommen, noch eine Anmerkung: Sie erinnern sich sicherlich
       daran, dass die radikalen Organisationen der islamischen Welt, vor allem
       aus Palästina, in den 1970er Jahren Flugzeuge entführten. Seinerzeit war es
       symbolisch gesehen sehr wichtig, die Macht über den Himmel zu haben.
       
       Autobomben waren wiederum in den 1980ern quasi in Mode. In den 1990ern
       verbreiteten sich Selbstmordattentate. Und Geiseln aus westlichen
       Gesellschaften zu nehmen und Lösegeld einzufordern, wurde zuletzt ein
       Trend, da die Terrorvereinigungen immer mehr Geld benötigten.
       
       ## Der Islamische Staat
       
       Nach der Ermordung des Wall-Street-Journal-Reporters Daniel Pearl im
       Februar 2002 in Pakistan durch die sunnitische Vereinigung Lashkar-i Cengv
       (LeJ) waren plötzlich immer mehr Hinrichtungen dieser Art zu beobachten.
       Insbesondere im Irak entführten islamistische Terroristen Hunderte von
       US-Amerikanern, Türken, Kurden, Arabern, Koreanern, Bulgaren, Engländern
       und Nepalesen und ermordeten über 150 Geiseln, weil sie für deren
       Freilassung kein Lösegeld bekommen hatten. Sie begannen, demonstrativ
       Videoaufzeichnungen von Enthauptungen ihrer Geiseln im Internet zu
       veröffentlichen.
       
       All diese Grausamkeiten passierten auch deshalb, weil bedeutende
       Islam-Interpreten der Moderne wie Sayyid Qutb und Maududi den Koran nicht
       mehr als historischen, sondern als universell gültigen Text interpretierten
       und damit den Weg für einen neuen Fundamentalismus ebneten. Nicht nur der
       IS, sondern auch viele andere islamistische Vereinigungen führen die
       Enthauptungspraxis ganz offensichtlich auf den Koran zurück. Wer
       Ungläubiger ist, darüber entscheidet derjenige, der die Waffe in der Hand
       hat. Die implizite oder explizite Zustimmung der sunnitischen Gemeinde zu
       dieser Entscheidungsgewalt, macht die Vorfälle zum kollektiven Verbrechen.
       
       Der Beitrag, den die Terrorvereinigung IS zu dieser barbarischen Tradition
       leistet, besteht in einzelnen oder massenweise und offen zur Schau
       gestellten Hinrichtungen. Die Gräueltaten werden als große Show inszeniert,
       um so die gesamte Bevölkerung zu terrorisieren. Der türkische AKP-Minister
       Emrullah Isler äußerte sich dazu folgendermaßen: „Sie töten wenigstens ohne
       zu foltern.“ Mit „sie“ meint er die Terrorvereinigung IS und misst damit
       deren Verbrechen noch einen humanen Wert zu.
       
       Interessant ist aber: Wenn der IS Muslime in Geiselhaft nimmt und
       massenhaft erschießt oder enthauptet, hält er es nicht für nötig, eine
       große Show daraus zu machen. Doch bei der Enthauptung oder Hinrichtung von
       Geiseln aus westlichen Kulturen werden die Geiseln in orangefarbene
       Kleidung gesteckt – in Anspielung auf die irakischen Gefangenen in Abu
       Ghraib. Die Hände werden ihnen auf den Rücken gebunden. Und dann wird ihnen
       mit einem kurzen Messer erst der Hals aufgeschlitzt, anschließend werden
       sie enthauptet. Laut eines englischen IS-Aussteigers wird diese Praxis
       zuerst an Hühnern trainiert.
       
       ## Zeitalter der Barbarei
       
       Die Enthauptung ohne Schwert oder Axt geht bis in die antike Zeit zurück.
       Weil diese Waffen als „edle“ Werkzeuge galten, war das Messer ideal, um
       Opfer zu demütigen und einen besonders schmerzhaften Tod zu bereiten.
       
       Als Historikerin bringe ich es zwar fertig, nüchtern zu sein, aber wenn ich
       als gewöhnlicher Mensch einen Blick auf diese Geschichte werfe, ist das im
       Koran als „Ashraf-i maluqat“ – der mit höchster Ehre geschaffene Mensch –
       beschriebene Menschengeschlecht in meinen Augen das Grausamste, Brutalste
       und Ehrloseste unter allen Existierenden. Der IS wiederum, der mich unter
       dem menschlichen Aspekt durch seine unfassbaren Gräueltaten beängstigt,
       lässt mich unter dem historischen Gesichtspunkt eher kalt, da die Anzahl
       der Ermordeten durch den IS in der Geschichte der Menschheit – relativ
       gesehen – keinen gravierenden Wert darstellt.
       
       Und dafür muss man nicht einmal um Jahrhunderte zurückdenken, sondern sich
       nur einmal die Verbrechen der Nazis, Stalinisten, Maoisten vergegenwärtigen
       oder die seit 2003 in beide Richtungen andauernden Massaker zwischen
       Sunniten und Schiiten im Irak.
       
       Und doch ergeben die Massaker des IS ein Bild, das zeigt, wie die
       islamische Welt im Hinblick auf Modernisierung anderen Glaubenssystemen
       weit hinterherhinkt, wie eine große Mehrheit der Bevölkerung im Nahen Osten
       sich immer noch im Zeitalter der Barbarei befindet: ein übelerregendes,
       verstörendes Bild, das uns einen einzigartigen Spiegel vorhält.
       
       Übersetzung: Kemal Astare, Bearbeitung: Fatma Aydemir. Das Original
       erschien in der [1][türkischen Onlinezeitung Radikal]
       
       18 Nov 2014
       
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