# taz.de -- Rechte Aufmärsche in Marzahn: Die Mär von den Rattenfängern
       
       > Von wegen unbescholtene Bürger, die von Neonazis instrumentalisiert
       > werden: Die Proteste gegen Flüchtlingsheime sind von rechts gesteuert.
       > Jeder, der teilnimmt, weiß das.
       
 (IMG) Bild: Unbescholtene Bürger? Von wegen: Hinter diesen Sprüchen stecken organisierte Nazis
       
       Die Veranstaltungen tragen Namen wie „Montagsdemonstration“ oder
       „Lichterkette“, die Organisatoren achten darauf, dass keine Parteifahnen zu
       sehen sind. Die aktuellen Proteste in Marzahn, Buch und Köpenick, denen die
       geplanten Containerdörfer für Flüchtlinge als Aufhänger dienen, werden als
       Aufstand „besorgter Anwohner“ präsentiert, die mit organisierten Nazis
       nichts zu tun haben wollen. Am heutigen Samstag soll in Marzahn der
       vorläufige Höhepunkt dieser Proteste stattfinden. Die Polizei erwartet über
       1.000 Teilnehmer für die von der „Bürgerbewegung Marzahn“ angemeldete
       Demonstration.
       
       Schon der Titel der Veranstaltung „Gegen Asylmissbrauch den Mund aufmachen“
       zeigt: Hier geht es um weit mehr als Protest gegen eine geplante
       Flüchtlingsunterkunft. Aus Sicht der Rechtsextremismus-Sprecherin der
       Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Clara Herrmann, ist klar: „Dieser
       Protest ist von Neonazikadern organisiert und gesteuert. Bekannte Neonazis
       betreiben die entsprechenden Facebook-Kanäle, sie melden die
       Demonstrationen an und halten dort Redebeiträge.“
       
       Damit widerspricht die Abgeordnete der Einschätzung der Senatsverwaltung
       für Inneres: Deren Staatssekretär Bernd Krömer (CDU) bestreitet zwar nicht
       die Präsenz von organisierten Neonazis auf diesen Veranstaltungen, spricht
       aber von „Missbrauch und Instrumentalisierung“ bereits bestehender
       Proteste. Die Neonazis hätten sich „dieses Themas, das die Menschen sehr
       bewegt, bemächtigt“, sagt Krömer. In dieser Darstellung sind die Neonazis
       nicht Initiatoren der Proteste, sondern versuchen lediglich, eine bereits
       vorhandene Bewegung zu vereinnahmen.
       
       Sicher: Auch unter den „normalen“ AnwohnerInnen der betroffenen Stadtteile
       gibt es Ressentiments gegen Flüchtlinge. Dennoch ist es fraglich, ob diese
       ohne das Engagement von organisierten Rechtsextremen zur aktuellen
       Situation mit wöchentlichen aggressiven Aufmärschen geführt hätten. Nach
       Recherchen der taz sind nahezu alle Akteure der momentanen Proteste als
       Neonazis bekannt und zum großen Teil auch in neonazistischen Parteien
       organisiert. So stehen hinter der „Bürgerbewegung Marzahn“, einem Ableger
       der bereits seit längerem agierenden „Bürgerbewegung Hellersdorf“, nach
       Einschätzung von Antifa-Aktivisten die beiden Neonazis René Uttke, der als
       politischer Mentor des NPD-Landesvorsitzenden Sebastian Schmidtke gilt,
       sowie Patrick Krüger, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands der
       neonazistischen Partei Die Rechte.
       
       „Wir können das zwar nicht endgültig verifizieren, die örtlichen
       Recherchestrukturen haben sich aber bisher als sehr zuverlässig erwiesen“,
       sagt dazu Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus
       (MBR). Klar ist: Uttke lief bei den letzte Demonstrationen in Marzahn
       vorneweg, mit dem Megafon in der Hand hetzte er die Menge auf. Bestätigt
       ist außerdem, dass der Landesvorsitzende von Die Rechte, Uwe Dreisch,
       mindestens eine der bisherigen „Montagsdemonstrationen“ in Marzahn
       angemeldet hat. Sebastian Schmidtke wiederum ist in Marzahn nicht nur
       regelmäßiger Teilnehmer, sondern hält auch Redebeiträge.
       
       Ähnlich ist die Situation in Buch: Hier gilt der Neonazi Christian Schmidt,
       im August erstmals als Pankower Kreisvorsitzender der NPD aufgetreten, als
       wichtigster Drahtzieher hinter den Protesten. Schmidt, der mit seiner
       „Initiative Pankow Lebenswert“ ebenfalls als Anmelder für die
       Demonstrationen fungiert, stellt laut Recherchen von Antifa-Aktivisten das
       Bindeglied zwischen der NPD und der seit 2012 verstärkt aktiven
       Kameradschaft Freie Nationalisten Buch dar. Er soll die Pankower Gruppe der
       NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten aufgebaut und maßgeblich dazu
       beigetragen haben, dass Buch heute zu den Zentren neonazistischer
       Aktivitäten in Berlin gehört.
       
       Doch es sind nicht nur die personellen Verstrickungen, die das Bild vom
       nazifernen Bürgerprotest ad absurdum führen: Auf den Demonstrationen werden
       rechtsextreme Parolen gerufen, aus den Lautsprechern dröhnt Musik bekannter
       Nazi-Bands, auf der Kleidung der OrdnerInnen prangt Neonazi-Symbolik. „Das
       ist für uns noch viel erschreckender als die Frage, wer wo dahinter steht“,
       sagt Klose. Das Bild der „braunen Rattenfänger“, von denen sich die
       unbescholtenen Bürger aus Versehen fehlleiten lassen, funktioniere nicht,
       so Klose. „Es ist unmöglich, auf einer dieser Demonstration zu sein und
       nicht zu bemerken, dass es sich dabei um eine rechtsextreme Veranstaltung
       handelt.“ Die TeilnehmerInnen seien dort keinesfalls versehentlich
       gelandet, „sondern wollen genau da sein und klatschen bei neonazistischen
       Parolen am lautesten Beifall“, sagt die Expertin.
       
       22 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Malene Gürgen
       
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