# taz.de -- Gewalt in Berlin-Kreuzberg: „Hey, Lady, want a smoke?“
       
       > Die rund um den Görlitzer Bahnhof eskalierende Gewalt spaltet die
       > Kreuzberger. Ein Kiez ringt um seine Haltung – und um sein tolerantes
       > Image.
       
 (IMG) Bild: „Das ist eine rassistische Kontrolle. Warum kontrolliert ihr nur Schwarze, aber nicht uns?“, rufen zwei Frauen.
       
       BERLIN taz | Die Angebote der Männer im Park sind ausgesprochen höflich:
       „Hey, Lady, can I help you with a smoke?“, ruft einer, der sich am Wegrand
       unter Bäumen postiert hat. Ein anderer, der mit Freunden auf einer Bank
       Musik hört, offeriert auf Deutsch: „Ist kalt – willst Du meine Jacke?“
       
       Etwa fünfzig sind es, die an diesem nasskalten Wintertag im Park auf
       Kundschaft warten. Im Gebüsch, auf Bänken, an den Haupt- und Nebenwegen.
       Normalerweise sind es mehr. Bis zu 200 Drogendealer, die hauptsächlich
       Haschisch und Marihuana verkaufen, aber auch Kokain, Speed, geklaute
       Fahrräder oder Telefone. An normalen Tagen gleicht der Görlitzer Park im
       Herzen von Berlins Szenebezirk Kreuzberg einem Freiluftbasar.
       
       Ganz offen wird hier seit mehr als zwei Jahren gedealt, geschoben,
       konsumiert. Die Polizei erscheint regelmäßig, ist aber machtlos gegen die
       Ausbreitung des Drogenhandels, der aus dem Park heraus in die umliegenden
       Straßen schwappt. Der ehemalige Bahnhof, der in den achtziger Jahren zum
       Park für die dicht besiedelte Umgebung umgebaut wurde, ist zu einem Ort
       geworden, an dem Kriminelle den Ton angeben.
       
       Heute ist aber kein normaler Tag. Konsumenten wie Dealer halten sich
       bedeckt. Im nahen U-Bahnhof, wo sonst die Jungs mit dem härteren Stoff
       stehen und Passanten anpöbeln, patrouillieren heute Sicherheitsleute mit
       Leuchtwesten. Der Staat zeigt Präsenz.
       
       ## Die neue Eskalationsstufe
       
       Letztes Wochenende haben hier der Wirt einer Shisha-Bar und ein Freund in
       Selbstjustiz zwei Dealer niedergestochen. Nach der Tat verwüstete ein
       Rachekommando aus dem Park das Lokal und legte Feuer. Später wurde bekannt,
       dass der Wirt in den Wochen zuvor rund 70-mal die Polizei gerufen hatte.
       Die neue Eskalationsstufe scheint die Stadt aufgerüttelt zu haben:
       
       Die grüne Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann gestand öffentlich
       ihre Machtlosigkeit ein, Innensenator Frank Henkel (CDU) versprach, den
       „Sumpf trockenzulegen“, und kündigte die Bildung einer Taskforce an. Das
       klingt entschlossen. Tatsächlich aber hat die Polizei bis jetzt
       ausgesprochen erfolglos agiert: Zwar gab es allein in diesem Jahr 352
       Polizeieinsätze, 2.249 Personenüberprüfungen und 901 Platzverweise – aber
       nur 9 Festnahmen.
       
       Die Dealer, zumeist junge Flüchtlinge aus Afrika, sind gut organisiert,
       tragen selten mehr als die zulässige Höchstmenge von Drogen bei sich.
       Größere Mengen und harter Stoff werden außerhalb des Parks versteckt. Aus
       Frustration löste sich eine polizeiliche Sonderkommission Anfang Oktober
       selbst auf.
       
       „Henkel kriegt von mir keinen Beifall. Dass er erst tätig wird, wenn zwei
       Menschen niedergestochen werden, spricht Bände“, sagt der Journalist Georg
       Fahrion. Der 33-Jährige lebt in dem Haus, in dessen Souterrain die
       Shisha-Bar liegt. Monatelang beobachtete er, wie sich die Dealer immer
       stärker breitmachten – fast ungehindert von der Polizei.
       
       ## Die Forderungen härter durchzugreifen
       
       Berlins Innensenator und Kreuzbergs grüne Bezirksbürgermeisterin liegen im
       Dauerclinch. Monika Herrmann will neue Wege in der Flüchtlings- und
       Drogenpolitik gehen. Sie hat die Besetzung eines Platzes und einer Schule
       durch Flüchtlinge geduldet und strebt die Legalisierung weicher Drogen an.
       Für den Vorschlag, einen Coffeeshop am Park einzurichten, hat Herrmann vom
       Innensenator viel Spott geerntet. Während auf politischer Ebene der Streit
       tobte, verschärfte sich am Park die Situation.
       
       Die Gemengelage am Görlitzer Park ist eigentlich wie geschaffen, um
       Forderungen nach härterem Durchgreifen Nachdruck zu verleihen. Aus der CDU
       gibt es bereits Rufe danach, den Park nachts zu schließen. Aber Kreuzberg
       ist kein Ort für Law-and-Order-Fantasien. Viele, die hier wohnen, kiffen
       selbst und fühlen sich mit den Flüchtlingen solidarisch.
       
       Polizei ist in Kreuzberg nicht die Lösung. Diese Einstellung bekommen auch
       die Beamten zu spüren, die am Nachmittag am Parkeingang Verdächtige
       kontrollieren. Es sind mehr Polizisten als sonst, Ausdruck des neuen
       „Durchgreifens“. Aber auch einige Gegner haben sich in Stellung gebracht.
       „Das ist eine rassistische Polizeikontrolle. Warum kontrolliert ihr nur
       Schwarze, aber nicht uns?“, rufen zwei junge Frauen.
       
       Die Beamten gehen stoisch ihrem Geschäft nach – Personalien aufnehmen,
       Rucksäcke inspizieren – und werden dabei von wütenden Afrikanern
       angeschrien: „Don’t bother me!“ Ein paar Pressefotografen knipsen die
       Szene, da werfen sich zwei andere Frauen vor die Schwarzen, um sie vor
       frontalen Fotos zu schützen. „Hier wird Jagd auf dunkelhäutige Menschen
       gemacht“, sagt die Jüngere empört.
       
       ## Das Problem: die Polizei
       
       Das Problem im Park sei die Polizei, finden beide. „Zu mir sind die Jungs
       immer höflich und respektvoll. Ich gehe hier auch im Minirock durch“, sagt
       die jüngere trotzig. Der Görlitzer Park gefährlich? „Pure Propaganda.“ Wer
       Angst um die Sicherheit seiner Kinder habe, sei hier fehl am Platz. „Sollen
       die doch nach Zehlendorf ziehen.“
       
       Solche Sätze machen Claudia Hiesl, Leiterin des Kinderbauernhofs Görlitzer
       Park, fassungslos. Das selbst verwaltete Projekt existiert seit 1980,
       Kinder können dort Hühner und Schafe füttern, gärtnern, backen; allerdings
       unter erschwerten Bedingungen, seit der Bauernhof von allen Seiten vom
       Drogenhandel umzingelt ist. Hiesl kennt Familien, die tatsächlich ins
       bürgerliche Zehlendorf gezogen sind. Oder einfach ein paar U-Bahn-Stationen
       weiter.
       
       Weil ein Kind Kokainkügelchen im Sandkasten gefunden hat. Weil der
       achtjährige Sohn täglich zum Drogenkauf aufgefordert wurde. Auch im
       Kinderbauernhof versuchten Dealer immer wieder Drogen zu verstecken. „Wir
       führen hier einen täglichen Behauptungskampf“, sagt Hiesl. „Und fast
       niemand hilft uns.“
       
       Ende Oktober organisierte der Bauernhof einen Laternenlauf. Sternförmig
       sollten Eltern und Kinder durch den abendlichen Görlitzer Park laufen. Ein
       Signal: Der Kiez gehört auch uns. Eine erprobte Verdrängungsstrategie, die
       schon an anderen Drogenhotspots funktioniert hat. Aber nicht in Kreuzberg:
       Obwohl auf beiden Seiten des Parks viele Familien leben und etliche im
       Vorfeld ihre Teilnahme zugesagt hatten, kamen am Ende nur wenige. Aus
       Angst, in die rechte Ecke gestellt oder von der linksautonomen Szene
       beschimpft zu werden, vermutet Hiesl.
       
       ## „Kriminalität gab es im Görli schon immer“
       
       Tatsächlich sind die Autonomen im Bezirk sehr präsent und wenig zimperlich.
       Als eine Nachbarschaftsinitiative im Sommer zu einer Versammlung im Park
       lud, wurden die Veranstalter als „rassistischer Bürgermob“ niedergebrüllt.
       Im Internet kursierten Aufrufe, die Verwandlung des Görli in ein
       Familien-Spießer-Paradies nicht zu dulden. Es gibt sogar eine
       [1][Facebook-Gruppe]: „Unser Görli muss Dealer Land bleiben!.“
       
       Von der Anwohnerinitiative sind nur noch versprengte Reste übrig. Einer der
       wenigen Verbliebenen ist Lorenz Rollhäuser. Der 61-Jährige lebt seit 20
       Jahren in Kreuzberg. Er sagt: „Drogen und Kriminalität gab es im Görli
       schon immer.“ Das Problem sei das Ausmaß. „Längst tummeln sich dort auch
       andere Kriminelle, die das Gefühl haben: Hier kannst du alles machen.“
       
       Rollhäuser und seine Mitstreiter wollen, dass der Bezirk „Parkwalker“
       finanziert: interkulturell geschulte Sozialarbeiter, die Rat und Hilfe
       anbieten, zur Rücksichtnahme auf Kinder und Frauen mahnen. Man könne nur
       noch versuchen, die sozialen Spannungen im Park zu lindern. Wegkriegen aber
       werde man sie nie: „Das ist die Globalisierung, die vor unserer Tür
       angekommen ist.“
       
       Der Ruf Kreuzbergs als Partybezirk ist seiner Meinung nach mit schuld an
       der Eskalation. In jedem Lonely Planet könne man lesen, dass es im
       Görlitzer Park Drogen zu kaufen gibt. Aber, er sagt es schulterzuckend,
       „das ist eben Kreuzberg.“ Kreuzberg, der tolerante Multikultibezirk, in dem
       kiffen zum guten Ton gehört und die Polizei keinen Fuß auf den Boden
       kriegt: Wird dem Berliner Szenebezirk jetzt das eigene Image zum
       Verhängnis?
       
       So kann man es sehen. Man kann es aber auch bewundernswert finden, wie fest
       die Kreuzberger zu ihren Idealen stehen: Konflikte aushalten, neue Wege
       suchen, einfachen Antworten misstrauen.
       
       21 Nov 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.facebook.com/groups/DealerLandGoerli/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nina Apin
       
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