# taz.de -- Podcast-Serie „Serial“: Wer war es?
       
       > Packendes Storytelling, echter Mordfall – die US-Podcast-Serie „Serial“
       > ist ein Erfolg. Jetzt zieht sie Folgen im realen Leben nach sich.
       
 (IMG) Bild: Die Meisterin des Whodunit: Miss Marple.
       
       Es ist schon selten, dass ein Podcast Woche für Woche eine Million Hörer
       anzieht. Doch in den vergangenen zwei Monaten hat sich die Produktion
       „Serial“ in den USA zu einem Medienphänomen entwickelt, über das an
       Kaffeeautomaten und in Internetforen diskutiert wird. Und damit so viel
       Aufmerksamkeit rund um ein Audioformat erzeugt wie wahrscheinlich seit 1938
       nicht mehr, als die Erstausstrahlung von H. G. Wells’ Hörspiel „Krieg der
       Welten“ zu einer Massenpanik führte.
       
       „Serial“ rollt einen 15 Jahre alten Mordfall aus Baltimore wieder auf: Hae
       Min Lee, eine Highschool-Schülerin, wird getötet, ihr Exfreund Adnan Syed
       wird für die Tat verurteilt. Doch war er es wirklich? Der Zweifel an seiner
       Schuld ist es, der die Radiojournalistin Sarah Koenig dazu inspirierte, aus
       dem Fall eine Podcast-Reihe zu machen, unterstützt vom Produktionsteam der
       US-Radioshow „This American Life“, die auf dem öffentlich-rechtlichen NPR
       läuft.
       
       Koenig nimmt den Zuhörer mit auf ihre Recherchen, wühlt in alten Akten,
       stöbert neue Zeugen auf, fährt mit dem Auto Stationen der Tat ab, um
       nachzuvollziehen, ob die Zeitabläufe stimmen könnten – all das schnürt sie
       so geschickt in Spannungsbögen zusammen, dass „Serial“ für sein innovatives
       Storytelling gefeiert wird. Parallel dazu lässt Koenig den Zuhörer an ihren
       Gedankengängen, ihrer Gefühlswelt teilhaben – und verschweigt nicht ihre
       Sympathien für den inhaftierten Adnan oder die Frustration, wenn schon
       wieder ein Erklärungsversuch im Nirgendwo endet.
       
       Gerade weil „Serial“ handwerklich so geschickt erzählt ist, Koenig ganz
       ungewöhnlich intime Zugänge zu ihren Protagonisten findet, ohne reißerisch
       zu werden, und sich der Hörer fast fühlt, als säße er auf Koenigs
       Beifahrersitz und könne mitermitteln, elektrisiert die Show viele in den
       USA. In sozialen Medien hat sie eine Welle von Foren, Blogs und Podcasts
       losgetreten, in denen mitermittelt und spekuliert wird.
       
       Genau hier unterscheidet sich „Serial“ von klassischen Reportagen über
       Kriminalfälle: Koenig selbst hat in Interviews wiederholt beteuert, selbst
       noch nicht zu wissen, zu welchem Ergebnis der Podcast kommen wird – die
       Recherche sei auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht abgeschlossen,
       sondern „work in progress“. Und: Durch das Serienformat wimmelt es etwa auf
       einer Unterseite des Social News Aggregator Reddit nur so von
       Sympathiebekundungen für oder Beschuldigungen gegen den verurteilten Adnan
       oder seinen damaligen Kifferkumpel Jay, auf dessen Aussage gegen Adnan sich
       der gesamte Prozess stützte.
       
       ## Spekulationen auf Reddit
       
       Ebenfalls auf Reddit werden Fakten zur Existenz von Telefonzellen am
       potenziellen Tatort ausgebuddelt. Bekannte aus dem Umfeld des Mordopfers
       liefern sich Wortgefechte. Es sei sein Horrorszenario, dass eine für den
       Mord verantwortliche Person in diesem Forum mitlese, von Beweisen für seine
       Schuld Wind bekäme und auf Basis dessen davonkommen könne, bekannte einer
       der Moderatoren dieses Subreddits gegenüber der britischen Zeitung
       Guardian. 
       
       Tatsächlich weckt der Spekulationsrun auf Reddit ungute Erinnerungen an die
       Hatz auf vermeintlich Verdächtige, die auf der Seite nach dem Anschlag auf
       den Boston-Marathon 2013 veranstaltet wurde.
       
       Insgesamt ist es für „Serial“-Hörer mitunter schwierig, sich immer wieder
       klarzumachen, dass Koenig über einen tatsächlichen Mordfall reportiert. Zu
       surreal scheint es mitunter, wie offen viele Bekannte und Freunde Auskunft
       geben. Vielleicht auch, weil die Hörspielform zusätzlich die Fantasie der
       Zuhörer anregt. Von der Vermischung von Fiktion und Realem zeugen viele
       Posts auf Reddit, die sich eher lesen wie Bekenntnisse zu Team Edward und
       Team Jacob, den Protagonisten aus der Twilight-Vampirsaga.
       
       Aber auch Äußerungen der Journalisten der Newssite Slate, die inzwischen
       Woche für Woche [1][jede neue Ausgabe der Show nachbesprechen]. Und darin
       Spekulationen anstellen wie die, dass die Art und Weise, wie Koenig den
       Fall erzählt, darauf hindeuten könnte, dass, auch wenn es am Anfang so
       wirke, Jay eben genau nicht der Mörder sein könne. Denn auch bei Agatha
       Christie würde ja am Anfang immer alles auf den Butler als Täter hindeuten
       – und am Ende sei der es nie gewesen.
       
       ## Neuer Verdächtiger
       
       Parallel dazu scheint „Serial“ nun auch juristische Konsequenzen zu haben:
       Dass der Maryland Court of Special Appeals die Ankläger nun noch einmal zu
       einer Stellungnahme zum Prozess gegen Adnan Syed auffordert, soll angeblich
       rein gar nichts mit dem Podcast zu tun haben. Eine Verbindung zum Innocence
       Project der Universität von Virginia lässt sich jedoch nicht leugnen –
       diese Einrichtung begann mit ihren Nachforschungen zu dem Fall erst,
       nachdem Koenig sie während ihrer Recherchen kontaktiert hatte, – und will
       nun [2][Berichten des Columbia Journalism Review] zufolge das Gericht um
       die Nachprüfung von Beweisen bitten.
       
       In dem Bericht heißt es weiter, dass die Rechercheure des Innocence
       Projects außerdem auf einen weiteren potenziellen Verdächtigen gestoßen
       sein könnten. Auch auf Reddit kursiert der Name eines weiteren potenziellen
       Verdächtigen.
       
       Manchmal wirkt es, als habe der Erfolg von „Serial“ die Macher etwas
       überrumpelt. Zumindest die Spekulationswelle in sozialen Netzwerken scheint
       sie unvorbereitet getroffen zu haben. In vielen US-Medien werden derzeit
       die ethischen Implikationen der Show diskutiert: Ist es in Ordnung, einen
       Mordfall mit echten Protagonisten mit den Mitteln des Storytellings zu
       erzählen? Eine noch nicht abgeschlossene Recherche zu veröffentlichen – und
       damit das Risiko einzugehen, die Erinnerungen von Befragten zu
       beeinflussen, die einen Teil der Show bereits gehört haben?
       
       Und: Besteht nicht die Gefahr, aller Vorsicht zum Trotz Interviewte
       bloßzustellen beziehungsweise einem findigen Onlinemob potenziell zum Fraß
       vorzuwerfen? Auf der anderen Seite finden sich aber auch immer wieder
       Verfechter von Koenigs Ansatz: Ohne ihre spezielle Erzählform würde die
       Show ihren Reiz verlieren. Und: Lassen sich die ethischen Bedenken gegen
       „Serial“ nicht generell auf jede Form von Berichten über Verbrechen
       übertragen?
       
       Ein Makel, der der Show immer wieder vorgeworfen wird, ist, dass die Seite
       von Hae Min Lees Familie ungehört bleibt. Koenig zitiert zwar aus Haes
       Tagebuch – die Perspektive ihrer Familie fehlt allerdings. Dass sich das im
       Zuge einer noch kommenden „Serial“-Folge noch ändern wird, ist allerdings
       unwahrscheinlich. Denn ebenfalls auf Reddit ist ein wütender Post von
       jemandem aufgetaucht, der sich Mühe gibt, sich als Haes Min Lees kleiner
       Bruder zu identifizieren. Für ihn sei das das echte Leben, schreibt er
       darin. „Für euch Zuhörer ist das einfach nur ein weiterer Mystery-Mordfall,
       ein Krimi, eine weitere Folge von CSI.“ Er zeigt sich angeekelt von Fans
       der Show, die fordern, dass sich die Familie zu einem Interview mit Koenig
       bereit erklären soll.
       
       Am Donnerstag wird die zehnte von insgesamt zwölf Folgen veröffentlicht.
       Nach einem Spendenaufruf im November dauerte es eine Woche, bis das Geld
       für eine zweite Staffel eingesammelt wurde. Die soll 2015 starten – mit
       einem neuen Fall.
       
       4 Dec 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.slate.com/topics/s/serial.html
 (DIR) [2] http://www.cjr.org/behind_the_news/serial_sarah_koenig_adnan_syed.php
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Meike Laaff
       
       ## TAGS
       
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