# taz.de -- Gedenkmuseum in Peru: Unterschiedliche Wahrheiten
       
       > Das Museum LUM in Lima soll im Dezember öffnen und an den Bürgerkrieg in
       > Peru erinnern. Doch wegen eines Streits der Konfliktparteien steht es
       > leer.
       
 (IMG) Bild: Erst solche Bilder ermöglichen das Museum LUM über den peruanischen Bürgerkrieg
       
       LIMA taz | Das massive schwarze Metalltor steht offen. Ein Wachmann mustert
       aufmerksam die Menschen, die den schmalen beleuchteten Gang zum Fahrstuhl
       entlanggehen. Etwas unheimlich wirkt der Weg, der ins Innere des LUM führt.
       Die drei Buchstaben stehen für „Lugar de Memoria, Tolerancia y Inclusión
       Social“ und für das jüngste Museum der peruanischen Hauptstadt.
       
       Das krallt sich förmlich in die Steilküste in Limas Stadtteil Miraflores.
       Der lange Weg bis zum Eingang des „Orts der Erinnerung, Toleranz und
       sozialen Teilhabe“ ist Teil des Konzepts. „Erinnern ist kein einfacher Akt,
       das kostet Überwindung, und genau das soll die lange Strecke bis zum
       Eingang auch symbolisieren“, sagt Heeder Soto.
       
       Der 33-jährige Filmemacher hat sich mit dem Museum und seiner Architektur
       beschäftigt und an mehreren Veranstaltungen im Auditorium des Museums
       teilgenommen. Das befindet sich ganz unten in dem dreistöckigen Gebäude und
       wurde Anfang Juni eingeweiht. Auf eine weitere Eröffnung warten die anderen
       Räume des auf den ersten Blick so abweisend wirkenden Museumsgebäudes noch,
       das eher an eine Festung denn an einen Ort der Begegnung erinnert.
       
       Doch dazu will Denise Ledgard anstiften und zur Auseinandersetzung. „Das
       LUM ist ein Ort für alle und ganz besonders für die Jugend“, sagt die
       sympathische Juristin. Im Juli 2013 hat sie die Leitung des umstrittenen
       Museums übernommen und seit Anfang Juni 2014 finden nun regelmäßig
       Veranstaltungen im LUM-Auditorium statt. „Endlich sind wir sichtbar, können
       Leute zusammenbringen und diskutieren“, erklärt Ledgard.
       
       ## Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte
       
       Mit kleinem Team und wenig Geld versucht Ledgard die Auseinandersetzung
       über die jüngere Geschichte Perus anzuschieben. Dazu dienen prämierte Filme
       wie „La Teta asustada“ von Claudia Llosa, der 2009 den Goldenen Bären der
       Berlinale gewann, oder „Wanderer der Erinnerung“ von Heeder Soto. Beide
       Filme zeigte das LUM, beide beschäftigen sich aus ganz unterschiedlichen
       Perspektiven mit dem Bürgerkrieg, der Peru zwischen 1980 und 2000 prägte.
       
       Während Claudia Llosa einen Spielfim drehte, arbeitet Heeder Soto
       dokumentarisch. Er hat Opfer und Täter in Ayacucho interviewt. 570
       Kilometer von Lima entfernt, bildeten Stadt und Region Ayacucho das Zentrum
       des schmutzigen Krieges von Armee und Polizei auf der einen und der
       maoistischen Guerillaorganisation „Leuchtender Pfad“ sowie der
       revolutionären Bewegung Túpac Amaru (MRTA) auf der anderen Seite.
       
       69.280 Menschen kostete der Konflikt das Leben, zumeist indigener
       Abstammung, so ist es in den mehr als 6.000 Seiten umfassenden Bericht der
       peruanischen Wahrheitskommission festgehalten. Fast die Hälfte der Opfer
       stammen aus der Region von Ayacucho.
       
       Als der Bericht im August 2003 vom Vorsitzenden der Kommission, dem
       Philosophieprofessor Salomón Lerner Febres, vorgestellt wurde, beschloss
       Heeder Soto Opfern und Tätern näherkommen zu wollen.
       
       ## Ansatz der Aussöhnung
       
       „Ich will Entwicklungen erklären“, sagt der Filmemacher, der selbst aus
       Ayacucho stammt. Sein Vater wurde mit Waffengewalt verschleppt, tauchte nie
       wieder auf, und seine Mutter gehörte zu den Frauen, die Anfasep, Peru
       bekannteste Opferorganisation, 1983 gründeten.
       
       Der „Vereinigung der Familien von Entführten, Verhafteten und
       Verschwundenen“ hat Soto seinen Film gewidmet, obwohl längst nicht alle
       Opfer seinen Ansatz der Aussöhnung teilen.
       
       Die Widerstände gegen eine abgeklärte Betrachtung der jüngeren Geschichte
       sind beträchtlich. Und das zum Teil mit gutem Grund. „Viele der Opfer haben
       bis heute keine Entschädigungszahlungen erhalten, viele der Täter wurden
       weder ermittelt noch verurteilt, und auch das LUM ist ja nicht aus freien
       Stücken gebaut worden“, sagt der mittlerweile 70-jährige Salomón Lerner.
       Dann fährt er fort: „Und ohne Angela Merkel wäre es zu dem Museum nicht
       gekommen.“
       
       Die deutsche Kanzlerin war im Mai 2008 im Rahmen des
       EU-Lateinamerika-Gipfels in Lima. Gemeinsam mit Lerner besuchte sie die
       Fotoausstellung „Yuyanapaq – Zum Erinnern“. Die von der Wahrheitskommission
       ausgewählten Fotos aus dem Bürgerkrieg, geknipst von Militärs, aber auch
       zivilen Organisationen, berühren, erinnern und mahnen.
       
       ## Kein Interesse an Aufklärung
       
       Die eindrucksvollen Bilder, ausgewählt aus einem Fundus von 1.700 Fotos,
       die der Wahrheitskommission bei ihren Recherchen 2001 und 2002 in die Hände
       fielen, eröffnen einen ganz anderen Zugang zu dem menschenverachtenden
       Bürgerkrieg, der in Peru heute of unter den Teppich gekehrt wird.
       
       Die mit nur wenigen Sätzen aus unzähligen Zeugenaussagen ergänzte
       Ausstellung beeindruckte auch Angela Merkel. Zudem führte die Tatsache,
       dass „Yuyanapaq – Zum Erinnern“ in Lima kein festes Domizil hatte, dazu,
       dass die Bundesregierung zwei Millionen Euro aus dem Entwicklungshilfefonds
       für den Bau eines Ausstellungsgebäudes spendete. „Das war der Startschuss
       für das Museum der Erinnerung, das erst später in LUM umgetauft wurde“,
       meint Lerner.
       
       Doch es bedurfte erst noch einer weiteren Intervention von Mario Vargas
       Llosa, Perus Literaturnobelpreisträger, bevor das Geld aus Berlin auch
       angenommen und der Museumsbau auf den Weg gebracht wurde. Militärs, aber
       auch Politiker wie der damalige Präsident Alan García, waren nicht
       einverstanden mit dem Projekt.
       
       „Ein Museum über den Bürgerkrieg und seine Opfer wirft viele Fragen auf –
       vor allem über die Verantwortung. Daran haben Militärs und Politiker nicht
       allzu viel Interesse“, erläutert Rocío Silva Santisteban von der
       peruanischen Menschenrechtskoordination. Die hat Publikationen über die
       blutige Niederschlagung einer Gefängnisrevolte in der ersten Amtszeit von
       Alan García (1985–1990) sowie das brutale Vorgehen des Militärs gegen
       vermeintliche Anhänger des Leuchtenden Pfades in der Region von Ayacucho
       veröffentlicht. Doch ermittelt wurde nie.
       
       ## De facto herrscht Straflosigkeit
       
       Auch der amtierende Präsident Ollanta Humala hat der
       Menschenrechtskoordination zufolge wenig Interesse am Museum, weil er 1992
       die Militärbasis Madre Mía befehligte, wo gefoltert und getötet wurde. „In
       Peru herrscht de facto Straflosigkeit, deshalb ist der Bürgerkrieg eine
       heiße Kartoffel“, kritisiert Frau Santisteban.
       
       Genau deshalb sind das Museum und die Arbeit des Teams um Denise Ledgard so
       wichtig. „Erinnerung im Aufbau“ ist auf den Notizblöcken neben dem Logo des
       LUM vielsagend zu lesen. Die Blöcke werden bei Veranstaltungen verteilt,
       damit sich die Besucher Notizen machen können. Gekommen ist Adelina García,
       Sprecherin der Anfasep aus Ayacucho, die auf dem Podium des Auditoriums
       schildert, welche Erfahrungen sie mit einem Museum gemacht haben, das die
       Frauen mit internationaler Hilfe in Ayacucho aufgebaut haben.
       
       Aufmerksam hört ihr dabei der Mann zu, der die Geschichtsschreibung der
       peruanischen Armee verantwortet: Brigadegeneral Marco Antonio Merino Amand.
       „Die Armee will“, so Amand, „an diesem Ort mitarbeiten. Wir wollen an einer
       umfassende Darstellung mitwirken, was in diesem Land vor zwanzig Jahren
       passiert ist.“
       
       Dabei treffen viele unterschiedliche Wahrheiten aufeinander: die der Opfer
       aus der Zivilgesellschaft, die der Verteidiger des Vaterlandes, die der
       Rebellen, die für eine andere Gesellschaft eintraten, also auch die der
       Täter von Guerilla, Polizei und Militär, so Museumsdirektorin Denise
       Ledgard. Perspektiven, die nicht immer mit den Interessen
       wissenschaftlicher Geschichtsschreibung vereinbar sind. Das ist der
       zentrale Grund, weshalb es auch vier Jahre nach der Grundsteinlegung weder
       eine historische Ausstellung noch Platz für die Fotoschau „Yuyanapaq“ gibt.
       
       ## Langsam füllt sich das Museum
       
       Für beide Ausstellungen sei in dem zu kleinen Gebäude kein Platz, wurde
       Salomón Lerner mitgeteilt. Weshalb aber der erste und der zweite Stock des
       LUM leer stehen, konnte man ihm nicht erklären, denn eigentlich hätte die
       historische Ausstellung nun im Dezember feierlich eingeweiht werden sollen.
       „Peinlich für die Regierung“, sagt Lerner mit bitterer Miene.
       
       Doch dann hellt sich sein Gesicht wieder auf. Ausgesprochen zufrieden ist
       er, dass man dem Umgang mit dem so brutal geführten Krieg im dritten Stock
       des Museums langsam näherkomme. Und tatsächlich: Im Auditorium wird der
       Slogan von der „Erinnerung im Aufbau“ durch die Ausstellung entsprechender
       Objekte langsam mit Leben erfüllt.
       
       8 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Knut Henkel
       
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