# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Der Komplexitätskomplex
       
       > Spotify oder CD? Was umweltfreundlicher ist, ist nicht so einfach zu
       > entscheiden. Unser ökologischer Fußabdruck hängt von vielen Bedingungen
       > ab.
       
 (IMG) Bild: Ist das Smartphone wirklich besser als der CD-Player?
       
       Darf man sich jetzt nicht mal mehr was schenken lassen?“ Mein Sohn (15)
       regt sich auf. Meine Tochter (17) hat gerade schärfstens verurteilt, dass
       der Radiosender beim Weihnachtsratespiel 500-Euro-Kameras für die Gewinner
       auslobt. Er (konsumaffin) hätte gern solch ein Gerät gewonnen. „Wir haben
       doch schon eine“, prangert sie (konsumkritisch) an.
       
       Eine typische Unterhaltung am Frühstückstisch. „Das brauchen wir nicht“,
       ruft meine Tochter. Beispielsweise, wenn ich ankündige, einen neuen
       Computerdrucker zu erwerben. Der alte harmoniert nicht mit dem neuen
       Betriebssystem des Laptops, keine Chance. Sie: „Zu Hause muss man nicht
       drucken, ich kann zu meiner Freundin gehen.“
       
       Ich frage, wie sie dann morgens vor der Schule mal eben schnell das
       Arbeitsblatt für den Matheunterricht ausdrucken will. Mein Sohn rollt die
       Augen. Er hält sie für Steinzeit. Obwohl auch ihm die „Wir müssen weniger
       verbrauchen, um die Welt zu retten“-Debatte nicht fremd ist. Nun kann er
       einen Punkt machen. Glaubt er. Via Spotify schaltet er seinen aktuellen
       Lieblingsrapper dazu. Die Musik kommt direkt aus dem Internet. Man muss
       keine CDs kaufen. Er: „Kein Plastik, keine Rohstoffe, voll öko, oder?“
       
       Er will jetzt mal das Lob seiner Schwester. Sie, auf dem Sofa, in einer
       Umweltzeitschrift blätternd: „Hier steht, dass Musikstreamen mehr Energie
       verbraucht als die Produktion einer CD!“ Wir staunen. Ist das Internet
       ebenfalls ein Sargnagel fürs Klima? „Klar doch“, kolportiert sie den
       Artikel, „die riesigen Rechenzentren brauchen Zehntausende Megawattstunden
       Strom pro Jahr, aus Dutzenden Atom- und Kohlekraftwerken.“
       
       Mein Sohn gibt nicht auf. Er argumentiert für den Öko-Vorteil des Netzes.
       Wenn er mit der U-Bahn zum CD-Geschäft fahre, verbrauche das auch Energie.
       Auch müsse man den Strom für unseren alten CD-Spieler einkalkulieren, der
       mehr Saft benötigt als das neue Smartphone, mit dem wir streamen. „Was sagt
       deine Schlaumeier-Öko-Zeitschrift dazu?“, will er wissen. Nichts, muss
       meine Tochter einräumen.
       
       ## Die Komplexität ist überwältigend
       
       An solche Punkte kommen wir häufig. Die Komplexität ist überwältigend. Der
       ökologische Fußabdruck unseres Alltags hängt von tausend Randbedingungen
       ab. Werden die Internet-Fabriken, die Spotify nutzt, mit Kohle-, Atom- oder
       Sonnenstrom betrieben? Stehen sie in kalten Gegenden, wo man nicht so viele
       Kühlaggregate braucht, oder in wärmeren Gegenden, wo sie mehr Elektrizität
       ziehen? Keine Ahnung, wer weiß das schon. Uns fehlen Daten. Wir suchen
       Antwort. Und surfen im Netz. Mist, schon wieder CO2 verursacht.
       
       Was bleibt uns übrig? Entscheidungen auf Basis unvollständiger
       Informationen. Damit sind wir nicht allein. Unternehmer bauen Fabriken,
       ohne sicher zu wissen, ob die Produkte Käufer finden. Politiker können
       niemals genau einschätzen, ob die Koalition, die sie jetzt für die beste
       halten, nicht ein Jahr nach der Wahl wegen eines kaum vorhersehbaren
       Skandals auseinanderfliegt. Spotify oder CD? Unklar, was besser ist. Aus
       alltags-, klima- und weltpolitischen Gründen würde man solche
       Unwägbarkeiten gern ausräumen. Aber einen Vorteil haben sie immerhin: Es
       gibt immer was zu diskutieren.
       
       2 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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