# taz.de -- Konzert beim Festival CTM: Hoodie-Wesen ohne Gesicht
       
       > Die britische Produzentin Gazelle Twin taucht ihre Maschinen in
       > industriell-kühlen Klang. Ihre Stimme setzt sich gegen nagende Beats
       > durch.
       
 (IMG) Bild: Immer schön verpixelt bleiben: Gazelle Twin.
       
       Graziös ist eine Gazelle mit ihren filigranen Beinen. Scheu ist sie auch.
       Die Elektroproduzentin und Sängerin Elizabeth Bernholz aus dem
       südenglischen Brighton hat das Tier für ihren Künstlernamen gewählt und es
       mit einem anderen Begriff verbunden: „Twin“, der Zwilling. Dem Zwilling
       kann etwas Unheimliches anhaften. Zwiegespalten, diabolisch kann er sein.
       
       Mit ihrer Stimme greift Elizabeth Bernholz die Doppelgesichtigkeit ihres
       Zwillingssymbols auf: Auf weite Sopranhöhen kann sie klettern mit einem
       warmen Timbre und ausgedehntem Vibrato, aber kühl und tief kann sie auch
       singen: „Don’t know how to feel / When you want to see / All the pain you
       cause / To your family“ – abgehackt, fast maschinell haut die 33-Jährige
       diese schwarzen Zeilen auf einen industriellen Sound.
       
       Ist Elizabeth Bernholz Gazelle Twin, dann hat sie ihr Gesicht verloren. Aus
       einer hellblauen Hoodie-Kapuze fällt nussbraunes, langes Haar hervor. Auf
       der Bühne setzt sie sich eine hautfarbende Maske vors Konterfei. In jedem
       ihrer Musikvideos, auf jedem ihrer PR-Fotos ist ihr Anlitz unkenntlich
       gemacht, verpixelt, zu einer Hautmasse geschmolzen.
       
       ## Rohes, rotes Fleisch
       
       Auch ein Stück rohes, rotes Fleisch kann an seine Stelle collagiert sein.
       Das unheimliche, gesichtslose Hoodie-Wesen Gazelle Twin ist kein Alter Ego.
       Aus Scheu vor dem Publikum soll die Musikerin 2011 begonnen haben, sich bei
       ihren Liveperfomances zu maskieren. Das machte Elizabeth Bernholz
       schließlich zu einem bildpolitischen Konzept: Einer Medienwelt, in der
       weibliche Musikerinnen zu sexy Ikonen stilisiert werden, tritt sie mit
       Anonymität entgegen. Was für ein Körper sich unter den lockeren
       Sportklamotten verbirgt, oder ob das lange, leicht gewellte Haar echt ist,
       bleibt Vermutung.
       
       In ihren Texten zudem changiert Bernholz zwischen weiblicher und männlicher
       Rolle. Gazelle Twin wird so ein ungreifbares, androgynes Wesen in
       Kapuzenpulli und hochgezogenen Baumwollsocken.
       
       ## Spiel mit Ungewissheiten
       
       So queer das ist, Elizabeth Bernholz’ Spiel mit Ungewissheiten ist vor
       allem gruselig. Das Schauerhafte sitzt in den alltäglichen Dingen, denen
       sie in ihrer Musik ein eigenes, dunkles Leben einhaucht. Der simple
       Signalton einer Supermarktkasse etwa, dieses monotone Piepen, wenn der
       Laser einen Warenartikel erfasst, wird plötzlich zum unheilvollen Herzton.
       Er schlägt über einen nagenden Beat aus Holzstick-Samples. „I’ll take it
       like milk from a baby, swallowing it down /Tasting that sweet thing / I’m
       stuck in the belly of the beast“, singt sie dazu. „Exorcise“ ist der Titel
       des Tracks, in dem ein Hundebellen zu einer teuflischen Gebärde wird.
       Ruckartig bricht es aus einer langsam sich aufbauenden Überlagerung
       stumpfer Synthiepatterns heraus.
       
       Beengend, angsteinflößend, aber auch industriell-kühl ist Gazelle Twins
       Sound. Ein in Synthie-Klängen gepacktes, modernes Horrorszenario. Nicht von
       Anfang an hatte Elizabeth Bernholz diesen Stil. Sie, die klassische
       Komposition studiert hat, debütierte 2011 in ihrem Album „The Entire City“
       mit einer breit arrangierten, elektronischen Landschaftsaufnahme. „Ich
       orientierte mich seinerzeit noch sehr an dem klassischen Zeug aus meinem
       Studium“, wird Bernholz in dem Online-Magazin The Quietus zitiert. Auf
       ihrer EP „Mammal“ von 2013 bereitete sie den schaurigen Stil vor, den sie
       nun in ihrem zweiten, kürzlich erschienenen Album, „Unflesh“, verfeinert
       hat. Schnitt zum Videoclip ihres Songs „Guts“: Das Hoodie-Wesen sitzt auf
       dem Rücksitz eines Autos.
       
       ## Durch die Waschanlage
       
       Langsam rollt das Vehikel in eine Waschanlage. Während große Schwammlocken
       über die Windschutzscheibe fahren, krümmt sie sich auf der Rückbank im
       Wagen vor Angst, bäumt sich auf vor Wut, räkelt sich, mal lasziv, mal von
       Panik ergriffen. „Deep inside / Every part of you/ There’s a will / To
       resist the cell“, singt sie zur Unkenntlichkeit verzerrt – erneut das Spiel
       mit der Anonymität – über einem krassen Beat aus trockener Bassdrum und
       metallischer Hi-Hat. Ein Schrei aus der Ferne beendet die Szene.
       Klaustrophobie, Paranoia, das banale Setting einer Autowaschanlage, die
       austestende Erotik zwischen Erschrecken und Lust, der Verweis aufs
       Körperliche im Text – das Ganze hat etwas von der Brüchigkeit einer
       Teenagerpsyche.
       
       Es ist der Horror der Adoleszenz, der auch durch Laura Palmers High School
       in der TV-Serie „Twin Peaks“ schauerte, den Elizabeth Bernholz mit ihrer
       Kunstfigur verarbeitet. Ihr blauer Hoodie gehört zum Symbolismus von
       Gazelle Twin dazu: Es ist exakt das Modell, das sie als Teenager im
       Sportunterricht tragen musste.
       
       29 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sophie Jung
       
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