# taz.de -- Christian Bahrmann im Gespräch: "Puppenspielen ist ein Knochenjob"
       
       > Christian Bahrmann spielte schon immer gern mit Puppen. Ein Gespräch über
       > Kasper, den (gar nicht so) bösen Wolf und die Muskeln, die es fürs
       > Spielen braucht.
       
 (IMG) Bild: Ist auch als Partner des Kikaninchens bekannt: Christian Bahrmann.
       
       taz: Christian, hast du Kinder? 
       
       Christian Bahrmann: Ja, habe ich, drei sogar.
       
       Spielst du auch für die? 
       
       Na, die kommen schon regelmäßig, zumindest die Kleinen. Aber zu Hause
       spiele ich selten Puppentheater für sie. Das ist ja der Fluch des
       Puppenspielers: Dass man leider selten zu Hause ist, wenn die Kinder zu
       Hause sind – wegen der Auftritte und Konzerte. Die haben nicht so viel von
       mir wie andere Kinder von ihren Eltern.
       
       Wie finden die das, wenn du mit Puppen spielst? 
       
       Je nach Alter ganz in Ordnung. Der Große ist zehn und kommt schon lange
       nicht mehr. Der kennt schon alles auswendig, was ich spiele. Der spielt
       lieber Basketball. Aber die Mittlere ist in der ersten Klasse, genau wie
       du, die kommt noch sehr gern. Und die Kleinste ist drei und hat neulich
       ihren ersten Geburtstag im Puppentheater gefeiert.
       
       Hab ich auch schon mal! 
       
       Ach ja?
       
       Ja! Da bin ich fünf geworden. 
       
       Und hat es dir gefallen?
       
       Ja. 
       
       Na denn ist ja gut.
       
       Warum spielst du denn so gern mit Puppen? 
       
       Weil ich in deinem Alter schon mit dem Puppentheater angefangen habe.
       
       Echt? 
       
       Doch! Wirklich. Ich habe von meinem Papa Handpuppen bekommen. Ich hab
       damals in der Oranienburger Straße gewohnt und hatte so ein dunkles,
       verbautes Zimmer mit einem Hochbett. Und da hat mein Papa unten ein
       Kasperletheater reingebaut.
       
       Also hatten Ihre Eltern nicht unbedingt etwas dagegen, dass Sie
       Puppenspieler werden wollten? 
       
       Überhaupt nicht. Sie haben das gemacht, was alle Eltern machen sollten:
       Sich gefreut, dass ich etwas gefunden habe, was mir Spaß macht.
       
       Und was passierte nach dem Kasperspiel im Kinderzimmer? 
       
       Dann wurde ich Stammgast im Puppentheater Firlefanz in der Sophienstraße,
       bei Harald Preuß. Das wurde 1982 gegründet und existiert bis heute. Ich
       denke, bei Harald Preuß habe ich das meiste gelernt. Jedenfalls konnte ich
       dann schon alle Stücke auswendig mitsprechen, so oft war ich da.
       
       Damals gab es noch die DDR. 
       
       Genau. Und deshalb habe ich im Kreispionierhaus Bruno Kühn in der AG
       Puppenspiel mitgemacht, und dann hat es mich eigentlich nie mehr
       losgelassen. Beim Abitur habe ich im Theaterclub gespielt, während des
       Abiturs habe ich im Firlefanz angefangen zu arbeiten, als Einlasser,
       Techniker und bei Tourneen als Roadie.
       
       Das nenne ich mal einen lückenlosen Lebenslauf. 
       
       Zwei Jahre lang habe ich mal versucht, was anderes zu machen. Es war eine
       harte Zeit. Ich wollte Lehrer werden. Hatte aber, wie ich recht schnell
       feststellen durfte, nach der Schule keine Lust mehr, zu lernen. Zumal sie
       mir schon im ersten Semester die Freude am Lehren nahmen. Aber das war ja
       vielleicht auch richtig so, da wurden die Nieten gleich ausgesiebt. Und ich
       habe mich an der Schauspielschule beworben und wurde auf Anhieb genommen.
       Zum Glück, denn damals war ich noch nicht so ausdauernd wie heute.
       
       Und hat das dann geklappt mit dem Studium? 
       
       Ich bin tatsächlich diplomierter darstellender Künstler Schrägstrich
       Puppenspieler geworden.
       
       Gab es so eine Ausbildung im Westen auch? 
       
       Ja, in Bochum und in Stuttgart. Aber das wissen nicht so viele. Denn die
       Konzentration von Puppentheatern in der DDR war viel höher, besonders in
       Ostberlin, dem Mekka der Puppentheater. In der DDR hatte eigentlich jede
       Bezirksstadt ein Staatstheater und ein staatliches Puppentheater. Das
       staatliche Puppentheater Ostberlins gibt es übrigens immer noch und wird
       auch immer noch subventioniert: die Schaubude. Darum haben die Geld für
       Kunst.
       
       Machen Sie denn keine Kunst? 
       
       Ich würde eher sagen: Wir machen Unterhaltung mit der Kunst des
       Puppentheaters. Denn wir müssen hier eine Miete zahlen.
       
       Seit wann gibt es ihr Theater, den Prenzlkasper? 
       
       An diesem Ort seit bald fünf Jahren.
       
       Sie befinden sich sozusagen im Epizentrum des Kinderparadieses Prenzlauer
       Berg – zwischen Schulen und Kitas, Spielplätzen, Spielzeugläden und
       Spielcafés. 
       
       Ich habe lange nach so einem Raum in so einer Lage gesucht, der noch dazu
       richtig geschnitten ist, also ein bisschen schlauchförmig, und die richtige
       Größe hat. 80 Leute, das ist genau richtig für uns – auch wenn wir an
       manchen Tagen 150 Leute unterbringen könnten und Leute wegschicken müssen.
       
       Der Laden brummt also? 
       
       Im Winter schon. Im Sommer allerdings kommt keiner ins Puppentheater. Das
       Problem ist also, dass wir im ganzen Jahr Miete zahlen müssen. Also haben
       wir den Laden im Sommer zuerst selbst als Eisdiele genutzt, und als das zu
       aufwändig wurde, an Gastronomen verpachtet, die hier Eis verkaufen.
       
       Welche von deinen Puppen magst du eigentlich am liebsten? 
       
       Mein bester Freund ist der Kasper. In dem steckt ganz viel von mir selber
       drin. Das Freche, das Neugierige. Aber was mir auch sehr viel Spaß macht,
       das sind die Bösewichter. Der Wolf im „Rotkäppchen“ zum Beispiel. Oder der
       Hase in meinem Stück „Hase und Igel“. Als Bösewicht kann man fast noch
       besser mit den Kindern spielen.
       
       Warum? 
       
       Wegen der Lust auf Angst, der Angstlust. Deshalb kommen die Kinder ja.
       
       Warum magst du denn diesen blöden, stinkigen Wolf? 
       
       Ich finde es spannend herauszufinden: Warum ist der eigentlich böse? Ist
       der überhaupt böse? Oder hat der vielleicht einfach nur schlechte Laune?
       Hat der vielleicht einfach nur Hunger? Oder kann der nur nicht so gut
       zuhören? Ist der ein bisschen dumm?
       
       Ich glaub, ich mag den Wolf eigentlich auch ganz gern. 
       
       (Mit verstellter Stimme) Ich bin der Wolf. (großes Gekicher) 
       
       Baust du deine Puppen selber? 
       
       Leider nein. Ich kenne kaum gute Puppenspieler, die es auch noch schaffen,
       ihre Puppen selber zu bauen. Man hat als Puppenspieler so viel allein zu
       tun – man muss allein fahren, allein aufbauen, allein spielen, allein
       abbauen. Ein einsamer Beruf, besonders, wenn man eine Familie ernähren will
       und sich nicht so viele Angestellte leisten kann. Da freut man sich über
       einen Puppenbauer, mit dem man arbeiten, sich auch mal austauschen kann.
       
       Welche Stücke spielen Sie am liebsten? 
       
       Ich habe immer Freude daran, Neues in den alten Märchen zu entdecken. Denn
       die Kinder kennen die Märchen und können da viel reflektieren, viel drin
       entdecken. Auch aus ihrem eigenen Leben. Mich selbst interessiert vor allem
       das Zwischenmenschliche in den Märchen. Da spüre ich dann doch den Lehrer
       in mir, der ich nie wurde.
       
       Klingt ein wenig nach erhobenem Zeigefinger … 
       
       Es ist ja auch so: Man kann wirklich etwas bewirken, wenn man sich
       einmischt. Reinschreien hilft auch draußen, in der Welt. In Dresden zum
       Beispiel hätte es dringend mehr Gegendemonstranten gebraucht, die
       reinschreien. Die Dresdner waren nicht oft genug im Puppentheater.
       
       Spielen Sie neben den Märchen auch Eigenes? 
       
       Die Krux als Puppenspieler ist, dass man nur Titel spielen darf, die die
       Leute kennen. Wenn man sich selbst was Neues ausdenkt, dann kann das Stück
       so toll und zauberhaft poetisch sein, wie es will: Kein Mensch kommt. Also
       versuche ich mein Glück über den Umweg der Kaspergeschichten. Kasper und
       Rotkäppchen, Kasper und der Dinosaurier, Kasper und der Teufel. Die Kinder
       brauchen den Kasper auch als Hilfestellung. Um mutig zu sein.
       
       Und wie gefällt der Kasper den Erwachsenen, die dabeisitzen? 
       
       Das Schönste, was passieren kann, und das macht die Magie des
       Puppentheaters aus: Wenn man merkt, dass das gerade nur jetzt und hier
       passiert und nicht noch einmal passieren wird. Vor Kurzem zum Beispiel habe
       ich „Kasper und der Dinosaurier“ gespielt. Und da gibt es einen Moment, wo
       der Kasper dem Dinosaurier einen Eierkuchen backt. Und dann frage ich immer
       aus Spaß: Habt ihr zufällig Eier dabei, und dann sagen sie im Publikum
       natürlich immer: Nein! Das ist ja auch gut so, sage ich dann immer, denn
       wir sind ja ein gutes Theater, da muss man keine Eier schmeißen. Diesmal
       aber sagte eine Mutter: Ja! Da musste ich erst mal einen Moment nachdenken.
       Dann sagte ich, um Zeit zu gewinnen: Super! Wo denn? Sie dann: Die sind vor
       der Tür! Im Auto! Ich wieder: Super!
       
       Warum super? 
       
       Ich kann ja nicht mit echten Eiern auf der Bühne hantieren. Außerdem ist es
       für das Stück wichtig, dass der Kasper kurz mal von der Bühne verschwindet,
       damit der Teufel kommen und Kaspers Pfanne kleinzaubern kann. Also ich zu
       der Frau: Dann habe ich eine Idee! Du bist ja mein Gast. Also machst du das
       Auto von hier aus auf, und ich geh raus und hole die Eier. Welche Farbe hat
       denn dein Auto? Sie: Blau. Ich: Der blaue Porsche mit den Kindersitzen da?
       Großes Gelächter. Ich konnte mit der Frau und ihrem Einkauf dem Stück noch
       so viel Eigenes abgewinnen, das war echt toll. Auch für die Großen.
       
       Sie machen also auch Theater für Erwachsene? 
       
       Ich spiele Familientheater. Wenn die Erwachsenen nicht wiederkommen, kommen
       auch die Kinder nicht wieder. Deshalb bin ich auch vor und nach den
       Vorstellungen oft draußen und rede mit den Leuten. Ich versuche schon ganz
       genau herauszufinden, wie meine Besucher ticken.
       
       Wie tickt sie denn, die Klientel in Prenzlauer Berg? 
       
       Dazu erzähle ich gleich noch eine Anekdote. In einem Stück lasse ich den
       Kasper sagen, dass er leider nicht einkaufen gehen kann, weil er nur noch
       einen Taler hat. Sagt ein Mädchen aus dem Publikum: Wir können dir was
       abgeben. Wir sind sehr reich. Lautes Gelächter. Ich dann: Ach, ist ja
       interessant. Zeig mal auf deinen Papa. Er: Räuspern. Ich: Wie reich seid
       ihr denn? Sie: Sehr reich. Ich: Nein? Er: Nein! Ich: Habt ihr ein Auto?
       Sie: Zwei! Ich: Und eine Dachgeschosswohnung? Sie: Eine große! Ich:
       Vielleicht kann uns dein Papa ein bisschen Geld geben, damit wir einkaufen
       können? Sie: Papa, gib mal Geld her! Er: Hab keins dabei. Ich: Dann gib
       doch deine Karte! – Das sind so Momente, die mir wahnsinnig gut gefallen.
       
       Das Publikum ist also so, wie es über den Prenzlauer Berg heißt: saturiert
       und langweilig? 
       
       Ach was. In der DDR gab es auch immer ein paar, die reicher waren als die
       anderen. Ich weiß gar nicht, wer sich das ausgedacht hat, diesen ganzen
       Quatsch mit den Hergezogenen, mit den Schwaben. Ich finde, dieser Kiez hier
       ist eine Art Inselkette, und auf jeder dieser Inseln leben andere Leute.
       Darunter sind nach wie vor echte Berliner. Außerdem reisen auch sehr viele
       Leute von weit her zum Prenzlkasper: Wir haben Leute aus Spandau, Lübars,
       Hellersdorf, Stammgäste aus Kyritz, Neustrelitz, ganze Kitas aus
       Biesenthal.
       
       Dabei hilft wahrscheinlich auch Ihr Bekanntheitsgrad? 
       
       Ja natürlich. Vor allem wegen meiner Filme für den Kinderkanal. Mit dem
       Kikaninchen.
       
       Das mag ich so gerne! Aber was ist das eigentlich, dein Kikaninchen? Ist
       das auch eine Puppe? 
       
       Nein, das ist eine Animation. Der Unterschied ist also, dass ich in einer
       Greenbox gefilmt werde. Erst später packt der Computer das Kikaninchen
       dazu. Das heißt, dass das Kaninchen beim Dreh noch nicht da ist. Dass ich
       es mir also vorstellen muss. Genauso wie den Eisbären. Oder die
       Sockenfressmaschine. Im Grunde ist es also doch ähnlich wie mit den Puppen:
       Ich muss etwas mit Leben füllen, was eigentlich nicht da ist.
       
       Demnächst erscheint wieder eine CD von Ihnen. 
       
       Meine erste Soloplatte. Ich habe gerade bei Warner Music unterschrieben.
       
       Könnte das ein weiteres ökonomisches Standbein für Sie werden? 
       
       Das glaube ich kaum. Ich muss mir ja selbst bei Autogrammstunden anhören:
       Kauf du mal, ich brenne mir die nachher. Selbst von meiner CD mit dem
       Kikaninchen habe ich nicht sonderlich viele Exemplare verkauft. Wenn man
       nicht Grönemeyer heißt, kann man als Musiker heute ja nur noch mit
       Konzerten überleben. Ich mache es also eher um des Spaßes willen. Wie
       eigentlich das meiste.
       
       Gehst du manchmal noch selber ins Puppentheater? 
       
       Schon, wenn Freunde oder Kollegen von mir spielen. Oder auch bei Festivals
       wie dem Puppentheaterfestival im FEZ. Aber zu mehr fehlt mir die Zeit.
       
       Was machst du eigentlich, wenn du mal mitten in der Vorstellung Pipi machen
       musst? 
       
       Ich geh vorher. Außerdem schwitze ich während der Vorführung dermaßen
       stark, dass ich wahrscheinlich so oder so nicht aufs Klo müsste.
       
       Warum denn? 
       
       Puppenspielen ist eine Hochleistung, ein Knochenjob. Man geht eine halbe
       Stunde mit dem Arm nach oben. Heb mal deine Arme hoch und du wirst sehen,
       dass du das wahrscheinlich fünf Minuten lang schaffst. Und du hältst dabei
       keine Puppen hoch, die bis zu drei oder vier Kilo wiegen können.
       
       Hinterlässt so ein Knochenjob Spuren bei Ihnen? 
       
       Drei durchgeschwitzte T-Shirts pro Vorstellung. Und ich bilde Muskeln aus,
       die es eigentlich gar nicht gibt, die kein normaler Mensch hat. (Zieht
       seine Ärmel hoch und lässt die Muskeln seiner Unterarme spielen.) Da habe
       ich wohl so eine Art verrutschten Bizeps. Was andere Leute oben haben, habe
       ich unten. (lacht) 
       
       Gehen Ihnen diese Kinder nicht manchmal auch auf die Nerven? (großes
       Gekicher) 
       
       Pfff. Eigentlich nicht. Na ja. Manchmal, in der Weihnachtszeit, wenn ich 30
       Vorstellungen spiele, da kannst du manchmal einfach nicht mehr. Da macht
       man schon mal vor der Vorstellung kurz: Boah. Jetzt kommen sie schon
       wieder. Jetzt wird es gleich wieder laut.
       
       Und dann? 
       
       In dem Moment, in dem ich hinter der Bühne verschwinde und mit dem Kasper
       den ersten Kontakt zu den Kindern aufnehme, da ist die Vorfreude aufs
       Spielen immer sofort wieder da.
       
       Also nie schlechte Laune? 
       
       Ich glaube nicht, dass mich je einer mit mieser Laune mit dem Applaus nach
       dem Spiel hat rauskommen sehen. Die Kinder machen mich glücklich. Auch wenn
       es manchmal ganz schön anstrengend ist.
       
       14 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mei Messmer
 (DIR) Susanne Messmer
       
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