# taz.de -- Jahrestag der Bombardierung: Der Himmel über Dresden
       
       > Vor 70 Jahren wurde Dresden von britischen Bombern zerstört. In einer
       > kühlen Rede plädiert Bundespräsident Gauck für einfühlendes Erinnern.
       
 (IMG) Bild: Dresden im Morgennebel: Nur die Spitzen vom Hausmannsturm des Schlosses und der katholischen Hofkirche ragen heraus.
       
       DRESDEN taz | Es ist kalt und klar an diesem 13. Februar 2015 in Dresden.
       Keine Wolke am Himmel. So wie vor 70 Jahren, als alliierte Bombergeschwader
       die Innenstadt zerstörten. Das Wetter war ein Grund, warum die Zerstörung
       so umfassend war. Der Blick der Bomberpiloten auf das Ziel war frei. Zudem
       hatte Dresden keine Flugabwehr. Die Nazis hielten einen Angriff für
       unwahrscheinlich.
       
       Die Bombenattacken auf Hamburg, auf Darmstadt oder auch auf Swinemünde
       hatten noch grauenhaftere Auswirkungen als jene in Dresden. Doch in keiner
       anderen Stadt ist das Bewusstsein an die Zerstörung so gegenwärtig wie
       hier. Eine Menschenkette umringt die Altstadt, Friedensgebete werden
       gehalten, Mahngänge absolviert, Vorträge referiert. Dresden ist zur
       Metapher für den Bombenkrieg geworden, Symbol einer Opferstadt. 25.000
       Zivilisten fielen den Bomben vor 70 Jahren zum Opfer. Dass nahezu die
       Hälfte der 125.000 Bomberpiloten der Royal Air Force über Deutschland
       starben, die meisten kaum älter als 20 Jahre, ist weniger bekannt.
       
       Monica Petzal (61) steht in einem Nebenraum der Dresdner Kreuzkirche. Sie
       ist Britin, Künstlerin, graue Haare, exakte Frisur. Ein Dutzend
       Interessierte sind gekommen, um sich ihre Lithografien anzuschauen. Die
       Bilder collagieren Familiendokumente, etwa das Zeugnis ihrer Mutter 1932 am
       Staatlichen Gymnasium Dresden-Plauen („Betragen: 1“) mit Stadtansichten,
       Privates mit Historischen. Man sieht technische Baupläne jener
       Lancaster-Bomber, von denen 796 das barocke Stadtensemble auslöschten. Ihre
       Mutter Lore Isakovitz floh 1936 vor den Nazis nach England. Der Vater
       folgte knapp vor Kriegsausbruch, seine Familie wurde von den Nazis
       ermordet.
       
       „Meine Eltern“ sagt Petzal, „waren damals Asylbewerber“, vertrieben aus
       einem Land, in dem sie sich, wie viele Juden, „deutscher als die Deutschen“
       gefühlt hatten. Um so erschreckender muteten die fremdenfeindlichen
       Pegida-Demonstrationen an. „Die Mehrheit der Dresdner sind für eine
       multikulturelle, tolerante Gesellschaft“, sagt Petzal.
       
       ## Wiederbelebung des Grauens
       
       Dumpfes Grollen, schlaglichthelle Blitze, Ruinen mit bizarren Konturen,
       Leichen auf zertrümmerten Straßen. So sieht der akribisch nach Fotos
       rekonstruierte Untergang in der 360-Grad-Panorama-Installation von Yadegar
       Asisi aus. Das Rundumbild „Dresden 1945“ ist 30 Meter hoch, mehr als 100
       Meter lang. Wenn man im Panometer, einem früheren Gasometer, eine Empore
       besteigt, hat man einen Blick auf das gewaltige Rundumbild, die Silhouette
       des Desasters.
       
       Es imitiert den Blick vom Turm des Neuen Rathauses am Rand der Innenstadt
       am 15. Februar 1945. Diese naturalistische Wiederbelebung des Grauens ist
       technisch raffiniert gemachter Budenzauber, laut, grell und direkt. Beim
       Dresdner Publikum ist diese Art Überwältigungsästhetik beliebt, vor der
       Kasse gibt es auch am Donnerstagvormittag Warteschlangen. Der faszinierte
       Blick auf das Martyrium der Stadt hat einen Opfernarzissmus konserviert,
       der wiederum Humus für Pegida ist. Ist die allgegenwärtige
       Erinnerungskultur in Sachen 13. Februar ein Beispiel dafür, dass, wie
       Nietzsche schrieb, „ein Übermaß an Historie dem Lebendigen schadet“?
       
       Am Nachmittag spricht Bundespräsident Gauck in der Frauenkirche. Ein
       seltsam cleaner, aseptischer Bau, auch zehn Jahre nach Wiederrichtung noch.
       Architekturkritiker bekämpften diese Rekonstruktion einst als
       Hollywood-Kitsch, als Auslöschung der authentischen Ruine durch ein
       perfektes Trugbild – gewissermaßen als Stein gewordenes Pendant des
       360-Grad-Panoramas. Passé, vergangen. 2015 ist die Frauenkirche Symbol für
       Wiederaufbau und neuen Bürgerstolz, auch für Versöhnung. Das Geld für den
       Bau kam auch aus England. Der ostdeutsche Bürgerpräsident in der
       ostdeutschen Bürgerkirche. Und jetzt?
       
       Es ist eine ausgewogene, fast diplomatische Rede, eher mit Frage- als
       Ausrufezeichen. So als wäre das Thema deutsche Opfer noch immer nicht
       ausreichend lange im Abklingbecken der Historisierung gewesen. Kein Wort zu
       Pegida, kein Urteil, ob der Bombenkrieg moralisch zu rechtfertigen war.
       „Wir werden niemals die Opfer deutscher Kriegsführung vergessen, wenn wir
       hier und heute der deutschen Opfer gedenken“, so Gauck. Gleich als Erstes
       zitiert er aus dem Tagebuch von Victor Klemperer, dem seit 1933 von den
       Nazis verfolgten jüdischen Romanisten. „Die Bomben fielen, die Häuser
       stürzten, die brennenden Balken krachten auf arische und nichtarische
       Köpfe, und derselbe Feuersturm riss Jud und Christ in den Tod; wen aber von
       den etwa 70 Sternträgern diese Nacht verschonte, dem bedeutete sie
       Errettung, denn im allgemeinen Chaos konnte er der Gestapo entkommen.“ Die
       Bomben machten nicht nur die barocke Stadt, sondern auch die
       Gestapozentrale dem Erdboden gleich. Klemperer überlebte – wegen der
       britischen Bomben.
       
       Es ist eine eher kühle Rede, die inneren Abstand hält. Gauck verzichtet auf
       Schreckensbeschreibungen und das Pathos der Unmittelbarkeit. Das ist
       ungewöhnlich. Denn Gauck, Pastor und Gefühlsmensch, versteht sich auf
       rhetorische Knalleffekte, sprechende Bilder, suggestive Formeln. Er kann
       ein beeindruckender Redner sein, nicht zuletzt beeindruckt von sich selbst.
       
       Doch dies ist ein Plädoyer für eine reflexive Erinnerung. „Ein Erinnern,
       das ausschließlich auf die Schuld der anderen verweist, bringt Völker
       gegeneinander auf, statt sie im friedlichen Dialog einander anzunähern“, so
       Gauck. Wer hingegen „die Fixierung auf das eigene Schicksal überwindet,
       erfährt einen Akt der Selbstbefreiung.“
       
       Es gibt, so gesehen, zwei Arten von kollektivem Gedächtnis: ein
       erwachsenes, gereiftes, gelassenes bundesrepublikanischer Provenienz, die
       das Humanum, die „Würde und Fähigkeit zum Mitgefühl“ im Blick hat. Und es
       gibt eine auf Revanche und Opferkonkurrenz geeichte Erinnerung, die als
       Waffe nutzbar ist.
       
       ## Kein Schlüsselsatz
       
       Eine große Rede? Nein, das nicht. Es gibt keinen Schlüsselsatz, der für
       Geschichtsbücher in Betracht käme. Dafür eine dumme Polemik, Echo eines
       platten Antitotalitarismus. Die Dresdener Menschenkette wehre sich, so
       Gauck, gegen rechts und links, gegen „den Geist eines übersteigerten oder
       umgekehrt eines negativen Nationalismus“. Also Nazis gleich Antifa. So
       sieht es aus, wenn man im Ohrensessel sitzt.
       
       Doch zentral ist das Nein zur Opferkonkurrenz. Das ist nicht banal.
       Erinnerungspolitisch ist Europa noch recht geteilt – in West, wo der
       Holocaust Maß aller Dinge ist, und Ost, wo sich Stalinismusopfer mitunter
       als zweitklassig fühlen.
       
       Nur die Einfühlung in den anderen hilft, so das Credo dieser Rede. Es ist
       seltsam allgemein, fast schwebend formuliert. Aber es trifft den Kern.
       Vielleicht den von Gaucks eigener Präsidentschaft.
       
       Joachim Gauck ist 75 Jahre. Die NS-Zeit und deren Folgen sind nichts
       Abstraktes, völlig Versunkenes für ihn. Die Eltern waren NSDAP-Mitglieder,
       ein prägender Onkel war bis Mitte der 30er Jahre ein überzeugter SA-Mann.
       Der Vater, geboren in Dresden, wurde 1951 von Sowjets verschleppt und
       malträtiert. Die Russen waren für Gauck nicht nur die Kriegssieger, die die
       Unfreiheit in der DDR garantierten, sondern vielmehr die Entführer des
       Vaters. Machen diese biografischen Prägungen befangen oder souverän? Eng
       oder lebensklug?
       
       Am 1. September 2014, zum 75. Jahrestag des Überfalls auf Polen, hat Gauck
       auf der Westerplatte Putin scharf angriffen. Osteuropäer dürfen das – ein
       deutscher Bundespräsident muss hingegen auf dem Radar haben, welche
       Verheerungen die Wehrmacht in Russland angerichtet hat. Das zu übersehen
       war ein gravierender Fehler, gerade an diesem Datum.
       
       Allerdings scheint der Präsident lernfähig. Am 8. Mai will er an einer
       sowjetischen Kriegsgräberstätte der Rotarmisten gedenken, die im Kampf
       gegen Nazideutschland starben. Vielleicht ist das der Ort für einen Text,
       der ein neues Fenster aufmacht, eher als Dresden. Das Nein zur
       Opferkonkurrenz und das Plädoyer, sich selbst im Feind von gestern zu
       erkennen, in Dresden hat etwas Hintersinniges. Es ist im besten Fall ja
       nicht nur an die Zuhörer in der Frauenkirche adressiert. Sondern auch an
       Gauck selbst.
       
       13 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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