# taz.de -- Debatte Kunst und Kapital: Der Arschloch-Faktor in der Kunst
       
       > Künstler und Geldverdienen. Das ist eine schwierige Mischung. Zumal die
       > Kluft zwischen den reichen und den armen Künstlern größer wird.
       
 (IMG) Bild: Große Kunst oder realistischer Kitsch?
       
       Es gab Zeiten, da sollte sich der Künstler gefälligst dafür entschuldigen,
       dass er für seine Arbeit auch Geld nahm. In den siebziger Jahren musste
       daher sehr dringlich eine Entgeistigung der Kunst-Praxis vorgenommen
       werden, das Recht des Künstlers darauf, für seine Arbeit so entlohnt zu
       werden, dass er oder sie Miete, Essen und Pampers für die Kinder bezahlen
       konnte, musste eingefordert werden.
       
       Es galt, einen Mythos zu knacken, und der Schriftsteller Rolv Heuer, schon
       wieder so ein zu Unrecht fast Vergessener, formulierte es in seinem Buch
       „Genie und Reichtum“ so: „Der Dank der Welt füllt keinen Magen. Warum
       sollte der Nachruhm in der Nachwelt nicht einen Vorschuss zu Lebzeiten
       rechtfertigen? Jedes Gehirn hängt an einem Darm; wer die Welt verändert,
       muss kleine Stücke von ihr aufessen. Trotzdem scheinen Geld und Geist sich
       abzustoßen. Geist ist öffentlich. Geld ist privat. Geist ist Anzug, Geld
       Unterwäsche. Geist duftet, Geld stinkt.“
       
       Es war ein schönes Stück Arbeit, in der Tat, die Maler, Musiker,
       Schriftsteller und Filmer aus diesem romantisch-idealistischen Kokon zu
       befreien. Doch fatalerweise schlug das Pendel nun auf die andere Seite aus.
       Es schien nun so selbstverständlich wie vordem das Bild des entbehrenden
       und in seiner Arbeit vergeistigten Künstlers das des gierigen,
       manipulativen und sich selbst vermarktenden Künstlers. „Gute Kunst“ schien
       untrennbar mit dem ökonomischen Geschick ihres Produzenten verknüpft.
       
       Rolv Heuers Anmerkungen lassen sich ein halbes Jahrhundert später samt und
       sonders andersherum lesen, beginnend mit „Der gefüllte Magen des Künstlers
       bedeutet nicht, dass die Welt seine Arbeit dankbar angenommen hätte“, und
       endend mit „Der Geruch des Gelds übertönt den Gestank der künstlerischen
       Arbeit“.
       
       ## Der Opfermythos
       
       Glücklicherweise bin ich mit genügend Künstlern und Künstlerinnen
       befreundet, um in der Zeit des Neoliberalismus ein Gegenpostulat zum
       vorherigen „Der Künstler muss kein Heiliger sein“ aufstellen zu können. Es
       lautet: Es ist nicht zwingend vorgegeben, dass ein Mensch, der gute Kunst
       macht, als Person und als ökonomisches Subjekt ein Arschloch sein muss.
       
       Dass der Arschloch-Quotient in der Kunst-Szene so groß ist, liegt weder an
       der künstlerischen Arbeit selber noch etwa in der Natur des Kunst-Machens.
       Dieser Arschloch-Faktor ist eine direkte Funktion der politischen Ökonomie
       der Kunst derzeit.
       
       Dass die Künstler von ihrem romantischen Opfermythos freigesprochen wurden
       (der freilich in einer munter karnevalisierten Form weiter spukt) und sie
       sich als ökonomisch autonome Wesen emanzipierten, war eine notwendige
       Befreiung, entpuppte sich aber auch als tückische Falle. Das „verkannte
       Genie“, der Außenseiterkünstler, die Produktion eines latenten
       ästhetisch-politischen Potenzials, das auf seinen Ausbruch wartet, auch
       wenn sein Schöpfer, seine Schöpferin bereits tot sind, all diese Rollen und
       Mythen einer zweiten Aufhebung der Kunst verschwanden. Wer ein großer
       Künstler, was große Kunst ist, entscheidet hier und heute der Markt.
       
       ## Malerfürst und Großkomponist
       
       Das künstlerische Genie, das auf gar keinen Fall reich sein durfte, war der
       Parallelmythos zum „Malerfürsten“, „Großschriftsteller“ oder
       „Meisterkomponisten“, welche sich notwendigerweise zu Lebzeiten
       architektonische Denkmäler setzten.
       
       Die zwei Aggregatzustände des Künstlers in der bürgerlich-kapitalistischen
       Welt haben sich weiter differenziert und transformiert: Der
       Künstler-Unternehmer, als welchen sich etwa Damien Hirst sieht (man kann
       von ihm halten, was man will, er macht uns jedenfalls nichts vor), sieht
       das Reichwerden nicht als Lohn für seine Kunst, sondern als einen Teil
       davon. Umgekehrt muss der Künstler-Aktivist, dem an einer Antwort der
       Gesellschaft, nicht des Marktes auf seine Kunst gelegen ist, schon bei der
       allernotwendigsten Ökonomisierung seiner Arbeit mit einem
       Authentizitätsverlust ringen.
       
       Könnte man mit einer solchen Spaltung der Kunst nicht prächtig leben? Jeder
       kriegt, was er verdient, was er braucht, und der Mythos vom armen Künstler,
       dem nur der Nachruhm bleibt, hat seine Dringlichkeit verloren, weil es nun
       eben nicht mehr allein einzelne Menschen, sondern ganze Teilbereiche der
       Künste betrifft. Die andere Seite der Kunst-Booms in bestimmten
       kulturell-ökonomischen Regionen ist nun mal eine Verelendung auf der
       anderen Seite. Der Künstler der Zukunft ist entweder mittelständischer
       Scheinselbstständiger, immer im Zustand des Halbverdauten durch die
       Kapitalisierung seines Arbeitsfeldes, oder Freizeitaktivist mit hohem
       Risiko.
       
       ## Wiedergeburt der Kunst
       
       Die ökonomische Emanzipation der Künstler, die sich bei näherem Hinsehen
       als nicht viel mehr als eine neuerliche Privatisierung der Gewinne und
       Sozialisierung der Verluste herausstellte, nur dass es nun nicht nur um
       ökonomische, sondern auch um kulturelle Verluste geht, hat das Gegenteil
       von dem erreicht, was man sich erhoffte: Die Kluft zwischen den reichen und
       den armen Künstlern, die Kluft zwischen Markt- und Gesellschaftskunst, ist
       nur größer geworden.
       
       Die Spaltung der Kunst in einen marktkonformen und einen gesellschaftlich
       relevanten Teil, kann daher keine wirkliche Lösung sein. Vermeidbar ist sie
       deswegen aber vermutlich nicht. Denn eine Zukunft hat weder die ökonomisch
       aufgeblähte Marktkunst noch die entökonomisierte und exkludierte
       aktivistische Kunst. Vielmehr sieht man zwei entgegengesetzten Formen des
       Verschwindens zu.
       
       Die nächste soziale Wiedergeburt der Kunst muss also woanders stattfinden.
       Da eine solche nur jenseits der neoliberalen Umklammerung vorstellbar ist,
       bleibt den Künstlerinnen und Künstlern wohl wiederum nur die Rückkehr zu
       dem moralisch-politischen Status, den man eigentlich gern durch die
       Entmythologisierung überwunden hätte. Man kommt ums Farbe-Bekennen nicht
       mehr herum. Und noch einen Heuer-Satz muss man umkehren. Geld ist jetzt der
       Anzug, Geist die Unterwäsche. Die muss dringend mal gewaschen werden. Wenn
       es sein muss, auch öffentlich.
       
       29 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Seeßlen
       
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