# taz.de -- Früh gestorbene Künstler in Baden-Baden: Der Tod sichert das Überleben
> Warum wir Künstler lieben, die früh sterben. Die Ausstellung „Nach dem
> frühen Tod“ sensibilisiert für die Bedingungen der Künstlerrezeption.
(IMG) Bild: Selbstdarstellerin: Frida Kahlo.
Enough, genug. Ein einzelnes Wort schleuderte Michel Majerus seinem
Publikum entgegen, in großen Lettern, quer über die Leinwand. Womit ist es
genug? Mit dem Kunstmarkt, der Malerei, dem Zwang zum Motiv? Das Bild ist
nahezu leer, ein großes Nichts saugt den Blick in die Tiefe. Ein
unvollendetes Werk? Die grünen Buchstaben sind nur teilweise schwarz
umrandet, als habe der Künstler mittendrin aufhören müssen. Drei Jahre
später, 2002, wurde der Wahlberliner im Alter von 35 Jahren Opfer eines
Flugzeugabsturzes. Wer kann sich da der Assoziation entziehen, es handle
sich bei dem Bild um eine Vorahnung seines Schicksals?
Der 1967 in Luxemburg geborene Majerus hatte sich Ende der 1990er Jahre mit
seinen virtuos gesampelten Bildern bereits in Fachkreisen durchgesetzt.
Nach seinem Tod jedoch ging es dann Schlag auf Schlag, sein Werk erhielt
museale Weihen. Das Joanneum in Graz zeigte die erste Retrospektive,
Einzelausstellungen im Stedelijk Museum Amsterdam, der Kestnergesellschaft
Hannover und den Deichtorhallen Hamburg folgten.
Solche posthume Anerkennung zu untersuchen, hat sich die Kunsthalle
Baden-Baden mit ihrer aktuellen Schau auf die Fahnen geschrieben. Sie will
„das Bewusstsein für eine kritische Auseinandersetzung mit Werken jung
verstorbener Künstler schärfen und Steuerungsinstrumente für den Erfolg von
Werk und Künstler offenlegen“, wie Kurator Hendrik Büntge in seinem
Katalog-Essay verspricht.
Steuerungsinstrumente? Ja, denn der Kunstmarkt wirft sich begierig auf die
Unglücklichen, so sie vor ihrem Ableben bereits Schlagzeilen gemacht haben.
Der Kunstökonom Heinrich Ursprung wies nach, dass die Preise der Werke von
Keith Haring, der an Aids starb, und Basquiat, dem sein Drogenkonsum zum
Verhängnis wurde, infolge ihres Ablebens in die Höhe schossen.
Aber nicht nur die Wertsteigerung der Bilder denunziert die Unglücklichen.
Auch die Interpretation ihres Schaffens hakt sich an ihrer tragischen
Geschichte fest. Etwa schon bei Vincent van Gogh. Ein eher zweitrangiges
Blumenstillleben des Publikumslieblings steht für die Massenhysterie, die
Ausstellungen des psychisch angeschlagenen Künstlers noch heute auslösen.
In einer Vitrine liegen Merchandising-Artikel, deren Geschmacklosigkeit das
gnadenlose Ausschlachten seines Schicksals belegen.
## Das Ohr verschwindet
Als besonders perfides Beispiel soll eine Tasse mit einem Selbstbildnis Van
Goghs nicht unerwähnt bleiben: Füllt man sie mit heißem Kaffee,
verschwindet das Ohr des Künstlers! Die Legende, dass er sich nach einem
Streit mit Gauguin einen Teil seines Ohrs abschnitt, stülpt sich über sein
Werk. Solch abstrusen Ruhm hatte sich der zu Lebzeiten unter mangelnder
Anerkennung leidende Niederländer wohl kaum erhofft.
Doch verweilt die Ausstellung nicht nur bei extrovertierten Künstlern, die
wie Martin Kippenberger oder Frida Kahlo zur Selbstinszenierung neigten und
damit selbst der Mythenbildung Vorschub leisteten. Sie zeigt auch, dass
Erfolg vom Zufall abhängt. Warum wurde August Macke berühmt, Hermann
Stenner aber nicht. Beide starben im Gemetzel des Ersten Weltkriegs. Leider
ist Stenner in Baden-Baden nur mit düsteren Blumenstillleben auf schwarzem
Grund vertreten, die wenig von seinem Talent offenbaren. Auch sind von
Absalon, Eva Hesse und Bas Jan Ader zu wenig oder nicht die besten Arbeiten
zu sehen. Ein Museum hätte sicher bessere Exponate an Land gezogen, doch
gebührt dem Direktor der Kunsthalle Johan Holten Respekt, die Bedingungen
der Vermarktung überhaupt zum Thema gemacht zu haben.
Doch es geht bei der Ausstellung nicht nur um die finanziellen Auswirkungen
des frühen Todes, sondern überhaupt um den Umgang mit dem Werk. Die
subversiven Blumentopf-Sprengungen Annette Wehrmanns aus den neunziger
Jahren wären selbst Kennern verborgen geblieben, hätten sich nicht Freunde
und Kollegen ihres Nachlasses angenommen.
Auch Galeristen übernehmen diese Aufgabe, wie etwa Gisela Kapitän, die sich
um das Vermächtnis Martin Kippenbergers kümmert. Die Angehörigen, so
Susanne Küper im Katalog, seien in der Regel dem Sichten und Archivieren,
aber auch den Avancen des Kunstmarktes nicht gewachsen. Kluge
Nachlass-Politik komme der Reputation eines Werks zugute. Küper ist für den
Nachlass von Majerus zuständig. Sie war mit dem Künstler befreundet und
meint, dass ein Werk auch „wachsen kann, wenn der Künstler selbst nicht
mehr lebt“.
## Zu radikal, um wahr zu sein
„Only the good die young“, dass die Guten jung sterben müssen, dieser
Mythos, der Rocklegenden wie Janis Joplin oder Jim Morrison angehängt
wurde, ist zu radikal, um wahr zu sein. Ana Mendieta war 20 Jahre alt, als
sie ihr Gesicht für einen ihrer „bodyprints“ an einer Glasscheibe
plattdrückte, also deformierte und damit das herrschende Frauenbild
attackierte. Sie wird in unserer Erinnerung immer jung und radikal bleiben.
Denn sie starb im Alter von 37 Jahren unter ungeklärten Umständen bei einem
Fenstersturz. Ihr Ehemann, der Künstler Carl Andre, musste sich vor Gericht
verantworten.
Sind es nun die spektakulären Umstände ihres Todes, die dazu führten, dass
ihr Werk nicht in Vergessenheit geriet? Liegt es an der professionellen
Arbeit der New Yorker Galerie Lelong, die ihren Nachlass betreut? Oder hat
sich einfach die Qualität ihrer feministischen Performances durchgesetzt?
Beim Streifzug durch die Baden-Badener Galerie der Frühverstorbenen werden
solche Fragen nur angerissen. Dennoch sensibilisiert die Ausstellung für
die Bedingungen der Rezeption eines Künstlers.
9 Apr 2015
## AUTOREN
(DIR) Carmela Thiele
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