# taz.de -- Zwischenbilanz Tim Renner: Pop im Amt
       
       > Seit einem Jahr ist Tim Renner Kulturstaatssekretär und stark in der
       > Kritik. Dabei hat der Mann aus der Popkultur durchaus was drauf.
       
 (IMG) Bild: Nach einem Jahr im Amt ist Renner angefressen.
       
       Tim Renner wirkt bei den Begegnungen im Abgeordnetenhaus derzeit etwas
       aufgekratzter als sonst. Seine Ausführungen zu diesem und jenem sind länger
       als üblich, als wollte er sich rechtfertigen. Er unterstreicht seine
       Argumente mit Betonungen wie „das können Sie mir glauben“. Widerspricht man
       ihm, lächelt er das weg – was als Verlegenheit angesehen werden könnte.
       Souveränität sieht anders aus.
       
       Nach einem Jahr im Amt ist der Kulturstaatssekretär sichtlich angefressen.
       Klar ist, dass die weiteren eineinhalb Jahre für ihn anders laufen müssen
       als diese Tage und Wochen. In denen hatte Claus Peymann, mächtiger
       Theaterdirektor am Berliner Ensemble (BE), „den Renner“ zum Abschuss
       freigegeben.
       
       Erbost über das Lavieren der Kulturverwaltung bei der zukünftigen Besetzung
       der Volksbühnen-Spitze mit dem Kurator Chris Dercon (London) – am Freitag
       verkündet (siehe Seite 16) – wütete Peymann schon Anfang April: „Der Renner
       muss weg.“ Dieser sei die „größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts“ in der
       Kulturpolitik. Der smarte SPD-Politiker (50) plane, die Volksbühne nach dem
       Abschied Frank Castorfs 2017 zu einem „Event-Schuppen“ à la Festspielhaus
       in der Schaperstraße umzufunktionieren, maulte der Theaterdino (77) vom BE.
       
       Dass Peymann selbst „den eigentlichen Event-Schuppen in der Berliner
       Theaterszene betreibt“, wie Matthias Lilienthal sagte, ging da fast unter.
       Der Intendant an den Münchner Kammerspielen und vorherige Leiter am
       Berliner HAU kam Renner damit zu Hilfe. Aber sonst blieb der Gescholtene
       ziemlich allein im Kampf gegen die alte Theaterriege Berlins. Als auch noch
       Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) Berlin zur Raison bei der
       möglichen Umstrukturierung seiner Bühnenlandschaft rief und sich Renners
       Chef Michael Müller, Regierender Bürgermeister und Kultursenator, in der
       Causa Peymann erst mal fast wegduckte, sah es ganz schwarz aus für den
       Staatssekretär.
       
       Ist aus dem „Glücksfall“ Tim Renner, wie dessen Berufung noch in der Ära
       Klaus Wowereit von der Kulturszene gefeiert wurde und der am 28. April 2015
       ein Jahr an der Spitze der Kulturverwaltung steht, ein „Schadensfall“ für
       die Berliner Kultur geworden?
       
       Wenn man hinsichtlich eines üblichen Rollenverständnisses, was
       Kulturpolitik in der Hauptstadt zu leisten hat, urteilt, scheint Renner
       wohl oder übel eine Fehlbesetzung. Die Opposition aus Grünen, Linken und
       Piraten, aber ebenso Mitglieder der SPD-Fraktion beklagen zu Recht „große
       und grobe Fehler in der Kulturpolitik“, wie die kulturpolitische Sprecherin
       der Grünen im Abgeordnetenhaus Sabine Bangert konstatiert. Renner habe bei
       manchen kulturpolitischen Fragen „ungeschickt agiert“, aber vor allem
       „bisher nicht geliefert“. Es fehle der kleine und mehr noch der große Plan.
       
       Was stimmt: Auskunft darüber, wie die Theaterlandschaft samt das Profil der
       Volksbühne in fünf Jahren einmal aussehen werde, verweigert Renner – den
       öffentlichen, kritischen Dialog pflegt er sowieso nicht. Einen neuen
       Standort für die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) kann er nicht
       vorweisen. Die Idee, den Tempelhofer Flughafen als möglichen Kulturstandort
       aufzubauen, verdämmert. Die Neuaufstellung der modernen Tanzszene inklusive
       Radialsystem lässt auf sich warten, ebenso ein Atelierprogramm für
       Künstler.
       
       „Ganz übel“, meint Bangert, sieht es bei der kommenden
       Hauptstadtkulturfinanzierung aus, die Berlin mit dem Bund 2017 neu
       aushandeln muss. „Das alles ist offen“, findet die grüne Kulturfrau. Jetzt
       blüht noch Ärger bei der Standortfrage des neuen Museums der Moderne. Und
       unbequem fragen wird auch der Untersuchungsausschuss Staatsoper, weil dort
       die Sanierungskosten explodiert sind. Renner wird vor den Ausschuss müssen.
       
       Alte Hasen managen solche Probleme besser, „mit links“, wie man sagt.
       Renner jedoch ist kein Kulturpolitiker alter Prägung, sondern das
       Gegenteil. Er kommt vom Punk, vom Underground, aus der Szene, der
       Musikbranche – nicht aus der Verwaltung oder von der Oper wie sein
       Vorgänger André Schmitz (SPD), der wegen Steuerbetrug 2014 gehen musste.
       
       Noch als Chef der Universal Music GmbH hat Renner streitbare Bücher über
       den digitalen Wandel geschrieben und den gängigen Kulturbegriff zu
       entzaubern versucht. Renner fährt manchmal auf dem Rad ins Büro, trägt
       nicht Schlips und Kragen, kommt auf Veranstaltungen zu spät, ohne sich zu
       entschuldigen, oder postet so manche private News auf Facebook. Er passt
       nicht ins Kulturpolitikklischee. „Kultur ist alles zwischen Barenboim und
       Berghain, Radialsystem und Rammstein“, sagt Renner. Für elitäre Berliner
       Kulturschwergewichte klingt das beängstigend geschichtslos, naiv und wie
       ein Sammelsurium.
       
       ## Anderer Denkansatz
       
       Für Renner dagegen bedeutet das einen anderen Ansatz, den Kulturbetrieb zu
       denken. Wenn der Mann aus der Popkultur seine vordenkerischen Stärken
       einmal ausspielt, entstehen daraus durchaus Chancen sowohl für ihn selbst
       als auch für Berlin: Wie bei dem Plan für ein Atelierprogramm für 2.000
       Künstler und bei der Erstellung eines Kulturkatasters, wie bei der Berufung
       Oliver Reeses als Direktor für das BE ab 2017, wie bei der Rettung des
       Puppentheaters Hans Wurst Nachfahren, schließlich wie bei der Idee zur
       Digitalisierung aller Bibliotheksbestände, Archive oder der
       Museumssammlungen. „Ich glaube, ich und die Stadt, wir beide haben
       miteinander zu tun. Nirgendwo sonst gibt es so gute Bedingungen, Neues zu
       entwickeln, Kunst in einem Spektrum von Gedenkkultur bis Digitalisierung zu
       denken“, meint Renner. „Berlins Stärke besteht darin, Sachen neu zu denken,
       Sachen zu improvisieren, Sachen aus Zwischennutzungen heraus zu machen.“
       
       Das klingt nach Aufbruch und wäre für die augenblicklich am innovativen
       Limit agierende Theaterlandschaft in der Mitte Berlins nicht nur schädlich
       oder gefährlich, wie Peymann fürchtet. Der Umbau der nun schon von einer
       ganzen Theatergeneration besetzten Häuser mittels neuer „Leitungssysteme“
       und mit inhaltlichen „Brückenschlägen hin zur Lebenswirklichkeit“, etwa
       durch die geplante Bespielung der Tempelhof-Hangars – was ist daran
       gefährlich?
       
       Dass man dem Kulturbegriff aus dem 19. Jahrhundert an der Spree nicht
       weiter frönen will, signalisierte jüngst die Besetzung Neil MacGregors vom
       British Museum. Als neuer Intendant soll er ins Humboldt-Forum frischen,
       wilden Ausstellungs- und Performance-Wind bringen. Das war ein guter Zug
       der Bundesministerin für Kultur.
       
       Berlin stünde ein Gleiches gut zu Gesicht, rät Lilienthal mit Blick auf
       Renner und die Volksbühne. Das mögliche Konzept von der „Durchmischung von
       bildender Kunstwelt und Theaterwelt“, das Renner mit den Dercon-Schachzug
       im Blick für das Haus hat, bedeute eine Herausforderung im positiven Sinne.
       „Wechsel könnten an ein paar Theatern in Berlin – ehrlich gesagt – nicht so
       sehr schaden.“ Erinnern wir uns: Vor einem Vierteljahrhundert wurden fast
       alle Bühnen neu vergeben – an junge Wilde und Theaterrevolutionäre.
       
       War das falsch? Wohl kaum.
       
       25 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rolf Lautenschläger
       
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