# taz.de -- Nordkorea-Satire „The Interview“: Bombe im Rektum
       
       > Der Film „The Interview“ ist eigentlich eine harmlos-derbe Jungskomödie.
       > Ginge es nicht um den geplanten Mord an Diktator Kim Jong Un.
       
 (IMG) Bild: Sook (Diana Bang), Aaron (Seth Rogan) und Dave (James Franco) mit Hündchen in „The Interview“.
       
       Eine merkwürdige Woche muss hinter Hollywood liegen, wenn David Carr, Autor
       der vielbeachteten New York Times-Kolumne [1][„The Media Equation“],
       US-Präsident Obama in beschwörenden Worten auffordert, das „social viewing
       event of the century“ einzuberufen. Gegenstand der
       patriotisch-solidarischen Sichtung soll ein Film mit gewissen
       Publikationsproblemen sein.
       
       Genau genommen handelt es sich um eine offensiv debile (und durchaus smart
       gemachte) Jungskomödie, die damit beginnt, dass Eminem, dem manche Kritiker
       die Verbreitung grenzhomophoben Liedguts nachsagen, mit ausdrucksloser
       Miene sein schwules Coming Out zelebriert („I always thought it's
       obvious“). Gefolgt von Matthew McConaugheys kolportierter Liebesnacht mit
       einer Ziege und schließlich vom Auftritt des ewig jungen
       Schauspielschönlings Rob Lowe, der zugibt, seine geheimratseckenlose
       Haarpracht sei in Wahrheit das Produkt einer ziemlich perfekt sitzenden
       Perücke. Was sich darunter befindet, soviel darf verraten werden, ist mit
       Horror vacui noch freundlich diagnostiziert.
       
       Zu einem Fall für den unter anderem mit ISIS, Putin und republikanischen
       Kongressmehrheiten eigentlich gut beschäftigten Obama wurde besagter Film,
       der „The Interview“ heißt und das Produkt eines Box-Office-erprobten
       Komödientrios (Seth Rogen, James Franco, Evan Goldberg) ist. Denn darin
       geht es auf einer eher austauschbaren Plotebene um das Projekt, den in der
       globalen Popkultur quasi stündlich irgendwo persiflierten nordkoreanischen
       Diktator Kim Jong Un dauerhaft unschädlich zu machen. Was ja erstmal okay
       ist.
       
       Wichtiger als die moralische Reflexion des Diktatorenmords und etwaige
       Strategien des Regimewechsels sind dem Film aber genreübliche Routinen wie
       Analslapstick (Bombe im Rektum), stapelweise dumme Sprüche und vor allem
       das Abfeiern homosozialer Intimität unter verzweifelt auf heteronormativen
       Ich-Grenzen insistierenden „best buddies“.
       
       ## Absurde Diskrepanzen
       
       Mit anderen Worten: Die nordkoreanischen Cyberhacker, die das produzierende
       Studio Sony erst durch Leaks firmeninterner Dokumente und schließlich durch
       angedrohte Terroraktionen in die Selbstzensur trieben, sind auf eine recht
       handelsübliche Bromance reingefallen. Die interessiert sich eigentlich
       deutlich weniger für die kleptokratische nordkoreanische Elite als für die
       Frage, welcher Katy-Perry-Song eigentlich am besten zu Szenen sentimentaler
       Verbrüderung junger Männer passt, die unter einem ausgewachsenen
       Vaterkomplex leiden (es ist natürlich „Firework“).
       
       Nicht nur die verwirrte Öffentlichkeit hat nun das Problem, dass sich
       zwischen der anarchischen Hochstimmung des (letzte Woche noch der Berliner
       Presse vorgeführten) filmischen Texts und der realpolitischen Resonanz eine
       völlig absurde Diskrepanz auftut. Sony und die unsolidarischen anderen
       Hollywoodstudios stehen blamiert da, während der bedauernswerte Obama die
       Geheimdienste mit dem Ausloten einer „proportional response“ beauftragt
       haben soll. Man stelle sich, was nach einhelligen Berichten ein durchaus
       realitätsgemäßes Szenario ist, eine NSA-interne Sichtung von „The
       Interview“ vor, auf deren Basis die avisierte „angemessene
       Vergeltungsaktion“ ausbaldowert werden soll. Klarer Fall von: Bombe im
       Rektum.
       
       Einerseits ist die Vorstellung natürlich nicht ohne Komik, dass sich die
       ganze Sache derart ausweitet, dass irgendwann in Schulbüchern von der
       „Interview-Affäre“ als Auslöser einer nochmals signifikanten
       Verschlechterung der Beziehungen zwischen zwei Atommächten die Rede sein
       muss. Man sieht förmlich gepeinigtes Lehrpersonal und feixende Schüler beim
       künftigen Close Reading des inkriminierten Materials vor sich
       (Prüfungsfrage: „Wo hatte Seth Rogen die Giftbombe versteckt?“).
       
       ## Spaßvögel aus Pjöngjang
       
       Die mittlerweile ein wenig offline geschalteten Spaßvögel aus Pjöngjang,
       meldete gestern Abend der britische Guardian etwas ratlos, beschuldigen die
       Obama-Regierung nun sogar offiziell, in die Produktion des Films direkt
       involviert gewesen zu sein. Wer wollte sich bei dieser schrägen
       Rezeptionsästhetik noch die Mühe machen, Dementis zu verbreiten?
       
       Würde Obama dem eingangs erwähnten Vorschlag David Carrs folgen – im Kern:
       alle US-Medienkanäle, von CNN bis zu Youtube, Netflix usf. sollen in einer
       konzertierten Aktion „The Interview“ als Fanal der Verteidigung
       demokratischer Kunstfreiheitswerte in die Welt senden –, dürfte sich wohl
       eine landesweite Debatte über so relevante Themen wie „stinky dick“ oder
       heimliches Katy Perry-Fantum entzünden. Gut, dass wir darüber geredet haben
       werden.
       
       Andererseits ist das Missverhältnis zwischen den politischen
       Eskalationsrisiken und der fröhlich regressiven Komödienrhetorik so genial
       bizarr, dass der Kurzschluss eigentlich nur als unfreiwillige Verlängerung
       komödiantischer Zeichenpolitik zu verstehen ist. Dafür kann das sogenannte
       Abendland ja dann wirklich mal auf die Straße gehen. Der Nonsens, der gegen
       jede diktatorische Sinnzuweisung gefeit ist, muss offenbar erst noch
       erfunden werden. Eigentlich zum Totlachen.
       
       23 Dec 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.nytimes.com/column/the-media-equation
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simon Rothöhler
       
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