# taz.de -- Welle der Proteste in Israel: Träumen vom Ende der Ära Bibi
       
       > Korruption, Corona, wirtschaftliche Nöte: In Israel befeuern sich
       > unterschiedlich motivierte Proteste gegenseitig. Ihr Ziel ist dasselbe:
       > Benjamin Netanjahus Abtritt.
       
 (IMG) Bild: Jerusalem am Dienstagabend: Proteste gegen Israels Ministerpräsidenten Netanjahu
       
       Berlin taz | Geld versprach der bedrängte israelische Ministerpräsident
       Benjamin Netanjahu den Israelis in einer Fernsehansprache am vergangenen
       Mittwochabend. Eine einmalige Zahlung zwischen 180 und 500 Euro, je nach
       Größe des Haushalts, sollen die Israelis laut Netanjahus Plan erhalten und
       so die Wirtschaft wieder ankurbeln. Die Ankündigung, die noch nicht von der
       Regierung abgesegnet ist, kommt nach landesweiten Protesten, mitten in der
       zweiten Corona-Welle.
       
       Drastische Maßnahmen hatten dazu geführt, dass die erste Welle in Israel
       schnell abflachte und Mitte Mai die Anzahl der Neuinfektionen nur noch bei
       10 bis 20 Neuinfizierten pro Tag lag. Doch die [1][abrupte und fast
       vollständige Öffnung] sorgte für eine zweite Welle, die erst an Fahrt
       aufzunehmen scheint. Am Mittwoch wurden mehr als 1.700 Neuinfizierte
       innerhalb von 24 Stunden gemeldet.
       
       Die Verzweiflung vieler Israelis angesichts ihrer ökonomischen Situation
       und die Wut auf den wegen Korruption angeklagten Ministerpräsidenten und
       die Erosion der Demokratie, die viele Israelis beobachten, befeuern sich
       nun gegenseitig.
       
       Am Dienstagabend protestierten Tausende vor der Residenz des israelischen
       Ministerpräsidenten im Zentrum Jerusalems und forderten Netanjahus
       Rücktritt. In der gleichen Nacht kam es in der Jerusalemer Innenstadt zu
       Zusammenstößen zwischen Demonstrant*innen und der Polizei. Mehrere Hundert
       Demonstrant*innen blockierten die Jerusalemer Tram. Die Polizei setzte
       Wasserwerfer ein und ritt auf Pferden in die Blockade. Laut der
       Tageszeitung Haaretz gab es 50 Festnahmen.
       
       ## Sozialarbeiter*innen und Ultraorthodoxe auf der Straße
       
       Drei Tage zuvor, am vergangenen Samstagabend, protestierten mehr als
       Zehntausend auf dem Tel Aviver Rabinplatz gegen die Finanzpolitik der
       Regierung angesichts der ökonomischen Krise, in der sich das Land befindet.
       
       Auch die Sozialarbeiter*innen des Landes streiken, mittlerweile in der
       zweiten Woche. Die Coronakrise habe zu einer noch größeren Überlastung
       gesorgt, und so fordern sie mehr Bezahlung und mehr Beschäftigte im
       sozialen Sektor. Auch die Krankenschwestern und Krankenpfleger beklagen
       mangelndes Personal und drohen mit Streik.
       
       Mehrere Nächte in Folge randalierten außerdem in der vergangenen Woche
       verschiedene Gruppierungen von Ultraorthodoxen in Jerusalem und anderen
       Städten und protestieren gegen die Corona-Maßnahmen und die Schließung von
       Yeshivot, religiösen Schulen.
       
       Seit einigen Wochen nimmt auch die [2][Black-Flag-Bewegung], die sich den
       Kampf um die Demokratie und gegen Korruption auf die Fahnen geschrieben
       hat, an Fahrt auf. Jeden Samstag protestieren sie an zahlreichen zentralen
       Straßenkreuzungen im Land gegen den angeklagten Ministerpräsidenten.
       
       ## Nur noch 29 Prozent vertrauen Netanjahu
       
       Konnte Netanjahu Mitte Juni mit einer vermeintlichen
       Corona-Erfolgsgeschichte in Umfragewerten glänzen, verliert er nun immer
       mehr an Rückhalt, auch unter denen, die eigentlich an seiner Seite standen.
       Umfragewerte zeigen, dass nur noch 29 Prozent der Israelis Netanjahu
       vertrauen. Im März waren es 63 Prozent.
       
       Viele Israelis hoffen nun, dass das Ende der Ära Netanjahu eingeläutet
       wird. Gayil Talshir, Professorin für Politikwissenschaft an der Hebräischen
       Universität in Jerusalem, blickt zurück, um die Situation einzuordnen, und
       zieht eine Parallele zu den Zeltprotesten im Rothschild Boulevard im Jahr
       2011, als Hunderttausende gegen die steigenden Lebenshaltungskosten
       protestierten.
       
       „Bei dieser Menge an Demonstrant*innen sind wir noch nicht angekommen, und
       damals hat es nicht das Ende Netanjahus bedeutet.“ Doch die Öffentlichkeit
       sehe nun, wie Netanjahu sich um seine eigene finanzielle Situation und
       seine [3][Gerichtsverhandlung in drei Korruptionsfällen] kümmert und
       [4][nicht um die Millionen Arbeitslosen] und diejenigen, die unter der
       ökonomischen Krise leiden. „Das Gesicht dieser Proteste ist Netanjahu, und
       so sind die Proteste wohl nicht der letzte Sargnagel in seiner politischen
       Karriere, aber doch ein Nagel.“
       
       16 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Judith Poppe
       
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