# taz.de -- Neue Corona-Welle in Nahost: Zu früh gelockert
       
       > Hunderte Neuinfektionen täglich und ein erneuter Lockdown: Israel und die
       > palästinensischen Gebiete trifft eine neue Corona-Welle.
       
 (IMG) Bild: In der Kritik: Israels Premier Netanjahu, hier mit dem künftigen Botschafter in den USA Gilad Erdan
       
       Jerusalem taz | Nachdem Israel wegen einer neuen Infektionswelle das
       öffentliche Leben erneut heruntergefahren hat, kann die Regierung ab sofort
       Corona-Maßnahmen umsetzten, ohne vorher eine Genehmigung des Parlaments
       einzuholen. Dies beschloss die Knesset in der Nacht auf Dienstag. Bisher
       bedurften Entscheidungen der Regierung einer Billigung von einem
       parlamentarischen Ausschuss. Diese kann nun auch nach Inkrafttreten der
       Maßnahmen kommen.
       
       Am Montag hatte die Regierung unter Benjamin Netanjahu bereits die
       sofortige Schließung von Bars, Nachtclubs, Sport- und Veranstaltungshallen
       verfügt. Kulturtermine wurden abgesagt. Die Zahl von Personen, die sich
       gleichzeitig in Restaurants, Synagogen und Bussen aufhalten dürfen, wurde
       beschränkt.
       
       Auch wurden die Strafen bei Nichteinhaltung der Vorschriften – etwa dem
       Tragen von Gesichtsmasken in der Öffentlichkeit – auf umgerechnet knapp 130
       Euro erhöht. Seitens der Bevölkerung war sowohl in Israel als auch in den
       besetzten palästinensischen Gebieten in den vergangenen Wochen die
       Bereitschaft, die notwendigen Regeln einzuhalten, massiv zurückgegangen.
       
       Israel [1][verzeichnet] dieser Tage einen täglichen Anstieg der
       Corona-Ansteckungen um mehrere Hundert Fälle. Am Freitag hatte es einen
       Höhepunkt mit 1.000 neuen Fällen in nur 24 Stunden gegeben – mehr als zu
       Beginn der Corona-Pandemie in Israel im März dieses Jahres. 338 mit dem
       Virus infizierte Menschen sind nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität
       in Israel bislang [2][gestorben]. Laut palästinensischem
       Gesundheitsministerium in Ramallah sind in den palästinensischen Gebieten
       in den vergangenen Tagen täglich rund 500 Menschen erkrankt. Die [3][Zahl
       der Toten sei auf 22] gestiegen.
       
       Dass die Zahl der Toten nach wie vor relativ niedrig ist, ist auf die
       Altersstruktur der Gesellschaft zurückzuführen. In Israel sind über 40
       Prozent unter 24 Jahre alt, in den palästinensischen Gebieten sogar über 60
       Prozent.
       
       ## Kritik an früher Lockerung
       
       Anfang März, zu Beginn der weltweiten Pandemie, hatten sowohl die
       israelische Regierung als auch die palästinensische Autonomiebehörde (PA)
       schnell mit harten Maßnahmen reagiert. Israel stoppte den gesamten
       Flugverkehr. Die Palästinenser schlossen, in Koordination mit Jordanien,
       die Brücken zwischen der Westbank und Jordanien. Außerdem versuchten die
       Palästinenser, den Pendelverkehr palästinensischer Arbeiter zwischen Israel
       und der Westbank zu kontrollieren.
       
       Im Ergebnis waren sowohl Israel als auch die Palästinenser erfolgreich:
       verhältnismäßig wenig Krankheitsfälle, relativ wenig Tote und eine hohe
       Bereitschaft in beiden Gesellschaften, die getroffenen Maßnahmen
       mitzutragen. Doch dann kam die Öffnung im Mai. Folgt man [4][israelischen
       Kritikern], kam diese Öffnung zu schnell, nicht stufenweise und vor allem
       ohne die notwendigen Vorbereitungen, um die Pandemie weiter unter Kontrolle
       zu halten. Vor allem habe es keine klarsichtige Planung gegeben.
       
       Demnach war man nicht in der Lage, neue Infektionsketten früh zu stoppen,
       neue Krankheitsfälle umgehend zu erfassen und unter Quarantäne zu stellen.
       Zur Klärung, welche Kontakte neu erfasste Kranke hatten, machte das
       Parlament letzte Woche – zum Entsetzen der liberalen Presse – den Weg frei
       für die [5][Ortung der Mobiltelefone von möglichen Corona-Infizierten]
       durch den Inlandsgeheimdienst.
       
       Die Kritik gilt einerseits Netanjahu, dem vorgeworfen wird, sich auf
       [6][seine Annexionspläne] zu konzentrieren statt eine kluge Gesundheits-
       und Wirtschaftspolitik zu betreiben. Die schlechte Verwaltung des
       Gesundheitsministeriums wird angeprangert, die Abschottung der Bürokratie
       gegen Mitarbeit spezialisierter Wissenschaftler, die Konzentration der
       Entscheidungsprozesse in wenigen Händen. Zudem habe man – statt in die
       Gesundheitsversorgung zu investieren – das Geld in extremistische
       Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten gepumpt.
       
       ## Corona-Hotspot Hebron
       
       Die Lage der Palästinenser ist ungleich schwieriger. Sie stehen unter
       Besatzung. Im Schatten von Corona und in Vorwegnahme der angekündigten
       Annexion von Teilen des Westjordanlands werden jüdische Siedler immer
       brutaler und dreister. Vor allem im [7][Jordantal] vergeht kaum ein Tag
       ohne Übergriffe: Land wird geraubt, Häuser werden zerstört und
       Wasserleitungen abgeschnitten, wie der UN-Sondergesandte für den
       Nahost-Friedensprozess, Nickolai Mladenov, am Dienstag in einer
       Pressemitteilung berichtete.
       
       Das palästinensische Gesundheitssystem ist kaum in der Lage, mit den Folgen
       einer Pandemie umzugehen. Aus diesem Grund hatte die Regierung in Ramallah
       im März darauf gesetzt, eine Ausbreitung der Pandemie schon im Ansatz zu
       ersticken. Aber parallel zum erneuten Ausbruch in Israel kam es auch in der
       Westbank zu einem Anstieg der Neuinfektionen.
       
       Die Infektionskette kam offenbar über Beduinen – sträflich vernachlässigt
       seitens der israelischen Regierung und mit minimaler Gesundheitsversorgung
       – aus der Wüste Negev, die enge, auch familiäre Beziehungen zum Süden der
       Westbank haben. Schwerpunkt der neuen Welle ist die Westbank-Stadt Hebron,
       in dem die Zahl der Angesteckten sich tagtäglich um Hunderte erhöht.
       
       Seit Freitag hat Ramallah deshalb einen erneuten Lockdown in der Westbank
       beschlossen. Am Montag schließlich forderte der palästinensische
       Premierminister Mohammed Schtajjeh die israelische Regierung auf, alle
       Übergänge zwischen Israel und der Westbank zu schließen, um den Ausbruch
       kontrollieren zu können.
       
       7 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.haaretz.com/israel-news/coronavirus-israel-breaking-live-updates-july-1.8970693
 (DIR) [2] https://coronavirus.jhu.edu/map.html
 (DIR) [3] https://corona.ps/
 (DIR) [4] https://www.haaretz.com/israel-news/.premium-netanyahu-s-love-of-cutting-corners-is-why-israel-failed-to-control-coronavirus-1.8975187
 (DIR) [5] /Handyueberwachung-gegen-Corona-in-Israel/!5672043
 (DIR) [6] /Annexionsplaene-in-Nahost/!5697789
 (DIR) [7] /Vor-der-Wahl-in-Israel/!5664095
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helga Baumgarten
       
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