# taz.de -- Gewalt als Meme: War das Attentat auf Charlie Kirk ein „Brainrot Mord“?
       
       > Der mutmaßliche Charlie-Kirk-Mörder Tyler Robinson hatte wohl gar keine
       > tiefen ideologischen Überzeugungen. Haben wir es mit einem neuen Phänomen
       > zu tun?
       
 (IMG) Bild: „Notices bulges OwO what’s this?“, stand auf einer der Patronen
       
       Nach dem Attentat auf Charlie Kirk bleibt die ideologische Ausrichtung des
       Attentäters ein Rätsel. Für die Trump-Regierung und ihre Anhänger war die
       Sache schnell klar: Tyler Robinson war ein Linker, der aus Hass auf Rechte
       und Konservative gehandelt hat.
       
       Als Beweis führen sie die Sprüche an, die der mutmaßliche Schütze auf die
       am Tatort gefundenen Patronen geritzt hat. „Hey Faschist, fang!“, stand auf
       einer, zusammen mit einer Kombination aus Pfeilen, auf einer anderen der
       Schlachtruf der italienischen Partisanen: „Bella ciao!“
       
       Doch wie Journalisten und Techblogger mittlerweile [1][breit analysiert]
       haben, deuten die Botschaften nicht so sehr auf ein gefestigtes linkes
       Weltbild hin, sondern darauf, dass Robinson knietief in Online-Subkulturen
       steckte. Die genannten Sprüche sind Andeutungen auf das Videospiel
       „Helldivers“. Ein anderer Spruch – „Notices bulges OwO what’s this?“
       (bemerkt Wölbungen, OwO [ein Smiley] was ist das?) – spielt auf die
       Furry-Szene an, in der sich Erwachsene als anthropomorphe Tiere verkleiden.
       
       Dagegen sehen einige Linke in Robinson einen „Groyper“. Der Begriff
       bezeichnet die Anhänger des Holocaustleugners Nick Fuentes, der Kirk 2019
       von rechts attackiert hatte, ihr Erkennungszeichen ist eine Spielart des
       Pepe-the-Frog-Memes.
       
       Vertreter dieser Theorie führen Fotos an, die Robinson als Pepe verkleidet
       zeigen, sowie Posts aus Foren der Website 4chan, in denen selbsterklärte
       Groyper spekulieren, der Schütze könnte „einer von ihnen“ gewesen sein.
       Doch auch diese Verbindungen wirken konstruiert.
       
       ## Attentat eines Unpolitischen?
       
       Was aber, wenn Robinson weder ein radikaler Linker noch ein radikaler
       Rechter war? Was, wenn er stattdessen überhaupt keine nennenswerte
       politische Ideologie hatte? Neue Indizien deuten genau darauf hin.
       
       [2][In einem Blogpost] hat die Autorin Berit Glanz Taten wie diese als
       „Brainrot-Morde“ bezeichnet. Damit spielt sie auf einen Memetrend an, der
       auf sinnentleerten, „hirntoten“ Humor setzt. Einiges spricht dafür, dass
       der Kirk-Schütze Teil dieses neueren Phänomens ist: Junge Menschen – nicht
       besonders politisch, dafür aber sehr aktiv in Online-Subkulturen – begehen
       Attentate, mit denen sie ihre Memereferenzen und Insider-Jokes in brutaler
       Weise in die echte Welt tragen.
       
       Im Fall von Tyler Robinson sagte jüngst ein langjähriger Freund aus, dass
       der mutmaßliche Kirk-Attentäter kein politischer Mensch war. Befragt von
       dem Investigativjournalisten Ken Klippenstein berichtete er, wie überrascht
       er von dessen Tat war: „Das ist das Entscheidende: Er hat einfach nie
       wirklich über Politik gesprochen, und genau das macht es so frustrierend.“
       
       Und auch der Kommunikationskanal auf der Plattform Discord, auf dem
       Robinson sich mit seinen Freunden traf und über den er im Anschluss den
       Mord gestanden haben soll, war wohl schlicht ein Ort, an dem sich Freunde
       zum Gaming verabredeten und Katzenbilder teilten. Und keine „Zelle der
       Radikalisierung“, wie FBI-Chef Kash Patel andeutete.
       
       Einige Beobachter verweisen darauf, dass Robinson eine Beziehung zu einer
       trans Frau hatte und laut der veröffentlichten Textnachrichten mit ihr
       offenbar sagte, er habe genug von Kirks Hass gehabt. In der Tat ist das
       nach jetzigem Wissensstand der wahrscheinlichste Trigger für die
       Entscheidung zum Attentat. Aber auch dieser Umstand würde weder etwas an
       der sonstigen politischen Unauffälligkeit Robinsons ändern, noch wäre es
       eine zufriedenstellende Erklärung für die Radikalität der Tat und die Art
       und Weise wie sie begangen wurde.
       
       ## Ein banales Manifest
       
       Auch der Fall Luigi Mangione zeigt einige Zeichen eines „Brainrot-Mordes“.
       Vergangenen Dezember hatte der 27-Jährige den United-Healthcare-CEO Brian
       Thompson in Manhattan mit drei Schüssen von hinten getötet. Klippenstein
       war der Erste, der Mangiones „Manifest“ veröffentlichte. Und dessen Inhalt
       war einigermaßen überraschend, denn angesichts der Brutalität der Tat las
       sich der Text geradezu banal.
       
       Mangione echauffiert sich darin über das US-Gesundheitssystem, über dessen
       Manager, die er „Parasiten“ nennt. Doch die Argumente klingen eher wie
       Sprüche, die man in jeder beliebigen amerikanischen Kneipe von Chicago bis
       Texas hört, und nicht wie das Programm eines Überzeugungstäters.
       
       Die Memes lieferte Mangione mit: Auf seine Patronen hatte er die Wörter
       „delay“, „deny“, „depose“ geschrieben, eine Anspielung auf die fragwürdigen
       Abwehrtaktiken der US-Versicherungskonzerne. Und erst im August kam es in
       der Stadt Minneapolis zu einem Amoklauf, bei dem der Schütze eine Reihe von
       Memereferenzen und Botschaften mit ganz verschiedenen politischen Inhalten
       auf seine Kugeln geschrieben hatte.
       
       Diese Beliebigkeit ist selbst ein Zeichen von Depolitisierung. Die
       Nachrichten sollen keine Botschaft vermitteln, sondern trollen und
       verwirren.
       
       ## Auch rechte Attentäter memen
       
       Memes und Attentate, diese Kombination ist natürlich nicht neu. Doch
       bislang kannte man das eher von rechten Schützen. So streamte Brenton
       Tarrant, der 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Muslime in einer
       Moschee erschoss, seine Tat live im Internet. Tarrants letzte Worte vor dem
       Massaker waren: „Subscribe to Pewdiepie“, eine Anspielung auf den damals
       größten YouTuber. PewDiePie hat nichts mit Tarrants Nazi-Ideologie zu tun –
       der Mörder erwähnte ihn einfach, [3][um zu trollen].
       
       Unbestritten ist aber, dass Tarrant wirklich daran glaubte, dass er mit
       seiner Tat einen „Rassenkrieg“ provozieren könne. Die Brainrot-Morde von
       heute dagegen sind ideologieentleert. Was übrig bleibt, sind die Memes und
       die Schüsse.
       
       Diese Taten haben etwas Unheimliches, weil sie von den bisherigen
       Erklärungen für politische Attentate abweichen. Die klassisch
       ideologiegetriebenen Attentäter, Islamisten, Rechtsextreme, Anarchisten,
       sind irgendwie erklärbar.
       
       Aber weshalb schreitet jemand zur Tat, der eigentlich keine oder nur
       oberflächliche Überzeugungen hat? Psychische Erkrankungen als Faktor können
       natürlich nicht ausgeschlossen werden. Aber in den Fällen Mangione und
       Robinson deutet bislang nichts auf eine mentale Unzurechnungsfähigkeit hin.
       
       Die Taten sind einerseits ein Ausbruch aus der selbstreferenziellen
       Memewelt – der Tod eines Menschen als Essenz des Existenziell-Realen.
       Gleichzeitig aber heben sie den Zynismus der Onlinekultur auf die höchste
       Stufe, wenn sie aus den Witzen tödlichen Ernst machen.
       
       Brainrot-Morde sind keine isolierten Einzeltaten. Vielmehr muss man sie als
       Ausdruck einer gesellschaftlichen Stimmung verstehen. Die Täter garnieren
       ihre Gewalttat mit Memes und Witzen, und das Internet wiederum macht aus
       den Attentaten Witze und Memes. So feierten viele im Netz die Schüsse auf
       Thompson und Kirk, wobei die Ideologie der Schützen im besten Fall
       zweitrangig ist und die politischen Konsequenzen (Gegengewalt, Repression,
       etc.) ausgeblendet werden. Popkultur, Politik und Gewalt verschwimmen so in
       einem Sog. Was zählt, ist, dass es viral geht.
       
       18 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/attentat-auf-charlie-kirk-zweifel-an-linker-ideologie-von-tyler-robinson-als-motiv-a-2da6fe8d-9060-4fcd-b621-1a609189ba86
 (DIR) [2] https://beritmiriam.substack.com/p/brainrot-morde-oder-wie-man-einen
 (DIR) [3] /Dokumentation-ueber-Hater-und-Trolle/!5502269
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leon Holly
       
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