# taz.de -- Von Identität und Zugehörigkeit: Was mir der deutsche Pass bedeutet
       
       > Meistens werde ich gefragt, wohin ich reisen will, wenn ich den deutschen
       > Pass habe. Mich beschäftigt: Werde ich eine deutsche Identität annehmen?
       
       Was bedeutet es, wenn ich den [1][deutschen Pass] bekomme? Darüber denke
       ich in letzter Zeit viel nach. Meistens werde ich gefragt, wohin ich dann
       reisen möchte, aber mich beschäftigen andere Fragen. Zum Beispiel: Werde
       und sollte ich dann eine deutsche Identität annehmen? Was ist überhaupt die
       deutsche Identität? Was werden die Unterschiede zwischen mir und meinen
       Kindern sein, die hier geboren werden? Werde ich die gesamte deutsche
       Geschichte auch als meine Geschichte tragen? Und was ist mit meiner
       persönlichen Geschichte oder meiner syrischen Geschichte?
       
       Über diese Gedanken habe ich mit einem syrisch-deutschen Freund mit
       Fluchtgeschichte gesprochen. Für ihn ist die Sache klar: Er ist Deutscher
       und stolz auf seinen deutschen Pass. Er war kürzlich in Syrien. Er darf
       dorthin reisen, weil er weder vom Militär noch von der Regierung gesucht
       wird und er wollte seine Mutter und Geschwister treffen, die er seit mehr
       als zwölf Jahren nicht gesehen hat.
       
       Als er dort war, wollte er nach Deutschland zurück. Seine Familie machte
       sich über ihn lustig und sagte: „Du bist ja Deutscher!“ Er hatte für sie
       typisch deutsche Denkweisen mitgebracht: Ordnung, viel Vorbereitung, keine
       Flexibilität und langsames Arbeiten, aber mit perfektionistischem Anspruch.
       
       Manchmal lernt man sich selbst besser kennen, wenn man mit Gegensätzen
       konfrontiert wird und erkennt, was einem passt und was nicht. Genau so
       erging es mir: Ich habe mich besser verstanden, weil ich ganz anders bin
       als mein Freund. Ich habe immer gesagt, dass ich, obwohl ich fast 36 Jahre
       alt bin, Syrer bin und die syrischen Gedanken, Geschichte, Kultur und
       Identität behalten werde.
       
       Während des Gesprächs wurde mir klar, dass ich mich darauf freue, die
       [2][deutschen Staatsangehörigkeit] zu bekommen. Sie wird für mich ein
       Zugehörigkeitszertifikat sein, das bestätigt, dass ich hierher gehöre und
       nicht mehr mit der Ausländerbehörde streiten muss und dass ich wählen darf.
       
       ## Meine Kinder tragen deutsche Geschichte in sich
       
       Vielleicht liegt hier der große Unterschied zwischen Identität und
       Zugehörigkeit. [3][Für mich und viele aus der ersten Generation von
       Geflüchteten und Zugewanderten bedeutet der deutsche Pass Zugehörigkeit].
       Das wird für meine Kinder anders sein, weil sie Deutsche mit deutscher
       Identität sind.
       
       Sie kennen nichts anderes, sie tragen die deutsche Geschichte, Kultur und
       die Art zu denken in sich, auch wenn sie die Geschichte ihrer Eltern
       kennen. Sie werden Deutsche mit syrischer Geschichte sein, während wir als
       erste Generation Syrer*innen mit deutschem Pass sind.
       
       Klar gibt es immer Ausnahmen. Eine Bekannte von mir hat ihren Namen
       geändert, als sie den deutschen Pass bekam, weil sie sich stark mit
       Deutschland identifiziert und mit der neuen Staatsbürgerschaft auch ein
       neues Leben unter neuem Namen beginnen wollte.
       
       Natürlich gibt es auch politische und gesellschaftliche Aspekte. Eine
       Freundin meiner Frau (beide Deutsche ohne internationale
       Migrationsgeschichte) sagte ihr kürzlich, sie mache sich Sorgen um mich.
       Sie habe das Gefühl, dass die populistische Rechte stärker werde und sie
       höre immer öfter ausländerfeindliche und rechte Positionen.
       
       Es wäre für mich besser, so schnell wie möglich die deutsche
       Staatsbürgerschaft zu bekommen, damit ich wenigstens von den Gesetzen
       geschützt werde. Ich habe entspannt reagiert, was sie, glaube ich,
       überrascht hat. Ich sagte: „Na ja, Gott sei Dank lebe ich in Hamburg, wo
       ich mich sicher fühle.“
       
       Vielleicht kommt meine relative Entspannung daher, dass ich schon einmal
       meine Heimat verloren habe, ohne mich selbst zu verlieren. Ich weiß, wie es
       ist, in einem Land zu leben, in dem Gesetze von einem Tag auf den anderen
       verändert werden und dein Leben plötzlich nicht mehr dir gehört. Vielleicht
       konzentriere ich mich daher auf mein Leben in Hamburg und alles, was doch
       gut läuft. Denn hier fällt es mir leicht, meine syrische Identität zu
       behalten und mich gleichzeitig zugehörig zu Hamburg und zu ihrer
       Gesellschaft zu fühlen.
       
       16 Aug 2024
       
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