# taz.de -- Suche nach Gerechtigkeit: Taliban auf der Anklagebank
       
       > Afghanische Exilorganisationen starten in Madrid ein „Volkstribunal für
       > die Frauen Afghanistans“. Die Taliban bleiben lieber fern.
       
 (IMG) Bild: Taliban-Wachposten auf der Ladefläche eines Pickups nach dem Erdbeben in der nordostafghanischen Provinz Kunar am 4. September
       
       Berlin taz | Um das afghanische Taliban-Regime für seine systematische
       Unterdrückung der Frauen öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen, startet an
       diesem Mittwoch in Madrid das dreitägige „Volkstribunal für die Frauen
       Afghanistans“. Das Besondere: Im Gegensatz zu anderen Institutionen, die
       das gleiche Ziel verfolgen, steht es unter afghanischer Federführung. Die
       Zivilgesellschaft des Landes macht sich damit aus dem Exil daran, die Macht
       über das eigene Wort zu erlangen.
       
       Solche Tribunale stehen in langer Tradition. Sie entstanden 1979 als
       Nachfolger der Russell-Tribunale, die sich mit US- und anderen Verbrechen
       während des Vietnamkriegs befassten. Auch Afghanistan war bereits zweimal
       Thema, 1981 und 1982 während der zehnjährigen sowjetischen Besatzung.
       
       Eine Koalition aus vier afghanischen Exilorganisationen brachte es im
       vorigen Dezember auf den Weg. Darunter ist [1][die
       Menschenrechtsorganisation Rawadari], gegründet von [2][Schaharsad Akbar],
       der früheren Vorsitzenden der Unabhängigen Menschenrechtskommission
       Afghanistans (AIHRC), die von den Taliban aufgelöst wurde. Das Tribunal
       soll, so Akbar zur taz, „den Opfern und Überlebenden mit einem Tag im
       Gericht eine direkte Plattform geben.“
       
       Zwar lädt auch die UNO regelmäßig afghanische Frauen ein, etwa wenn
       Afghanistan im Sicherheitsrat besprochen wird. Aber sie sucht selbst die
       Teilnehmerinnen aus. Oft wirkt das wie ein frauenrechtliches Feigenblatt.
       
       ## Tribunal erhöht Druck auf juristische Institutionen
       
       Die Taliban verweigern dem UN-Menschenrechtsberichterstatter zudem seit
       zwei Jahren das Visum. Den Handlungsspielraum des Internationalen
       Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, ebenfalls eine UN-Institution, der
       im Juli [3][Haftbefehle gegen die zwei wichtigsten Talibanführer] stellte,
       begrenzen Sanktionen der Trump-Regierung.
       
       Eine Vier-Staaten-Initiative mit deutscher Beteiligung, die von den Taliban
       Rechenschaft über ihre Verpflichtungen nach der UN-Konvention gegen
       Frauendiskriminierung fordert, kommt nicht voran. Sie stammt noch aus der
       Baerbock-Phase der feministischen Außenpolitik. Die neue schwarz-rote
       Regierung setzt andere Prioritäten.
       
       In Madrid werden vier afghanische Staatsbürger*innen als Staatsanwälte
       fungieren, zwei Frauen, ein Mann, Expert*innen für internationales
       Recht, Soziologie und Genderfragen. Der Name der/des vierten wird aus
       Sicherheitsgründen geheim gehalten. Die Gruppe legt dort einem achtköpfigen
       internationalen Gericht (sieben Frauen, ein Mann, darunter eine Afghanin),
       ihre Anklage vor, die sie in Zusammenarbeit mit einem internationalen
       Rechercheteam schrieben.
       
       Die Anklageschrift wurde auch den Taliban zugeleitet. Eine Reaktion darauf
       liegt dem Tribunal aber nicht vor. Deshalb berief es eine
       Pflichtverteidigung.
       
       Zudem werden Zeug*innen gehört. Einige, die im Exil leben, werden
       persönlich anwesend sein, sagt Akbar der taz, andere werden sich aus Furcht
       vor Taliban-Unterstützern in Europa in Audio- oder schriftlicher Form
       äußern.
       
       ## Frauen wurden auch Opfer der US-Invasion
       
       Aus Afghanistan selbst lägen dem Tribunal neun Aussagen vor. „Wir mussten
       aus Sicherheitsgründen sehr vorsichtig sein“, erklärte Akbar. Ein*e
       Zeug*in schlug sich während des kürzlichen Internet-Blackouts in ein
       Nachbarland durch, um dort die Aussage aufzuzeichnen, berichtet die
       britische Menschenrechtsexpertin Rachel Reid, die das Tribunal unterstützt.
       
       Zum Abschluss werden die Richter*innen eine vorläufige Erklärung
       abgeben. Das endgültige Urteil folgt bis Mitte Dezember. Es wird dann der
       UNO und anderen Gremien zugeleitet. An einer Verurteilung dürfte es keinen
       Zweifel geben.
       
       Einen Mangel hat das Tribunal: Es lässt die Frauen und deren Familien außen
       vor, die zwischen 2001 und 2021 zivile Opfer von US-Militärs und
       verbündeten Truppen wurden. Das birgt das Risiko, eine Hierarchie zwischen
       verschiedenen Opfergruppen zu schaffen. Genau das hatten afghanische
       Aktivist*innen wie Akbar kritisiert, als der IStGH 2022 versuchte,
       Untersuchungen mutmaßlicher Kriegsverbrechen der USA und verbündeter
       afghanischer und anderer Truppen zu „depriorisieren“. Laut Akbar mangele es
       dem Volkstribunal dafür an Ressourcen. Sie hofft, wie in den 1980er-Jahren,
       auf weitere Afghanistan-Tribunale.
       
       8 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://rawadari.org/
 (DIR) [2] /Afghanische-Menschenrechtskommission/!5827107
 (DIR) [3] /Unterdrueckung-von-Frauen/!6100131
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Ruttig
       
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