# taz.de -- Rechtsesoterische Bildungsinitiativen: Wenn Schwurbler Schulen gründen
       
       > Während der Pandemie entstanden neue Allianzen im rechtsesoterischen
       > Milieu. Sie wollen die Bildung der Kinder nicht dem Staat überlassen.
       
 (IMG) Bild: Seit der Pandemie versucht das rechtsesoterische Milieu die alternative Schulszene zu infiltrieren
       
       Erfurt taz | „Lernen soll Spaß machen!“ Unter diesem Motto versammeln sich
       an einem sonnigen Novembertag etwa 100 Menschen in einem
       Veranstaltungszentrum nahe der Erfurter Altstadt für den [1][Kongress
       „Bewusst in die Zukunft“]. Die Stimmung ist gelöst. Familien mit kleinen
       Kindern haben sich hier eingefunden, Rentner, Lehrer. Auf dem Programm
       stehen Vorträge zu alternativen Lernmethoden und Bewegung im Schulalltag.
       Auch das rechtliche Know-how für die Gründung freier Schulen kommt nicht zu
       kurz.
       
       Auf den ersten Blick wirkt der Kongress harmlos. Doch der Schein trügt. Ein
       Blick auf die Redner der Veranstaltung zeigt, dass sich hier Teile einer
       einschlägigen Szeneprominenz versammeln, die etwa der rechtsesoterischen
       Anastasia-Bewegung (siehe Kasten) nahestehen oder sich im Milieu der
       Verschwörungsanhänger einen Namen gemacht haben. Ihr Credo: Die Bildung der
       Kinder müsse man endlich selbst in die Hand nehmen, das habe man dem Staat
       schon viel zu lange überlassen.
       
       Eine dieser Szenegrößen ist Bianca Höltje, die den ersten Vortrag hält.
       Höltje ist eine ehemalige Schulleiterin aus dem niedersächsischen Höhne.
       Während der Coronapandemie wurde sie vom Dienst freigestellt, weil sie sich
       weigerte, Hygienemaßnahmen an ihrer Schule umzusetzen. Gemeinsam mit der
       Rechtsanwältin Inge Seher berät sie angehende Schulgründer.
       
       In ihrem Beitrag gibt Höltje sich betroffen: Sie berichtet von einem
       staatlichen Schulsystem, das kaum an den Bedürfnissen der Kinder orientiert
       sei; von überforderten Lehrkräften und von innovativen Konzepten, die all
       das ändern könnten. Und dockt damit an weit verbreitete Kritik am
       öffentlichen Bildungssektor an: Viele Menschen in Deutschland beklagen
       Schwachstellen im staatlichen Bildungssystem, bemängeln den Leistungsdruck,
       starre Lehrpläne und den Personalmangel. Fakt ist auch, dass die Pandemie
       psychische Spuren bei Kindern hinterlassen hat, [2][wie etwa eine Studie
       des Hamburger UKE belegt].
       
       ## „Ein Gespür für Krisenlagen“
       
       Der Politikwissenschaftler Jan Rathje erklärt, das sei ein typisches
       Argumentationsmuster aus der rechtsesoterischen und verschwörungsgläubigen
       Szene. Rathje forscht am Center for Monitoring, Analyse und Strategie
       ([3][CeMAS]) zu Verschwörungsideologien und Desinformation. Häufig würden
       in der Szene legitime Kritikpunkte am Bildungssystem aufgegriffen. „Schaut
       man aber näher hin, offenbart sich eine ideologische Motivation. Man möchte
       die Kinder jeglichem staatlichen Zugriff entziehen“, sagt Rathje.
       
       Auch Sektenexperte Matthias Pöhlmann warnt: „Man hat in der Szene ein
       Gespür für gesellschaftliche Krisenlagen.“ Seit der Pandemie beobachte er
       den verstärkten Versuch, sich des Schulthemas zu bemächtigen und die
       Freilerner-Szene zu infiltrieren. Dadurch bestehe die Gefahr, dass auch
       Unwissende geködert werden.
       
       Mit fortschreitender Redezeit schleichen sich dann auch immer mehr Parolen
       in den Vortrag der einstigen Schulleiterin Höltje. „Unsere Kinder sind
       diesem System hilflos ausgeliefert“, ruft sie ins Mikrofon, „einem System,
       das krampfhaft versucht, sich am Leben zu erhalten.“ Es brauche nicht noch
       mehr „Gutmenschentum“, Kinder sollten nicht zu systemkonformen „Robotern“
       erzogen werden.
       
       Ein Blick auf den Hintergrund von Bianca Höltje offenbart eine Nähe zu
       bekannten Verschwörungsideologen. Gemeinsam gaben die selbst ernannte
       „Weltverändererin“ und Rechtsanwältin Inge Seher im Januar ein Interview
       über freie Schulen auf der Webseite apolut.net, offenbar ein Nachfolger von
       KenFM aus dem Umfeld des Verschwörungsideologen Ken Jebsen.
       
       ## Kandidatur für „Die Basis“
       
       2021 kandidierte Höltje für die „Querdenken“-nahe Partei „Die Basis“ für
       den Bundestag. Im vergangenen Jahr referierte sie auf einem Kongress zu
       schulischen Traumata – organisiert von einer „Querdenken“-Aktivistin, die
       in der Vergangenheit durch ihr reichsbürgerideologisches Gedankengut
       auffiel. Derzeit beraten Höltje und Seher laut eigenen Angaben mehrere
       Schulgründungsinitiativen, die schon in den Startlöchern stehen. „Danke,
       dass ihr noch Überlebensräume in diesem System schafft!“, ruft ein
       Zuschauer.
       
       Als Nächstes steht der Stargast des Tages auf der Agenda, wenn auch nur
       virtuell zugeschaltet: Ricardo Leppe, Gründer des österreichischen Vereins
       „Wissen schafft Freiheit“. Er gilt als Guru innerhalb der Szene, als
       Pionier einer neuen Bildung.
       
       Sektenexperte Matthias Pöhlmann stellt im Gespräch mit der taz klar:
       „Ricardo Leppe wird in vielen Kanälen als Bildungsexperte dargestellt.
       Dabei verfügt er über keinerlei pädagogische Ausbildung.“ [4][Ein
       Monitoring der Amadeu Antonio Stiftung Sachsen und des
       Else-Frenkel-Brunswik-Instituts resümierte 2021] über Leppes Verein:
       „‚Wissen schafft Freiheit‘ ist ein Knotenpunkt in der rechtsesoterischen
       und verschwörungsideologischen Vernetzung und Teil der Anastasia-Bewegung.“
       
       Schallender Applaus und begeisterte Pfiffe ertönen in Erfurt, als der
       einstige Zauberkünstler Leppe auf dem Bildschirm erscheint. Leppe erreicht
       Zehntausende auf Youtube und Telegram. Online stellt er „alternative“
       Lernmethoden vor und wirbt für die Gründung freier Schulen. Rund um seinen
       Verein hat sich inzwischen bundesweit ein Netzwerk gebildet, in
       Telegram-Gruppen tauschen sich Eltern und angehende Schulgründer aus. Der
       Verein stellt sich als unpolitische Lernplattform dar. Online sind dort
       Eselsbrücken zum Merken englischer Vokabeln zu finden und Tipps für das
       Lernen des Einmaleins.
       
       ## Holocaustleugner und Verfolgungswahn
       
       Doch immer wieder schimmert Ricardo Leppes Nähe zum Anastasia-Kult und der
       daraus hervorgegangenen Schetinin-Lehre durch. Regelmäßig lädt er Gäste in
       seinen Youtube-Kanal ein: darunter Anastasianer, Anhänger der
       rechtsextremen Verschwörungsgruppe QAnon und eine junge Frau, die immer
       wieder begeistert von der Schetinin-Lehre referiert. In einem
       rechtsesoterischen Internetsender spricht Leppe ausführlich mit Martin
       Laker über „freies Lernen“. Martin Laker leugnet den Holocaust, gilt als
       zentrale Figur innerhalb der Anastasia-Bewegung und möchte das Deutsche
       Reich wiedererrichten.
       
       In Leppes Vortrag geht es jedoch um etwas anderes: Die Rede ist von
       kindlicher Wissbegierde und von Bildungsbewegungen, die er weltweit
       aufbauen möchte. Als ein Zuhörer fragt, wie viele Schulen schon mit Hilfe
       seines Vereins in Deutschland gegründet worden seien, erwidert Leppe:
       „Eine Zahl kann ich in Deutschland nicht nennen. Hier wird man wie in
       keinem anderen Land der Welt verfolgt für jeden Gedanken, der etwas
       anders ist.“
       
       ## „Boom“ alternativer Schulgründungen seit Corona
       
       Die Diskreditierung des staatlichen Schulsystems durch die
       rechtsesoterische Szene scheint seit der Coronapandemie anschlussfähiger
       geworden zu sein. Warum? Jan Rathje erklärt: „Während der Pandemie hat sich
       die Kommunikation verschiedenster Milieus auf Telegram gebündelt.“ Deren
       gemeinsamer Nenner sei die Ablehnung dessen, was als „Mainstream-Wissen“
       wahrgenommen wird. „So konnten dort Verschwörungsideologen, Impfgegner und
       Esoteriker bis hin zu Antisemiten und Rechtsextremen ihr ‚alternatives‘
       Wissen austauschen.“
       
       Die Folge: ein „Boom“ bei Schulgründungen aus dem „Querdenken“-Milieu,
       [5][wie die Stuttgarter Zeitung kürzlich berichtete]. In Hamburg [6][wurde
       eine solche Schulgründung 2021 verhindert]. In Rosenheim wurde im selben
       Jahr [7][eine illegale Schule geschlossen], deren Betreiber im
       Reichsbürgermilieu vernetzt gewesen sein sollen. Der Verein „Gaudium in
       Vita“ [8][betreibt ein Schullandheim in Niedersachsen, das vermeintlich
       neue Lernmethoden erforschen möchte] – aber durch seine Nähe zu
       rechtsesoterischen Ideologen auffällt. Deren Kooperationspartner, die
       „Internationale Schul-, Sport- und -Kulturakademie“, hat sich zum Ziel
       gesetzt, die Schetinin-Lehre im deutschen Bildungssystem zu etablieren.
       
       Es brauche ein wachsames Auge der Behörden, mahnt Jan Rathje, „[9][weil
       Gruppierungen wie Anastasia durch ihr grundsätzliches Modell
       Parallelstrukturen aufbauen wollen]“. Damit Kinder geschützt werden, sei es
       wichtig, bei Schulanträgen die Initiatoren genau zu beleuchten, betont auch
       Matthias Pöhlmann.
       
       Eine Anfrage der taz, ob auf Bundesebene Präventionsstrategien für
       Schulgründungen aus rechtsesoterischen Milieus bestehen, ließ das
       Bundesbildungsministerium unbeantwortet. Eine Sprecherin des Thüringischen
       Bildungsministeriums betonte indes, man widme dem Thema hohe
       Aufmerksamkeit. Schulanträge würden mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft.
       
       15 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://bewusst-zukunft.de/
 (DIR) [2] https://www.uke.de/allgemein/presse/pressemitteilungen/detailseite_94976.html
 (DIR) [3] https://cemas.io/
 (DIR) [4] https://www.belltower.news/digital-report-2022-02-sachsens-rechte-parallelgesellschaften-rechtsesoterische-onlinenetzwerke-135639/
 (DIR) [5] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.naturschulen-als-corona-folgen-boom-bei-schulgruendungen-haeufig-aus-dem-querdenker-milieu.5bc7777c-8071-48eb-bc34-5398b406e4b4.html
 (DIR) [6] /Gruendung-einer-Querdenkerschule/!5778545
 (DIR) [7] https://www.merkur.de/bayern/schechen-rosenheim-bayern-querdenker-schule-bauernhof-stiftung-regierung-news-aktuell-zr-91021257.html
 (DIR) [8] /Voelkisch-inspirierte-Seminare/!5848465
 (DIR) [9] /Voelkische-Anastasia-Bewegung/!5939445
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sophie Tiedemann
       
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