# taz.de -- Neuer Klimabericht: Anpassen oder aussterben
       
       > Der Weltklimarat IPCC veröffentlicht seinen Bericht zu Folgen der
       > Erderhitzung. Er sieht große Schäden, aber auch Chancen zur Anpassung.
       
 (IMG) Bild: Rettende Kühle aus kaputtem Rohr: In Pakistan tötete eine Hitzewelle 2015 mehr als 1.000 Menschen
       
       Ab einem bestimmten Punkt bringt einen die Luft einfach um. Wenn Temperatur
       und Feuchtigkeit sehr hoch liegen, kann Schweiß nicht mehr kühlen, die Luft
       wird lebensfeindlich. „Es kann zum Beispiel in Bangladesch sein, dass mit
       Fortschreiten des Klimawandels Regionen einfach unbewohnbar werden, weil
       man sich draußen nicht mehr aufhalten kann“, sagt Klimaforscher Hans-Otto
       Pörtner. „Es gibt Grenzen für die Anpassung.“
       
       Pörtner ist Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe II des Weltklimarats IPCC, in
       dem hunderte Wissenschaftler:innen wieder einmal zusammengetragen
       haben, welche Auswirkungen der Klimawandel hat – und inwieweit eine
       Anpassung möglich ist. Am Montag wurde der Bericht nach zwei Wochen
       intensiver Abschlussdebatten zwischen Wissenschaft und den
       Regierungsdelegationen aus den UN-Staaten veröffentlicht. Er dient als
       Alarmzeichen, zeigt aber auch Möglichkeiten zur Anpassung an den Wandel und
       zeichnet eine klimagerechte Entwicklung vor. Und: Er ist so politisch wie
       noch nie.
       
       Die erste Kernboschaft lautet: „Der menschengemachte Klimawandel inklusive
       häufigeren und intensiveren Extremereignissen hat weit verbreite Störungen
       und damit verbundenen Verlust sowie Schäden bei Natur und Menschen
       verursacht, jenseits der natürlichen Variabilität“. Im Vergleich zu vorigen
       Berichten sind die Daten klarer und die Schäden werden immer größer (siehe
       Übersicht).
       
       Zweite Botschaft: Nicht alle Menschen und Gesellschaften sind gleichermaßen
       betroffen – am stärksten trifft es die Armen, Marginalisierten, die
       Indigenen, Alte, Frauen und Kinder, überall, aber vor allem im Globalen
       Süden.
       
       ## Der Knackpunkt ist oft Armut
       
       Zum ersten Mal führt der sonst stark naturwissenschaftlich geprägte
       IPCC-Bericht Begriffe wie „Gerechtigkeit“, „gute Regierungsführung“ oder
       „Kolonialismus“ als relevant an. Denn wie stark das eigene Risiko ist,
       hängt nicht nur vom Klimawandel ab – sondern vor allem davon, wie stark man
       ihm ausgesetzt ist und wie „verwundbar“ Gesellschaften sind: Wer eine
       Versicherung gegen Flutschäden hat, ist anders betroffen als Menschen,
       denen sie fehlt.
       
       „Wir haben für eine kleine Bevölkerungsgruppe im Ahrtal in zwei Wochen 30
       Milliarden Euro auf die Beine gestellt“, sagt Raumentwicklungsexperte Jörn
       Birkmann, einer der Autor:innen des aktuellen Berichts. „Das kann man
       von Somalia, Sudan oder Nigeria nicht erwarten.“ Der Knackpunkt beim Mangel
       an der sogenannten Resilienz – oder anders gesagt: Reaktionsfähigkeit – ist
       oft die Armut. „Armut ist ein Teiber der Verwundbarkeit“, formuliert es
       Birkmann.
       
       Der Bericht der Arbeitsgruppe II hat tausende von Studien ausgewertet, um
       einen aktuellen Zustandsbericht über die Folgen des Klimawandels zu
       präsentieren. Die Daten sind oft ernüchternd: So sei es zu mehr als 50
       Prozent wahrscheinlich, dass bis 2100 weltweit die Erwärmung über 1,5 Grad
       Celsius steigt; schon jetzt sind demnach „hunderte von Arten“ von Tieren
       und Pflanzen aufgrund des Klimawandels ausgestorben, mehr als die Hälfte
       flieht vor der Hitze in kühlere Gegenden.
       
       Ernährung und Gesundheit von Milliarden Menschen werden bereits geschädigt,
       über 3 Milliarden Menschen leiden unter regelmäßigem Wassermangel, der auch
       durch die Erhitzung verschlimmert wird. Die „Gründe für Besorgnis“, die die
       Wissenschaftler:innen formulieren, haben sich seit den letzten
       Berichten verschoben: Die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen wie
       Fluten, Starkregen, Hitzewellen oder Dürren oder „Kipp-Elementen“ hat
       deutlich zugenommen.
       
       ## Eine riesige politische Lücke
       
       „Etwas ganz grundlegend Neues ist vielleicht gar nicht unbedingt dabei“,
       meint auch Hans-Otto Pörtner zu den Ergebnissen des neuen Berichts. „Es ist
       eine Verstärkung der Botschaften.“ Damit schwingt auch eine heftige Kritik
       an der Politik mit. Was soll auch neu sein, wenn sich kaum etwas verändert?
       „Es ist ein ganz großes Problem, dass die Wissenschaft diese Botschaft nun
       wieder auf den Tisch legt, aber es gibt eine riesige Lücke in der
       Umsetzung“, sagt Pörtner diplomatisch.
       
       Es kann aber noch viel getan werden, ist die nächste Botschaft: Anpassung
       an den Klimawandel kann an vielen Orten stattfinden. Das brauche aber nicht
       nur Geld, sondern auch ein Umdenken bei vielen Verantwortlichen, andere
       Lebensstile. Es gebe aber auch eine große Chance, Städte etwa so zu planen,
       dass sie besser mit Extremen zurechtkämen. Und der Bericht warnt auch vor
       „schlechter Anpassung“: Ein Deich könne Menschen schützen, aber auch
       Ökosysteme zerstören; Aufforstung sei gut als CO2-Speicher, könne aber
       wertvolle biologische Systeme vernichten.
       
       Ohnehin legt der Bericht einen großen Fokus auf den Erhalt der
       Biodiversität, um das Klima zu schützen. „Naturbasierte Lösungen“ wie der
       Schutz von Wäldern, Grünflächen und Mooren seien wichtig, um der Natur
       Erholungsräume zu erhalten. Der IPCC unterstützt Forderungen, 30 bis 50
       Prozent der Oberfläche des Planeten zu Schutzgebieten für die Natur zu
       machen – eine Forderung, die etwa in der nächsten UN-Konferenz zum
       Artenschutz eine große Rolle spielen wird.
       
       Die „Grenzen der Anpassung“ sind aber lange noch nicht erreicht. Gerade
       dort, wo es nicht an Geld mangelt, gibt es Spielraum. „Ich hoffe wirklich,
       dass die Leute, die diesen Bericht lesen, sehen werden, wie viele
       Möglichkeiten wir haben“, sagt Klimaforscherin Daniela Schmidt, die
       ebenfalls an dem Bericht mitgeschrieben und das Kapitel über Europa
       koordiniert hat. „Wir können unsere Städte verändern, mit der Natur
       arbeiten, wir können entscheiden, was wo angebaut wird in der
       Landwirtschaft“, sagt sie. „Wir können die Auswirkungen zu reduzieren.“ Nur
       schließe sich das Möglichkeitsfenster immer mehr, je länger man warte, je
       wärmer es werde.
       
       „Die oberste Prämisse ist, alles zu tun, dass wir nicht über 1,5 Grad
       kommen“, bestätigt die Geografin Diana Reckien, auch Autorin im neuen
       Bericht. Es geht um die durchschnittliche Erhitzung der Atmosphäre im
       Vergleich zum vorindustriellen Niveau, also der Zeit vor den Unmengen von
       menschlichen Treibhausgasemissionen. Die soll laut Pariser
       Weltklimaabkommen möglichst bei 1,5 Grad gestoppt werden.
       
       Die erste Arbeitsgruppe des Weltklimarats, die sich mit den physikalischen
       Grundlagen des Klimawandels befasst, hat aber im vergangenen Jahr in einem
       Bericht gewarnt: Es gibt kaum noch ein Szenario bei der Entwicklung des
       weltweiten Treibhausgasausstoßes, in dem die Grenze nicht zumindest
       temporär gerissen wird. Wahrscheinlich ist es demnach schon in den frühen
       Dreißigern so weit.
       
       Ein ganzes Kapitel widmet der Bericht der Warnung diesem entsprechend
       wahrscheinlichen Fall, dass wir die Erderhitzung auf über 1,5 Grad Celsius
       treiben und erst danach wieder senken. Diese Praxis, in der Fachwelt als
       „overshoot“ bezeichnet, würde „schwere Folgen“ nach sich ziehen, manche
       davon irreversibel. Das gefährde die Fähigkeit ganzer Ökosysteme zur
       Erholung.
       
       ## Putins Krieg beeinträchtigte auch wissenschaftliche Arbeit
       
       Die vergangenen zwei Wochen haben die Wissenschaftler:innen zusammen
       mit Vertreter:innen der UN-Staaten an einer treffenden Zusammenfassung
       für den neuen Bericht gewerkelt. Die soll mit nur 35 Seiten besser
       verdaulich sein für Entscheidungsträger:innen in den Regierungen als
       das dicke Original.
       
       Dieses Prozedere ist üblich beim Weltklimarat, Satz für Satz wird das
       Dokument durchgegangen. Die Regierungen versuchen dabei durchaus, den
       Tonfall des Ganzen im eigenen Interesse zu verändern. „Es sind ja auch
       politische Fragen berührt“, meint Pörtner. „Es geht ja zum Beispiel um das
       Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, um historische
       Verantwortung, diese Themen haben im Hintergrund eine Rolle gespielt.“ Das
       letzte Wort haben aber die Wissenschaftler:innen.
       
       Auch der Krieg von Russlands Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine hat
       sich bemerkbar gemacht, und zwar nicht nur im Hintergrund. „Es gab sehr
       viele Solidaritätsbekundungen der Delegationen untereinander“, berichtet
       Pörtner. Man habe das Leid der Menschen in der Ukraine wahrgenommen. Die
       russische Delegation habe bekundet, dass sie Putins Krieg ablehnt.
       Ukrainische Teilnehmer:innen mussten sich aus dem pandemiebedingt
       virtuellen Meeting dann allerdings verführt ausklinken. Der heimische
       Schreibtisch war zu unsicher geworden.
       
       28 Feb 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
 (DIR) Susanne Schwarz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Artensterben
 (DIR) IPCC
 (DIR) GNS
 (DIR) klimataz
 (DIR) Podcast „Vorgelesen“
 (DIR) klimataz
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Wochenvorschau
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Weltklima
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Klimaschutz im IPCC-Bericht: Wie die Welt CO2 einsparen könnte
       
       Eine Grafik im IPCC-Bericht zeigt, wie die Welt bis 2030 große Mengen CO2
       einsparen könnte. Oft ist der Wechsel sogar billiger, als fossil
       weiterzumachen.
       
 (DIR) Warnung der Vereinten Nationen: Katastrophen werden häufiger
       
       Ein neuer UN-Bericht schlägt Alarm: Die Menschheit unterschätze die Risiken
       der Klimakrise massiv.
       
 (DIR) Die Wochenvorschau für Berlin: Die Seele oder die Welt retten
       
       Auch abseits der unterschiedlichen Fastenmonate gibt es Gelegenheit zur
       Einkehr und zum Konsumverzicht. Denn irgendetwas muss ja anders werden.
       
 (DIR) Stand der Klimaforschung: Die Welt am Scheideweg
       
       Die Energiewende geht global viel zu langsam voran, zeigt ein neuer Bericht
       des Weltklimarats. Es gibt aber auch Fortschritte.
       
 (DIR) Deutsch-Russische Forschungsprojekte: Eiszeit in der Wissenschaft
       
       Für deutsch-russische Forschungsprojekte bedeutet Putins Angriffskrieg das
       Aus. So gut wie alle wissenschaftlichen Kooperationen sind ausgesetzt.
       
 (DIR) Schäden und Verlust in der Klimakrise: Das große Klimakosten-Tabu
       
       Wer zahlt für die Schäden der Klimakrise? Afrikanische Staaten wollen das
       Thema auf der Konferenz in Ägypten oben auf die Tagesordnung setzen.
       
 (DIR) Folgen des Klimawandels: „Nothilfe reicht nicht“
       
       Wenn sich Krise an Krise reiht: Dem Klimawandel begegnet Thandie Mwape vom
       Roten Kreuz Afrika in ihrer Arbeit immer häufiger.
       
 (DIR) IPCC-Bericht des Weltklimarats: Die Klimakrise ist kein Schicksal
       
       Der Bericht des Weltklimarats ist mehr als ein Warnsignal: Das Papier zeigt
       den Weg, wie die Klimakrise bewältigt werden könnte.
       
 (DIR) IPCC-Bericht im Detail: Die elf Gebote
       
       Der Weltklimarat legt seinen zweiten Bericht vor: Alle sind betroffen, die
       Verluste schon groß, Hilfe ist noch möglich, aber Zeit wird knapp.
       
 (DIR) Wie die Krisen zusammenhängen: Klimakiller Artensterben
       
       Der globale Verlust an Biodiversität und der Klimawandel sind nicht
       getrennt voneinander zu sehen. Im Gegenteil: Die Krisen verstärken sich
       gegenseitig.
       
 (DIR) Warnung des Weltklimarats IPCC: 1,5 Grad schwer haltbar
       
       Die Klimaziele des Paris-Abkommens einzuhalten, ist laut dem Klimarat IPCC
       schwierig. Der Klimawandel zeigt sich mittlerweile überall auf der Welt.
       
 (DIR) Klimakrise und Extremwetter: „Wir stecken schon tief drin“
       
       Meteorologe Özden Terli spricht im ZDF-Wetterbericht oft über den
       menschlichen Fußabdruck im Wetter. Das wünscht er sich auch von
       Kolleg:innen.