# taz.de -- Bluesky-CEO Jay Graber über Social Media: Die bessere Zukunft bauen
       
       > Jay Graber will das Internet retten. Als Chefin von Bluesky verspricht
       > sie ein Social Media ohne Milliardäre und Trolle. Kann diese Utopie
       > bestehen?
       
 (IMG) Bild: Ist inspiriert von Autor:innen wie Ursula Le Guin: Jay Graber im März 2025 auf der SXSW Conference in Austin
       
       Jay Graber tritt mit der Souveränität einer Person auf, die jede Frage
       bereits zu kennen scheint, noch bevor sie gestellt wird. So wirkt beinahe
       alles, was einem zu sagen einfällt, wie eine Banalität, die man besser für
       sich behält. Selbst dann, wenn es um die großen, wichtigen Themen geht.
       
       Die [1][Zukunft von Social Media]? Ist doch offensichtlich. Protokolle
       statt [2][Plattformen]. Dezentral, interoperabel, föderiert. Wer da noch
       nicht Bescheid weiß, lebt wohl wie Patrick der Seestern unterm Stein.
       
       Mundus Sine Caesaribus – „Eine Welt ohne Herrscher“, steht in großen
       Buchstaben auf ihrem T-Shirt, das sie auf der diesjährigen SXSW-Konferenz
       trägt. Ein unmissverständlicher Diss an [3][Mark Zuckerberg], der zuvor ein
       T-Shirt mit dem Aufdruck „Aut Zuck aut nihil“ trug – eine auf ihn gemünzte
       Abwandlung der lateinischen Redewendung „Entweder Herrscher oder nichts“.
       
       Noch leben wir in einer Welt, in der unsere Kommunikationsinfrastruktur in
       den Händen milliardenschwerer Silicon-Valley-Autokraten liegt.
       
       Doch die CEO von Bluesky, dem aktuellen Main Character unter den
       aufkommenden Twitter/X-Alternativen, möchte das ändern. Die 33-Jährige
       absolvierte einen Bachelor in Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft an
       der University of Pennsylvania und arbeitete danach als
       Softwareentwicklerin in der Blockchain-Industrie, bevor sie 2019 in Kontakt
       mit dem Twitter-Mitgründer Jack Dorsey kam.
       
       Dorsey hatte Bluesky ursprünglich ins Leben gerufen, ist heute jedoch nicht
       mehr daran beteiligt.
       
       ## „Billionaire-proof“
       
       Als Graber im August 2021 die Leitung von Bluesky übernahm, sorgte sie
       zuallererst für dessen vollständige Unabhängigkeit von Twitter – was sich
       als strategisch kluge Entscheidung erwies. Rund ein Jahr später folgte die
       Übernahme Twitters durch Elon Musk, der die Plattform auf rechts drehte und
       anschließend in die Bedeutungslosigkeit trieb.
       
       Bluesky hingegen, so betont Graber, sei „billionaire-proof“. Dafür sorge
       dessen dezentrale Architektur, die auf dem AT-Protokoll aufbaut. Klingt
       erst mal sperrig und kompliziert. Dabei nutzen viele von uns bereits
       Protokolle, ohne es zu wissen. Zum Beispiel beim Verschicken einer E-Mail.
       
       Das „Simple Mail Transfer Protocol“ ermöglicht es etwa, eine E-Mail von
       einer Gmail-Adresse an eine GMX-Adresse zu senden – statt nur an andere
       Gmail-Adressen.
       
       Graber ist nicht die Einzige, die dieses Prinzip auch für soziale Medien
       zum neuen Standard machen möchte. Neben Bluesky gibt es weitere Versuche,
       dezentrale Architekturen für soziale Netzwerke zu etablieren. Doch anders
       als etwa Mastodon, das ebenfalls auf einem Protokoll basiert, bietet
       Bluesky seinen Nutzer:innen einen so unkomplizierten Einstieg wie sonst
       nur Mainstreamplattformen.
       
       Statt eines einzigen, von undurchsichtigen Algorithmen kuratierten
       Standardfeeds wie auf Instagram, X oder Tiktok, haben Nutzer:innen auf
       Bluesky die Möglichkeit, verschiedene Feeds zu kreieren und nach Themen zu
       sortieren – oder denen anderer zu folgen. Graber selbst scrollt gerne
       durch eine Timeline, die ihr ausschließlich Bilder von Moos zeigt, wie sie
       in Interviews erzählt.
       
       Links zu externen Webseiten bleiben bei Bluesky unbestraft, während andere
       Plattformen ihre Tore zum offenen Web lieber geschlossen halten. Instagram
       oder Tiktok setzen alles daran, ihre Nutzer:innen möglichst lange in
       ihrem eigenen Ökosystem zu halten, indem sie Posts mit externen Links
       downranken. Graber hingegen möchte Bluesky als „Portal“ zu anderen Orten im
       Netz verstehen – nicht als Festung.
       
       „Es geht darum, den Nutzer:innen die Entscheidungsmacht über ihre Daten
       und Interaktionen zu geben“, sagt sie.
       
       Wenn ihnen Bluesky nicht mehr gefällt, können sie ihre Follower:innen
       und Beiträge einfach „mitnehmen“ und damit zu einer anderen Plattform
       wechseln, die auf demselben Protokoll läuft. Die Kontrolle über die Daten,
       die sonst bei den Konzernen liegt, wird so direkt in die Hände der
       Nutzer:innen gelegt.
       
       ## Sich die Welt radikal anders vorstellen
       
       Graber vertritt eine paradoxe Position: Sie will Strukturen schaffen, die
       ihre eigene Rolle überflüssig machen. Ein Netzwerk, dessen Funktionsweise
       keiner CEO mehr bedarf. Ihre Haltung entspringt einem tiefen Misstrauen
       gegenüber konzentrierter Macht – ganz gleich, ob sie in Form von
       Regierungen, Milliardären oder, wie im Fall der USA, aktuell von beiden
       gleichzeitig ausgeübt wird.
       
       Statt mit den Schriften der neoliberalen Ikone Ayn Rand, die dem Silicon
       Valley als ideologisches Leitbild dient, wuchs Graber mit der
       feministischen Science-Fiction von Ursula Le Guin und Margaret Atwood auf.
       Diese Autorinnen lehrten sie, wie sie sagt, sich die Welt radikal anders
       vorzustellen, als sie ist.
       
       Unter den Tech-Bros mit Gottkomplex ist Graber eine Ausnahmefigur, auf die
       man gerne Hoffnungen projiziert. So neu und anders Bluesky sich anfühlt,
       erinnert es auch ein bisschen an die frühen Tage des Internets, als es noch
       Spaß gemacht hat. Das Internet war mal ein Versprechen, ein Sehnsuchtsort,
       eine Utopie. Bevor Marktlogiken es ruiniert haben. Es hätte auch anders
       kommen können – und kann es noch.
       
       Doch auch Bluesky, warnen kritische Stimmen, sei keineswegs
       „billionaire-proof“. Aktuell mag Bluesky noch eine harmonische Bubble für
       Linke sein, ohne Werbung, ohne rechte Trolls, fast so gut wie, nein, besser
       noch als Twitter damals! Aber in ein paar Jahren, spätestens, wird sich
       zeigen, dass auch Bluesky von Investoren mit monetären Interessen getragen
       wird.
       
       So berechtigt diese Warnungen sind – so zynisch ist es, schon jetzt den
       Ruin von etwas heraufzubeschwören, das zumindest für ein paar Jahre etwas
       wirklich Gutes sein könnte. Eine technische Lösung für ein politisches
       Problem mag auf Dauer vielleicht keinen Erfolg haben. Aber alles, das Musk
       und Zuckerberg auch nur ein kleines bisschen Macht entzieht, ist zumindest
       begrüßenswert.
       
       Enjoy it, while it lasts!
       
       30 Apr 2025
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Stahlhofen
       
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