# taz.de -- Die Wahrheit: Unsere Stars von gestern
       
       > Jeder kennt die Fotos der Mustermanns. Doch wie sieht das Leben der
       > altgedienten Ausweis-Models aus?
       
 (IMG) Bild: Mustergültig modelt Erika Mustermann für bundesdeutsche Ausweispapiere
       
       Was machen eigentlich Erika und Max Mustermann? Man hört und sieht so gar
       nichts mehr von ihnen. Lange wirkten sie fast omnipräsent, zuletzt bei der
       Einführung der biometrischen Passbilder. Plakatwände, Flyer, Aushänge in
       Behörden: Vor allem Erika glotzte uns überall entgegen, mit diesem leicht
       psychopathischen Achtellächeln, irgendwo zwischen Alice Weidel und Mona
       Lisa. Doch seitdem ist es ruhig um unsere Stars von gestern geworden.
       
       Es wird Zeit, ihnen einen kleinen Besuch abzustatten. Telefonisch
       vereinbaren wir einen Termin für eine Homestory in Musterstadt, wo sie
       wohnen.
       
       Die Adresse ist schwer zu finden. Erst kennt das Navi die Postleitzahl 0815
       nicht. In der Mustersiedlung, in die es mich dann führt, sieht alles gleich
       aus. Abwechselnd schnarrt es „Bei der nächsten Möglichkeit wenden“, „Drehen
       Sie sich im Kreis“ und „Gehen Sie weg, es gibt hier nichts zu sehen“.
       
       ## Nicht die erste Pulle des Tages
       
       Schließlich erblicke ich doch noch ein besonders unauffälliges Musterhaus.
       Im Garten Thujen, Geranien und Standardgartenzwerge – das muss es sein.
       
       Als ich läute, öffnet Max Mustermann im Bademantel. Hinter ihm hopst seine
       Frau Erika mit einer Flasche in der Hand auf dem Sofa herum. Sie gackert in
       einem fort und hat so gar nichts mit der spröden Kunstperson ohne Ecken und
       Kanten gemein, die wir öffentlich wahrnehmen. Die echte Erika hat es
       faustdick hinter den Ohren. „Olé, wir fahr’n in’ Puff nach Barcelona“,
       grölt sie und lässt den Korken des gut geschüttelten Champagners gegen die
       Decke knallen. „Olé, olé, olé, olé!“
       
       „Lesbisch, lesbisch und ein bisschen schwul“, grölt Max, und wirft die Arme
       in die Luft. Sie springt ihn vom Sofa aus an wie ein Leopard, reißt ihn um,
       und schon rangeln beide lachend auf dem Boden herum. Das ist hier sichtlich
       nicht die erste Pulle des Nachmittags. Sie können es sich leisten, da beide
       Vollzeit als Ausweis-Model arbeiten. Die Marke Mustermann ist pures Gold.
       
       Palim, palim. Es klingelt an der Tür. Hurra! Es sind Jane und John Doe aus
       England. Erika und Jane haben sich anno Tobak über den Schüleraustausch
       ihrer Musterschulen kennengelernt. Musterstadt und Boreham-upon-Average.
       
       Sie haben sich lang nicht mehr gesehen. „Mein Gott, Erika“, sagt Jane Doe.
       „Sorry, aber du siehst ja wirklich schlimm aus. Und immer noch diese
       Siebzigerjahre-Tante-Hedwig-Frisur. Dazu die lange Fresse. Good grief!“
       
       Und John Doe will wissen: „Was sagen denn die Leute dazu, die zur
       Ausweisverlängerung aufs Amt kommen? Und sehen deine Visage an den Wänden.
       Die lassen sich doch auf der Stelle ausbürgern.“
       
       ## Wie ein Pfannkuchen mit Perücke
       
       Auf einmal wird es still. Keiner spricht es aus, doch die Angst ist
       spürbar, dass KI unsere alten Idole bald durch computergenerierte Gesichter
       ersetzen wird, jünger, diverser, attraktiver. Mahmud Al-Mustari, Eriky
       Mustermaus und Laralisa Mustergirl. Das wäre es dann gewesen mit dem ach so
       krisensicheren Job, ein Muster ohne Wert. Man kann nur hoffen, dass das
       Musterhaus bereits abbezahlt ist.
       
       „Erika sieht toll aus“, verteidigt sie Max. Er klingt ein wenig beleidigt.
       Denn jeder weiß: Erika Mustermann ist eine klassische Halbprofilschönheit.
       Direkt von vorn sieht sie hingegen aus wie ein Hammerhai. Dabei war sie
       ursprünglich das Muster für den lieben Gott, als der am achten Tag „die
       ultimative Superschnecke“ erschuf, wie es im Alten Testament heißt. Und am
       neunten Tag kreierte er eigens für sie das Personalpapier. Damals noch
       unter dem Namen „Eva Mustermann“.
       
       „Aber dieser frontale Blickwinkel zerstört natürlich alles. Da würde auch
       Scarlett Johansson wirken wie ein Pfannkuchen mit Perücke.“
       
       Ob er sich da nicht etwas vormacht? Dabei ist so ein Selbstbetrug überhaupt
       nicht nötig. Die Partnerin muss doch gar nicht die schönste sein. Grips,
       Loyalität, Humor und Herzenswärme sind eigentlich viel wichtiger.
       
       ## Besuch von Otto Normalverbraucher
       
       „Trööt, törööööt – ich bin ein Elefant“, schreit Erika, als ihr vor Lachen
       der warme Schampus wie eine Fontäne aus der Nase schießt. Ihre gute Laune
       ist schnell zurück. Vergessen sind die Sorgen um die Zukunft. Das ist ja
       alles eh nicht zu ändern, und sie kann immer noch als Dummy in die
       Autoindustrie wechseln. Die suchen neuerdings auch Frauen.
       
       Und schon wieder schellt die Türglocke. Hier geht es ja zu wie in einem
       Taubenschlag. Otto Normalverbraucher, der profane Nachbar der Mustermanns,
       kommt zu Besuch. Seine Frau Ottilie ist vor ein paar Jahren an einer
       schweren Normverletzung gestorben, doch er hat jetzt eine neue Freundin.
       Heute ist sie zum ersten Mal mitgekommen. Sie heißt Lieschen Müller.
       
       „Eigentlich ganz nett“, flüstert Erika ihrem Mann zu. „Aber irgendwie
       nichts Besonderes. Sobald die auch nur aus dem Zimmer ist, habe ich ihr
       Allerweltsgesicht garantiert vergessen.“
       
       „Ja, Otto hatte schon immer einen Durchschnittsgeschmack“, bestätigt Max.
       Er öffnet eine Packung Spekulatius, während sich Jane Doe mit Lieschen
       Müller angeregt über ihre Tommy-Atkins-Diät unterhält. Sie interessiert
       sich für jedes Mittel, das einen noch stromlinienförmiger aussehen lässt.
       
       Auf einmal schreien alle auf, denn von draußen drückt sich ein
       unscheinbarer Typ die Nase am Fenster platt. O Gott, scheiße, er schon
       wieder, der größte Langweiler der gesamten Mustersiedlung: der deutsche
       Michel. AfD-Wähler, Pauschalreisender, Opelfahrer, Dauernörgler. Sie lassen
       ihn rein, es hilft ja nichts; er hat ja gesehen, dass sie zu Hause sind.
       
       ## Normalos unter sich
       
       „Jetzt sagt er gleich wieder, er wäre doch die Melkkuh der Nation“,
       flüstert Erika. „Ja“, raunt Otto Normalverbraucher. „Und zwar in der
       dritten Person. Wollen wir wetten?“ – „20 Euro“, sagt Lieschen Müller, „ich
       halte dagegen. Heute sagt er bestimmt, dass Deutschland nicht das Sozialamt
       der Welt wäre.“
       
       „Der deutsche Michel ist doch die Melkkuh der Nation“, nölt der deutsche
       Michel. „Mit uns Normalos kann man es ja machen. Die da oben hauen sich nur
       die Taschen voll. Aber man darf ja nichts mehr sagen.“ Die anderen blicken
       sich verschwörerisch an. Sie kichern hinter vorgehaltener Hand. Lieschen
       Müller gibt Otto Normalverbraucher und Erika Mustermann jeweils einen
       blauen Schein.
       
       Als der deutsche Michel weg ist, um im Fernsehen Hoffenheim gegen Wolfsburg
       zu gucken, atmen alle auf. Und auch ich verabschiede mich. Ich muss noch
       weiter zur Familie Hempel. Unter deren Sofa soll es extrem spektakulär
       aussehen. Das ergibt auf jeden Fall die nächste interessante Homestory.
       
       22 Dec 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uli Hannemann
       
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